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Und ab in die Provence

Von Georg Christoph Heilingsetzer, 25. August 2018, 00:04 Uhr
Und ab in die Provence
Das prächtige Künstlerstädtchen Gordes ist der ideale Ausgangspunkt, um den Mittelgebirgszug Lubéron zu erkunden.

Im Süden Frankreichs reiste Georg Christoph Heilingsetzer auf den Spuren von Berühmtheiten wie Nostradamus, Camus, Van Gogh und de Sade

Avec ou sans sang?", fragt die Dame vom Kartenverkauf mit einem nüchternen Gesichtsausdruck, als handle es sich um Milch, die man zum Kaffee haben möchte oder eben nicht. Beim Stierkampf dreht es sich üblicherweise um einen anderen Saft, nämlich ums Blut. Während bei den spanischen und portugiesischen Duellen zwischen Tier und Mensch, die auch in der Provence gezeigt werden, üblicherweise Blut fließt, kommt die "Course camarguaise", die im Süden Frankreichs heimische, dennoch spektakuläre Variante des Stierkampfes, allerdings meist ohne Gemetzel aus. Dazu ein wenig später.

Die Camargue ist Teil der Provence, jener riesigen, landschaftlich abwechslungsreichen Region, die im Norden bis zu den Hautes-Alpes und im Süden, zwischen der italienischen Grenze und dem Rhône-Delta, bis an die Mittelmeerküste reicht. Von Arles weg führen zwei Straßen die beiden Rhône-Arme entlang nach Süden zum Mittelmeer. Eine schlängelt sich dabei an den Windungen der Petit Rhône entlang durch Salzsteppenabschnitte, Sumpfgebiete und Lagunen bis zum bekannten, ehemals beschaulichen Fischerdorf Les Saintes-Maries-de-la-Mer, wo alljährlich Ende Mai Roma, Sinti, Manouches und Jenische zusammenkommen, um vor einer wachsenden Schar von Touristen ihrer Schutzpatronin, der "heiligen Schwarzen Sara", zu huldigen.

Die drei Marien

Die dunkelhäutige Frau ist der Legende nach als Dienerin zusammen mit Maria Magdalena, Maria Jakobäa und Maria Salome – die beiden Letzteren gelten als Mütter dreier Apostel – um 40 nach Christus vor einer Christenverfolgung auf einem zerbrechlichen, segellosen Kahn aus dem Heiligen Land geflohen und an diesem Ort gestrandet. Unterstützt von Sara, die Almosen erbettelte, sollen die drei Marien später die Provence missioniert haben.

Seit 1935 wird eine Statue der heiligen Sara, die sich sonst in der Krypta unter der beeindruckenden, als "Zigeunerkirche" bekannten Wehrkirche befindet, gemeinsam mit den Reliquien der Marien aus der oberen Kapelle in einer farbenfrohen Prozession zum Meer getragen und mit Wasser benetzt. Das Temperament, das den Gitanes zugeschrieben wird, bringt auch die Beton-Arena zum Kochen, wenn einander dort Mann und Stier gegenüberstehen. Heute steht ein portugiesischer Stierkampf auf dem Programm – und der ist nichts für schwache Nerven. Nachdem der Reiter vom tosenden Applaus der Zuseher begrüßt wurde, wird der Bulle in die Arena gelassen, von Gehilfen des Reiters durch das Schwenken greller Tücher angestachelt und zusehends grantiger. Dann rammt der Reiter dem Tier einen Spieß nach dem anderen in den Nacken, bis dieser blutüberströmt vollends in Rage gerät. Zuletzt stemmen sich hintereinander stehende mutige Männer dem besiegten Tier entgegen, versuchen es zu bändigen, was erst nach einigen Versuchen gelingt, die mit schweren Verletzungen wie Knochenbrüchen enden.

Der größte Stolz der Camargue sind freilich die Pferde. Eine "Promenade à cheval" bei Sonnenuntergang ist etwas für Romantiker. In den weiten Ebenen des Mündungsdeltas der Rhône, das gänzlich unter Naturschutz gestellt wurde, leben aber nicht nur Pferde und Insekten, sondern auch Stiere, Reiher, Flamingos und unzählige andere Vogelarten, denen die Salzwasserlagunen, Teiche und Sümpfe mit ihrer einzigartigen Flora und Fauna Zuflucht und Nahrung bieten.

