Gradwohl: „Ich will nicht mehr Zielscheibe sein“

Von Von Marlies Czerny   05.Mai 2010

OÖN: Für viele gleicht Ihr Rücktritt einem Doping-Geständnis. Zu Recht?

Gradwohl: Nein, aber ich verstehe, dass mir kaum wer glauben wird. Es hat schon so oft den Moment gegeben, wo ich aufhören wollte, weil mir alles über den Kopf gewachsen ist. Jetzt reicht es mir endgültig nach den Vorfällen im Urlaub. Ich stehe dazu, mit dem Abbruch des Dopingtests das Reglement gebrochen zu haben. Aber ich will mich in Zukunft nicht mehr ständig unterwerfen müssen. Das ist nicht mein Lebenssinn. Ich habe einen Sohn, von dem ich nichts habe, habe immer Familie und Freunde hintangestellt.

OÖN: Sie sprechen die ständigen Kontrollen an, die bei Profisportlern auch vor dem Urlaub nicht Halt machen. Warum haben Sie den Test nicht durchgeführt? Hatten Sie etwas zu befürchten?

Mayer: Das ist eine lange Geschichte mit vielen Vorerlebnissen, an denen ich beteiligt bin. Nach dem Linz-Marathon gab es vor der EM endlich Zeit für einen Urlaub, da haben uns Freunde nach Medulin, Kroatien, eingeladen, mit dem Schiff rauszufahren und den Sonnenaufgang zu erleben. Dann musste ich genau an diesem Tag zur NADA-Anhörung vom Hoffi (Christian Hoffmann, Anm.) nach Haus im Ennstal. Für die Fahrt musste mir Eva ihr Auto leihen und Geld für das Benzin geben – ich bin ja auf das Existenzminimum gepfändet. Was nicht so selbstverständlich ist, Eva und ich haben oft gestritten, weil sie immer mit reingezogen wird in den Dopingsumpf. Ich will den Hoffi aber nicht hängen lassen, ich habe eine intakte Beziehung zu ihm. Eva war sauer, aber ich habe ihr versprochen, rechtzeitig wieder zurück zu sein.

OÖN: Was Sie nicht waren.

Mayer: Nein, weil sich die Anhörung so verzögert hat. Die haben mir dann vorgeworfen, 2002 für Hoffi Glukoseinfusionen gemacht zu haben, was nicht stimmt. Dann haben sie mir noch Kassenbetrug unterstellt. Das alles war am Jahrestag meiner Entlassung aus dem Gefängnis, da war ich schon geladen. Und dann hat Eva dauernd angerufen. Ihre Oma ist gestorben, sie wollte heim, aber ich hatte ja das Auto. Dann ist alles eskaliert.

OÖN: Zur Entgleisung kam es auch, als Ihre Lebensgefährtin am Strand zur Dopingprobe gebeten wurde.

Mayer: Denn ausgerechnet als uns Eva und ich wieder versöhnt haben und die Bootstour neu starten wollten, kam eine Anti-Doping-Kontrollorin im Auftrag von Andreas Schwab, dem NADA-Chef. Eva hat nicht gleich pinkeln können, weshalb wieder alle warten mussten. Dann bin ich völlig durchgedreht, und von Eva kam der Kurzschluss. Sie hat gesagt, sie interessiert alles nicht mehr und bricht die Probe ab. Das war ein Missed Test, und die Sanktionen dafür sind eine Dopingsperre.

Gradwohl: Das hab ich in Kauf genommen. Ich will nicht mehr wegen den ganzen Kontrollen Leute versetzen müssen. Wer ist diese NADA? Welche Gewalt hat sie, dass man das ganze Leben nach ihr richten muss?

OÖN: Herr Mayer, Sie stehen wohl nicht zu Unrecht im Schussfeld. Was haben Sie damals gemacht?

Mayer: Ich bin sicher kein Eisheiliger und habe damals alles ausgeschöpft, was nur irgendwie möglich war. Klassisch gedopt habe ich jedoch nie. Ich habe Doping auch nicht über Humanplasma organisiert, wie mir vorgeworfen wird.

OÖN: Das mag man glauben – oder nicht. Faktum ist, dass Ihnen noch immer kein Prozess gemacht wurde. So schnell wird somit keine Ruhe einkehren.

Mayer: Für mich ist das ausgestanden. Ich bin länger im Gefängnis gesessen, als es Strafe war. Das war so ein hochgespielter und weitreichender Skandal, den werde ich mein Leben lang nicht loswerden. Die Situation mit Eva war mein letzter Berührungspunkt mit dem Sport.

OÖN: Am Laufen haben Sie noch eine Menschenrechts-Klage.

Mayer: Ja, über den Europäischen Gerichtshof, aber eigentlich kann ich mir ja nicht einmal den Rechtsanwalt leisten. Ich bin seit 1. März Frühpensionist, stehe mit 127.000 Euro in der Kreide.

OÖN: War es ein Mitgrund für Sie, aufzuhören, weil der Aufwand und die Ausgaben die Einnahmen überwogen?

Gradwohl: Das hat sich nicht mehr die Waage gehalten. Ich liebe das Laufen, das ist auch nicht zu Ende für mich und diese Begeisterung will ich weitergeben. Aber ich will nicht mehr für Angriffe die Zielscheibe sein. Man lernt im Spitzensport schnell, dass es nichts anderes als ein gewinnorientiertes Business ist, in dem 99 Prozent der Sportler nur die Arbeiter sind. Es gibt viele Neider und wenig Geld. Staatliche Förderungen sind so gut wie gar nicht vorhanden, nur Regeln, denen man sich unterordnen muss. Ich bin es leid, ständig darum zu kämpfen, genügend Sponsoren aufzutreiben und alles finanzieren zu können. Verdient habe ich nichts in meiner Zeit als Profi.