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Martin Hinteregger: "Ich war an der Grenze zum totalen Absturz"

Von Harald Bartl   01.September 2021

Heute versucht Martin Hinteregger mit der österreichischen Fußball-Nationalmannschaft in Chisinau gegen Moldawien (20.45 Uhr, ORF 1) eine Aufholjagd in der WM-Qualifikation zu starten. Im OÖN-Interview spricht er über die Chancen des ÖFB-Teams, das Verhältnis zu seinem neuen Trainer Oliver Glasner in Frankfurt und vor allem über den offenen Umgang mit jener Zeit, als er wegen seiner Depressionen nicht nur um die Fortsetzung seiner Profikarriere bangen musste.

OÖNachrichten: Hand aufs Herz: Ist die Chance auf die direkte WM-Qualifikation als Gruppensieger nicht schon verspielt?

Martin Hinteregger: Gegenfrage: Warum sollten wir es nicht schaffen? Die Möglichkeit ist auf jeden Fall da. Wenn wir diese verbliebene Chance aber nützen wollen, werden wir heute hier in Moldawien, am Samstag in Israel und nächste Woche gegen Schottland gewinnen müssen. Ich halte das für möglich.

Das Team hat sich erst am Montag getroffen, es gab praktisch keine Vorbereitung. Spielt das im Hinterkopf mit?

Das darf keine Rolle spielen. Wir sind Profis und müssen mit solchen Situationen umgehen.

Auch der Start bei Ihrem Klub Eintracht Frankfurt war nicht optimal. Wie beurteilen Sie die Arbeit Ihres oberösterreichischen Trainers Oliver Glasner?

Er macht einen richtig guten Job bei uns. Es hat seine Zeit gedauert, aber ich bin mir sicher, dass seine Ideen und seine Arbeit schon in den nächsten drei, vier Wochen richtig fruchten werden. Dann werden wir uns auch belohnen für die Leistungen, die wir beim Großteil der Spiele bereits erbracht haben. Der gesamte Klub befindet sich in einer Umbruchphase. Es ist gut, wenn die Transferzeit vorbei und der Kader dann komplett ist.

"Ich war an der Grenze zum totalen Absturz"
Hintereggers „Innensicht“

Sie sind 28 Jahre jung und haben gerade ein Buch mit dem Titel "Innensicht" herausgebracht. Das ist doch ungewöhnlich.

Ja, es ist aber keine herkömmliche Biografie, sondern 45 persönliche, emotionale, traurige und lustige Geschichten aus meinem Leben. Ich möchte damit auch einiges geraderücken. Ich bin weder der stromlinienförmige Musterprofi noch der Hinterwäldler, den manche in mir erkennen wollen.

Sie schreiben in dem Buch unter anderem auch sehr offen über Ihre Depressionen.

Ja, Anfang 2019, in der Zeit rund um meinen Wechsel vom FC Augsburg zu Eintracht Frankfurt, habe ich selbst viel Mist gebaut, bin in eine Depression gefallen. Ich stand am Morgen auf, war total übermüdet. Ich stieg ins Auto, schaltete das Radio ein – und mein Kopf explodierte. Jedes Geräusch strengte mich brutal an, entzog mir die Kraft. Der Suizid von Robert Enke (früherer Torhüter der deutschen Nationalmannschaft, Anm.) ist unvergessen. So weit wäre es bei mir nicht gegangen, um mich herum war es aber schon sehr dunkel. Ich war an der Grenze zum totalen Absturz.

Eine Sportpsychologin hat Sie herausgeholt. Wie geht es Ihnen heute?

Heute bin ich stärker denn je. Auch weil ich – zusätzlich zur Betreuung im Verein – auf einen Pool an Spezialisten vertraue, die mit mir arbeiten: eine Ernährungsberaterin in Frankfurt, eine Sportpsychologin, Ex-Stabhochsprung-Weltmeister Tim Lobinger als Athletiktrainer und Sporttherapeut Josef Percht-Iurlov, ein langjähriger Begleiter von Marcel Hirscher.

Sie wurden oftmals in das Eck eines Skandalprofis gedrängt. Sehen Sie sich auch so?

Nein. Ich bin absolut kein unguter Mensch. Ich beleidige niemanden, bin nicht aggressiv. Ich mache halt Dinge, bei denen ich zuvor nicht viel darüber nachdenke, die aber für niemanden schlimm sind, außer für mich. Das sind eher lausbubenhafte Geschichten. Es gibt den "Michel aus Lönneberga", die Kinderbuch-Romanfigur von Astrid Lindgren. Sie handelt von einem jungen, blonden Bürschchen, das allerlei Unfug anstellt. Zudem ist der Bub "patschert". Manche seiner Missgeschicke werden ihm prompt als hinterlistiger Streich ausgelegt. Meine Freunde meinen immer: "Das bist eins zu eins du."

"Ich war an der Grenze zum totalen Absturz"
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Natürlich haben auch wir über Ihre Aktion von 2019 ausführlich geschrieben, als Sie vor dem EM-Qualifikationsspiel gegen Polen – sagen wir – "ausgefallen" sind. Nehmen Sie uns bitte mit auf die damalige Reise.

Ich habe zwischen den Länderspielen gegen Lettland in Salzburg und jenem in Polen mit Freunden Geburtstag gefeiert. Es war nicht so geplant. Ich habe es im Buch ungefähr so beschrieben: Auf meiner einen Schulter saß das Engelchen: "Martin, steig nicht ein. Fahr ins Hotel." Auf der anderen saß das Teufelchen: "Hey, man muss die Feste feiern, wie sie fallen." Das Teufelchen war in diesem Fall stärker. Am Tag darauf teilte mir Teamchef Franco Foda mit, dass ich gegen Polen nicht spielen würde. Das habe ich verstanden und akzeptiert. Erst danach ist die Sache in der Öffentlichkeit herausgekommen. Dass der Teamchef danach voll hinter mir gestanden ist, war sehr wichtig für mich. Ich habe mich auch sehr bemüht, ihm das Vertrauen zurückzuzahlen. Das ist gleich mit einem Tor im nächsten Spiel gegen Israel gelungen und wird sich hoffentlich auch jetzt fortsetzen.

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