Unblutiger Stierkampf

In Arles hat die Beschaulichkeit wieder ein Ende. Eine ganz besondere Atmosphäre verspricht eine Course camarguaise in der berühmten römischen Arena. Dieser Kampf ist unblutig – zumindest für den Stier. Hier ist der schwarze, halbwilde Camargue-Stier der Star; die in weiße Hosen und Leibchen gewandeten "Stierstreifer", die "Raseteurs", sind nur die Mitspieler, aber dennoch bewunderte Artisten. Sie müssen im hastigen Vorbeilaufen den in der Mitte mit den Vorderhufen im Sand scharrenden Stier aus der Reserve locken, damit er sich in Richtung der hölzernen Umzäunung der Arena in Bewegung setzt, hinter der sich die im Sprint flüchtenden Männer mit halsbrecherischen Sprüngen in Sicherheit bringen. Auf die Kokarde, die rote Quaste zwischen den Hörnern des Stiers, ist eine Prämie gesetzt, die durch die Spenden der begeisterten Zuseher ständig weiter erhöht wird. Wenn es einem Raseteur gelingt, die Kokarde mit Hilfe eines Eisenkamms an sich zu reißen, brandet Beifall auf. Der Stier wird schließlich freundlich verabschiedet. Heute sieht der Kampf harmlos aus, doch hat er in der Vergangenheit schon so manches Opfer unter den Menschen gefordert.

Die Arena von Arles zählt wie das "Théâtre Antique" oder die "Cryptoportiques" – ein rätselhaftes unterirdisches Bauwerk – zum römischen Erbe der Stadt, das seit jeher viele kunstsinnige Menschen angezogen hat. Auf belebten Plätzen kann man Malern bei ihrer Arbeit zusehen, selbst in verborgenen Winkeln Straßenmusikanten ein Ohr leihen. Dies hat Vincent van Gogh (1853–1890), obwohl schon geistig umnachtet, wohl nicht wörtlich genommen, als er sich nach einem Streit mit seinem Freund Paul Gauguin einen Teil seiner rechten Hörmuschel abschnitt, diesen in ein Tuch einwickelte und der Prostituierten Rachel brachte. Wenig später, im Mai 1889, ließ sich Van Gogh in die Nervenheilanstalt in der Abtei Saint-Paul-de-Mausole von Saint-Rémy einliefern.

Van Goghs Heilanstalt

An diesem Ort im Bergmassiv der Alpillen bezog Van Gogh ein kleines Einzelzimmer und erhielt ein Atelier, in dem er rund ein Jahr lang wie ein Besessener malte, bevor er seinem Leben in der Nähe von Paris ein Ende setzte. Die Heilanstalt, die sich heute "Maison de Santé de Saint-Paul" nennt, lohnt einen Besuch: Im dazugehörigen Museum werden nicht nur das Leben und der Aufenthalt des Künstlers rekonstruiert, sondern auch die wichtigsten Entwicklungen der Psychiatrie-Geschichte anschaulich dargestellt. Saint-Rémy ist auch bekannt als Geburtsort von Nostradamus (1503–1566), dem berühmten Astrologen, dessen Geburtshaus man direkt im Zentrum findet.

Besonders klar ist die Luft auch etwas weiter nordwestlich des Hochplateaus der Vaucluse. Das prächtige Künstlerstädtchen Gordes, das zur Hochsaison aus allen Nähten platzt, ist ein idealer, wenn auch teurer Ausgangsort, um den Lubéron zu erkunden, einen lang gestreckten Bergzug, auf dessen Felshängen malerische, verträumte Dörfer thronen. Der sanft gehügelte Mittelgebirgszug an der Nordseite des Durance-Tales lockte prominente Intellektuelle an.

So fand Albert Camus (1913– 1960) in der kleinen Ortschaft Lourmarin am Südhang des Lubéron einen idealen Rückzugsort. Auf dem örtlichen Friedhof fand er nach seinem tödlichen Verkehrsunfall im Jänner 1960 als Beifahrer von Michel Gallimard, dem Neffen seines Verlegers, neben den Gräbern der einfachen Leute des Dorfes seine letzte Ruhestätte. Die Erfahrung des Absurden, für ihn ein zentrales Thema, bestimmte auch Camus’ schicksalhaftes Ende, hatte er doch bereits eine Zugfahrkarte von Lourmarin nach Paris gelöst und sich von Gallimard zur Mitreise überreden lassen. Von seinen Fans an seinem Grabstein hinterlassene Briefe zeugen auch heute noch von der Strahlkraft des Existenzialisten.

Wer zuletzt auch das hübsche Dorf Lacoste besucht, der vervollständigt ein eigenwilliges Sammelsurium an Berühmtheiten, die mit diesem Landstrich in Verbindung stehen. Das Örtchen verdankt seine Bekanntheit einem Menschen, dem es allein um seine persönliche sexuelle Freiheit ging. Der Spross des französischen Hochadels, Marquis de Sade (1740–1814), hatte auf dem Stammsitz seiner Familie, der Lacoste heute noch als Ruine überragt, sein Lustschloss. Das während der Französischen Revolution zerstörte und geplünderte Bauwerk gehört heute dem Modeschöpfer Pierre Cardin. Es schaudert einem beim Gedanken, dass der Marquis an diesem Ort seine bizarren sexuellen Wünsche auslebt haben soll, wie es heißt.

Verbrieft hingegen ist der Kreuzzug gegen die Waldenser, einer christlichen Gemeinschaft, die hier im 16. Jhdt. Askese predigte. Das passte so gar nicht in die Dekadenz des damaligen Klerus.

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