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Lost in Translation

Von Martin Duschek, 12. August 2018, 00:04 Uhr
Lost in Translation
Gigantomanie: Der 634 Meter hohe Skytree prägt das Stadtbild. Bild: Duschek

Wer zum ersten Mal nach Japan reist, wird von Kultur, Architektur und Mentalität überwältigt – allein der Alltag in Tokio präsentiert sich dem Europäer schlicht skurril.

Welcome Sir, please put your passport on the screen. Roooaaarrrhhh." Dazu hebt der Tyrannosaurus Rex drohend seine kurzen Vorderpfoten. Irgendwie fühle ich mich im falschen Film. Das Henn Na Hotel im Tokioter Stadtteil Nishikasai gilt als erstes rein von Robotern betriebene Hotel der Welt. Aber warum hinter der Rezeption zwei animierte Dinosaurierpuppen die Gäste empfangen, ist wohl dem japanischen Geschmack geschuldet, der sich Europäern nur schwer erschließt. Als Krönung tragen die Dinos auch noch Uniformkappen, wie sie für Hotelangestellte in Japan typisch sind.

"Enjoy your stay. Roooaaarrrhhh", ich schnappe mir die elektronische Zimmerkarte, froh, von dem Untier nicht verspeist worden zu sein. Am Gang saust schwanzwedelnd und kläffend ein kleiner weißer Spielzeughund herum. Auf Berührung rollt sich die Plastikkreatur auf den Rücken, zappelt mit den Beinen in der Luft und signalisiert, am Bauch gekrault werden zu wollen. Willkommen in Tokio!

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Im Roboterhotel empfangen animierte Dinosaurierpuppen die Gäste. Bild: Duschek

Roboter und vor allem Automaten sind in Japans Metropole allgegenwärtig. Der größte Ballungsraum der Erde – Tokio-Yokohama beherbergt fast 38 Millionen Menschen – könnte ohne diese wohl nicht mehr funktionieren. An nahezu jeder Straßenecke gibt es Automaten für heiße und kalte Getränke, Eiscreme und alle möglichen Snacks.

Schlangen zur Kirschblüte

In den ersten Aprilwochen kommen zu den Einheimischen noch einige Millionen Touristen dazu. Wenn der erste Kirschbaum zu blühen anfängt, fällt es in Tokio schwer, günstige Hotelzimmer zu bekommen. Vor den großen Parks, den grünen Lungen der Stadt, bilden sich schon in den Morgenstunden Schlangen an den Zugangstoren. So auch am Shinjuku Gyoen Park. Hunderte Japaner, bewaffnet mit blitzblauen Plastikplanen, harren der Parköffnung. Es gilt, den besten Picknick-Platz unter einer blühenden Kirsche zu ergattern.

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Zur Zeit der Kirschblüte sind in den Parks von Tokio Millionen Menschen unterwegs, um Selfies zu machen und zu picknicken. Bild: Duschek

Anders als am Swimmingpool in Mallorca läuft hier die Szenerie absolut gesittet, nahezu in gespenstischer Stille ab. Japanische Disziplin und Höflichkeit verbieten jede Form von Drängeln oder Aggression. Geduldig warten die Menschen, um von sich das beste Selfie mit Kirschbaumhintergrund zu knipsen, ihre Planen auszurollen und dann – selbstverständlich werden die Schuhe vor dem Betreten ausgezogen – auf dem Plastik-Eiland den Tag zu verbringen.

Der Shinjuku Gyoen Park liegt im Herzen des gleichnamigen Stadtviertels, westlich des Zentrums, wenn man ein solches mit der Lage des Kaiserpalasts festlegt. Die wunderschöne, romantische Parkanlage wird von einer Skyline in der Dimension jener von Manhattan umrahmt.

In Shinjuku entstanden im letzten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts die Verwaltungsgebäude der Region. Als Wahrzeichen überragt das 243 Meter hohe Tokyo Metropolitan Government Building mit seinen zwei markanten Türmen die anderen Wolkenkratzer. In beiden Türmen steht das jeweils 45. Stockwerk der Allgemeinheit als 360-Grad-Ausblicksebene offen. Aber selbst von hier lässt sich die Größe der Stadt nur erahnen, die sich rundum bis an den Horizont erstreckt und im Dunst verliert.

Reibungs- und berührungslos

Die Shinjuku-Schnell- und U-Bahnstation ist gemessen an den Passagierzahlen der größte Bahnhof der Welt. Rund fünf Millionen Menschen frequentieren diesen täglich, um an ihre Arbeitsplätze zu gelangen. Zur Stoßzeit bewegen sich unendliche Kolonnen meist schwarz gekleideter Businessleute in die Tunnelsysteme hinein und heraus, reibungs- und berührungslos. Die Stadt und ihre Bewohner ticken mit der Präzision eines gigantischen Uhrwerks.

Zwei touristische Hotspots Tokios, die großartig die Gegensätze dieser Welt repräsentieren, finden sich nordöstlich des gedachten Zentrums: Der Asakusa-Schrein und der Tokio-Skytree. Der Asakusa-Schrein mit dem Senso-ji, dem alten buddhistischen Tempel der Göttin des Mitgefühls, reicht 1600 Jahre in die Geschichte zurück. Eigentlich handelt es sich um einen ganzen Tempelbezirk mit riesigen Eingangstoren und endlosen Reihen von Imbiss-Buden und Souvenirläden.

