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Frau Misuzu sieht rosa

Von Angela Böhm, 27. April 2019, 12:00 Uhr
Frau Misuzu sieht rosa
Misuzu Watanabe zeigt als ehrenamtliche Führerin Fremden ihre Stadt Tokio. Bild: Angela Böhm

Während der Kirschblüte ist ganz Japan im Ausnahmezustand. Eine Tokioterin führt ehrenamtlich Touristen zu ihren Lieblingsplätzen und erklärt den Mythos der magischen Bäume.

Nach dem Aufwachen schaltet Misuzu Watanabe gleich den Fernseher an. Dort verkünden Sondernachrichten die genaue Prozentzahl der Kirschblüten, die in Tokio ihre Knospen geöffnet haben. Dann setzt sich die 64-Jährige auf das Fahrrad und macht schon mal einen ersten Check. Tagelang hatten Experten von Japans Meteorological Agency den offiziellen Kirschbaum am Yasukuni-Schrein beobachtet. Entdecken sie an seinen Zweigen fünf Blüten, wird in der Mega-Metropole offiziell Sakura, die Kirschblüte, ausgerufen. Das ist das Startzeichen für Hanami – das Betrachten und Feiern der Kirschblüten. Ein gesellschaftliches Ritual. Wichtiger als der Start aber ist der Zeitpunkt der vollen Blüte. Da geht auch die sonst so zurückhaltende Tokioterin aus sich heraus: "Kirschblüten machen die Japaner verrückt. Mich auch."

Kirschblüten allgegenwärtig

Die 150 Jahre alte Bäckerei Kimuraya, die auch den Kaiser beliefert, backt Brot in Form von Kirschblüten. Es gibt rosa Reiskuchen, verziert mit Kirschblüten und eingewickelt in ein grünes Kirschblatt. Tokios ältestes Kaufhaus Mitsukoshi bietet in seiner gigantischen Lebensmittelabteilung kunstvoll aus Zucker gefertigte, fast echt wirkende Blüten. Im alten Fischmarkt Tsukiji Uogashi liegen neben frischem Wasabi in Plastikfolie verpackte Kirschblüten. "Sie gehören jetzt zur Deko bei jedem Essen", erklärt Misuzu Watanabe lächelnd.

Schon morgens stehen die Tokioter am Eingang des berühmten Nationalgartens Shinjuku Gyoen Schlange, um dort einen der schönsten Plätze unter den vielen Kirschbäumen zu ergattern. Mit blauen Plastikplanen werden Plätze reserviert für die, die erst am Nachmittag kommen können. Das Nationaltheater hat eine Sakura-Woche ausgerufen und präsentiert seine prächtigen Bäume mit einer vierseitigen Broschüre. In ihr werden die Unterschiede der einzelnen Blütensorten und ihre erwartete Blütezeit erklärt. Dutzende Mitarbeiterinnen verteilen sie an Besucher.

Blüte ist nicht gleich Blüte

Misuzu Watanabe läuft zur Hochform auf: "Es muss die Somei Yoshino sein. Die Fünfblättrige. Die Königin. Nicht zu groß und nicht zu klein. Weiß. Nur ein bisschen rosa." Als würde ein zartes weißes japanisches Papier einen winzigen Tropfen Rosa aufsaugen. So wie ihr flauschiger Schal, den sie zu ihrem purpurnen Wollmantel trägt. "Die Japaner sehen ihr symbolisches Leben in der Kirschblüte. Das Samurai-Leben. Ein bisschen einfach. Fast weiß – aber sooooo schön", flötet sie mit viel Gefühl. Dabei war ihr Beruf als Computer-Ingenieurin eher nüchtern. Als Rentnerin wollte sie nicht daheim sitzen, die beiden Töchter sind aus dem Haus. Mit Gleichgesinnten tat sie sich zusammen zur Edo-Tokyo-Guide-Gruppe, um Fremden ihre Stadt zu zeigen: "Das ist für beide Spaß, für mich und meine Gäste."

Vor der Britischen Botschaft, die nur einen Katzensprung vom Nationaltheater entfernt liegt, hat 1898 Sir Ernest Satow Kirschbäume gepflanzt. Ein bisschen steif stehen die Diplomaten in ihren dunklen Anzügen und englischen Schuhen unter den unzähligen Blüten und feiern mit Bier in Pappbechern und Gästen Hanami. Bei den japanischen Geschäftsleuten ein paar Schritte weiter geht es lässiger zu. Die Schuhe haben sie fein säuberlich zur Seite gestellt. Auf dem Boden sitzend lassen sie es krachen.

Magische Stimmung im Dunkeln

Ihren absoluten Lieblingsplatz steuert Misuzu Watanabe als Höhepunkt an. Nirgendwo sonst ist die Kirschblüte so schön wie am Chidori-ga-fuchi, dem nördlichen Burggraben des kaiserlichen Palastes. Dort legen sich die Blüten wie Wolken über den steilen grünen Abhang entlang des Wassers. Am anderen Ufer verschmelzen sie zu einem weiß-rosa Himmel, unter dem die Tokioter in Massen pilgern. Unendlich scheint die Schlange an der Ruderbootanlegestelle. Wer einen exklusiven Blick vom Wasser aus auf das Blütenmeer werfen will, der muss zwei Stunden anstehen. Oben drängen sich die Kirschblütenfans, fotografieren um die Wette, als wollten sie jede einzelne Blüte dokumentieren.

Wenn es dunkel wird, kommt Misuzu Watanabe noch einmal an den Burggraben. Der verwandelt sich nun in einen Zauberwald. Scheinwerfer tauchen die Blüten in ein magisches Licht. Nicht einmal die schneidende Stimme der Ordner kann die Schönheit stören.

Am nächsten Morgen wird die 64-Jährige wieder den Fernseher anschalten, um den Nachrichten zur Kirschblüte zu lauschen. Bis die Tage kommen, an denen dann alle schauen, wie die Blütenblätter fallen und im Wind tanzen.

 

Gut zu wissen

Die Kirschblüte beginnt in Japan Ende März auf der Süd- und der Hauptinsel und endet auf der nördlichsten Insel Hokkaido Mitte Mai.

Mit Einheimischen unterwegs: Die Führer der Edo-Tokyo-Guide-Gruppe holen ihre Gäste im Hotel ab. Die Gebühr beträgt 3000 Yen (24 Euro). Es empfiehlt sich, rechtzeitig Kontakt aufzunehmen.
www.edotokyoguide.com.

Weitere Auskünfte: Japanische Fremdenverkehrszentrale unter Tel.: 0049-69-20353, www.into.go.jp

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