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Der Denbo-in-Teien-Garten vermittelt die Illusion unberührter Natur. Bild: Duschek

Viele Japaner kleiden sich zum Besuch der Tempel in traditionelle Kimonos, die Damen knallbunt mit breiten Gürteln und Maschen, die Herren mit weiten Beinkleidern ("Hakama") und Überwürfen ("Haori"). An einem Wochenende zählt die Anlage mehrere Hunderttausend Besucher, die nach Mundspülung und Räucherung körperlich gesäubert ihre Wünsche auf kleine Holzplättchen, sogenannte Ema, schreiben, und diese so an die Gottheiten richten. Beim Asakusa-Schrein klappern Millionen dieser Täfelchen im Wind. Nur ein paar Meter weiter hinter der fünfstöckigen Pagode liegt die Tempelverwaltung. Gegen umgerechnet einen Euro Eintritt taucht man hier in die idyllische Ruhe des Denbo-in-Teien-Gartens ein, der perfekt die Illusion eines Aufenthalts in unberührter Natur vermittelt.

Drängelnde Nicht-Japaner

Unverblümte Gigantomanie erfährt der Besucher der größten Stadt der Welt ein paar U-Bahnstationen weiter beim Tokyo Skytree. Mit 634 Metern Höhe ist er der größte Fernsehturm der Welt und deren zweithöchstes von Menschenhand errichtetes Gebäude. Internationale Besucher werden freundlich zu den Express-Kassen geführt. Für ein geringes Mehrentgelt erspart man ihnen das mitunter stundenlange Warten für die Auffahrt. Während die Japaner geduldig in der Schlange stehen, drängeln Italiener, Russen, Inder, Amerikaner, Chinesen und ich Österreicher darum, ein oder zwei Fahrstühle früher in die Höhe zu sausen. Auf der 450 Meter hohen Aussichtsplattform umrundet das bunt gemischte Publikum auf einer ansteigenden Rampe den zylindrischen Kern des Turms. Die unglaubliche Stadt erscheint winzig wie Spielzeug, aber auch hier unendlich. Lediglich nach Osten erzwingt der Ozean ein Ende der Metropole.

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Im Elektronik-Mekka Akihabara blinken die Leuchtreklamen an Fassaden. Bild: Duschek

Tokio umfasst 23 Bezirke. Jeder davon buhlt darum, am wachsenden Touristenkuchen teilzuhaben und versucht mit seinen Besonderheiten die wachsende Schar an Gästen anzulocken. Setagaya im Westen preist mit dem Todoroki-Tal Tokios einzige nahezu naturbelassene und über 100 Meter tiefe Schlucht an. In der Ruhe der fast tropischen Vegetation und des plätschernden Yazawa-Bachs suchen hier viele einen Ausgleich zum durchschnittlichen 14-Stunden-Arbeitsalltag.

Das genaue Gegenteil verspricht der Bezirk Chiyoda mit dem Elektronik-Mekka Akihabara. Hier blinken und leuchten die Hochhäuser bis zum Himmel. Anime- und Manga-Figuren kämpfen auf Riesenleinwänden gegeneinander oder mit Sauriern, Robotern und Weltraumschurken. Geschäfte, Restaurants, Clubs finden sich nicht nur auf Straßenniveau, sondern bis in die obersten Etagen.

Eine Besonderheit sind sogenannte Cosplay-Restaurants. Diese sind entweder wie eine private Wohnung oder nach bestimmten Themen eingerichtet. Die stets weiblichen Servierkräfte tragen Schuldress, Katzenkostüme, Ninja-Kriegerkleider oder Schaffneruniformen, stets mit extra kurzen Röcken. Die Gäste werden als Gebieter angesprochen und unterwürfigst bedient, alles erscheint niedlich – "cosy". Dazu kann auch eine spontane Geburtstagsfeier zählen, wobei alle fünf Minuten ein anderer Gast "Geburtstag" hat.

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Cosplay-Gaststätten sind nach Themen eingerichtet - und extra kurze Röcke der kostümierten weiblichen Bedienung obligatorisch. Bild: Duschek

Ein Grab für Insekten

Nicht minder skurril, aber historisch begründet ist die Grabstätte für Insekten, das Mushizuka-hi, das 1821 vom Adeligen Sessai Mashiyama im Kaneiji-Tempel errichtet wurde. Er gedenkt hier der Insekten, die für die Illustration seines wissenschaftlichen Buches sterben mussten – und wollte das warnende Andenken aussprechen, dass die Insekten nie die Erde verlassen dürfen.

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Skurril: die 1821 errichtete Grabstätte für Insekten Bild: Duschek

Die japanische Mentalität kann zwar unmittelbar erfahren, aber kaum verstanden werden. Höflichkeit, Zurückhaltung, Fleiß und Disziplin scheinen die einzigen Tugenden zu sein, Emotionen hingegen unschicklich, von kichernden Schulmädchen abgesehen. Dafür bietet Japanisch ein eigenes Wort für Selbstmord aufgrund von Überarbeitung: "karojisatsu". Bill Murrays Resignation im Film "Lost in Translation" wird verständlich, wenn er sich beim Blick vom Hotelzimmer auf Tokio die Frage stellt: "Was soll das alles?"

Dennoch bleibt Tokio eine der faszinierendsten Städtedestinationen. Die Kontraste zwischen der Megastadt und der harmonisch gestalteten Natur, zwischen hektischen, riesigen Shoppingmalls und der absoluten Ruhe in den Tempeln können kaum übertroffen werden.

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Der Denbo-in-Teien-Garten vermittelt die Illusion unberührter Natur.

Anreise: Z. B. mit Lufthansa Flüge ab Linz via Frankfurt nach Tokio ab ca. 700 Euro hin und retour Economy. Mittelklasse Hotels um ca. 100 Euro im DZ. Billigunterkünfte wie Kapsel-Hotels ab 20 Euro pro Person und Nacht.

 

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