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Höchstgericht: Corona-Lockdown war zum Teil verfassungswidrig

Von Jasmin Bürger   23.Juli 2020

Anfang April hatte Bundeskanzler Sebastian Kurz (VP) Kritik an der Umsetzung der im Eiltempo verhängten Corona-Maßnahmen samt Lockdown als "juristische Spitzfindigkeiten" bezeichnet. Drei Monate später haben Kritiker nun Recht bekommen: Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat gestern wesentliche Teile der – nicht mehr geltenden – Verordnung für rechtswidrig erklärt.

Das Covid-19-Gesetz als Grundlage der Verordnungen von Gesundheitsminister Rudi Anschober (Grüne) ist für die Höchstrichter zwar im rechtlichen Rahmen. Allerdings hat das Ministerium aus Sicht des VfGH bei der Auslegung übers Ziel hinausgeschossen, denn die Verordnung hat "ein allgemeines Betretungsverbot öffentlicher Orte" vorgesehen und nicht – was gesetzlich gedeckt gewesen wäre – "das Betreten bestimmter eingeschränkter Orte untersagt". Es hätten also nicht Ausnahmen von der Ausgangssperre definiert werden sollen, sondern konkrete Verbote.

Obwohl die Verordnung seit 30. April außer Kraft ist, hat der VfGH-Spruch weitreichende Folgen, schließlich wurden Verstöße gegen die Ausgangssperre vielfach gestraft – ob diese Strafen nun erlassen oder sogar zurückgefordert werden können, ist noch nicht ganz klar.

Auch Abstandsregel betroffen?

Juristen sehen in der VfGH-Entscheidung aber noch weitreichendere Folgen: Die noch geltende Abstandsregel von einem Meter ("Babyelefant") basiert laut Staatsrechtler Andreas Janko und Verwaltungsrechtler Michael Mayrhofer von der Kepler-Uni Linz (JKU) ebenfalls auf der beanstandeten Verordnung und sei daher dringend reparaturbedürftig. "Ich kann mir schwer vorstellen, dass ein Rechtsmittel dagegen nicht erfolgreich sein sollte", sagte Janko in der Online-Diskussion "JKU-Corona-Update".

Ebenfalls nicht ohne Folgen könnte der zweite vom VfGH aufgehobene Teil bleiben: So war die Beschränkung der Wiedereröffnung von Geschäften nach Ostern auf jene mit einer Verkaufsfläche unter 400 Quadratmeter – mit Ausnahme von Baumärkten und Gartencentern – gesetzwidrig. Die Höchstrichter verweisen in ihrem Spruch auf den Gleichheitsgrundsatz und auf fehlende Dokumentation der epidemiologischen Notwendigkeit dieser Unterscheidung. Betroffene Händler haben laut Anwalt Georg Eisenberger die Möglichkeit einer Amtshaftungsklage.

Für zulässig erklärt hat der VfGH, dass geschlossene Unternehmen und Dienstleister nicht wie im Epidemiegesetz vorgesehen Anspruch auf Entschädigung haben. Die Höchstrichter verweisen hier auf die umfangreichen Corona-Hilfspakete.

Tausende Corona-Strafen hinfällig?

Was passiert mit jenen Strafen, die wegen eines Verstoßes gegen die nun für rechtswidrig erklärte Ausgestaltung der Ausgangssperre verhängt wurden?

Die Rechtslage ist vorerst nur für jene Fälle klar, in denen noch ein Verfahren läuft, weil etwa nach einer Anzeige noch keine Strafe festgelegt wurde – oder die Betroffenen Einspruch erhoben haben und die Entscheidung der Landesverwaltungsgerichte (LVwG) ausständig ist. Diese Verfahren sind laut VfGH einzustellen. Das betrifft freilich nur wenige Fälle. Ein Rundruf zeigt, dass bei den LVwG rund 100 Verfahren anhängig sind – in Oberösterreich ist die Zahl einstellig.

Unklar ist, was mit bereits bezahlten und nicht beanstandeten Strafen geschieht. Eine Generalamnestie schlossen mehrere Landeshauptleute gestern aus, man erwarte eine bundesweit einheitliche Lösung, spielten sie den Ball an Gesundheitsminister Anschober zurück. Der kündigte eine „bürgerfreundliche Lösung“ an. Für Staatsrechtler Andreas Janko von der JKU ist eine „gesetzliche Regelung notwendig“.

Die Zahl der hier Betroffenen dürfte durchaus hoch sein: Allein in Wien wurden rund 8800 Strafverfügungen im Zusammenhang mit den Corona-Maßnahmen ausgestellt, wie viele davon die beanstandeten Regelungen betreffen, ist offen. Oberösterreich zählte 2340 Verstöße. Das Innenministerium hat nur eine Gesamtzahl von Corona-bedingten Anzeigen für den Zeitraum von 16. März bis 17. Juni parat: 35.000. Details konnte man mit Verweis auf die Zuständigkeit der Gesundheitsbehörden für die Strafbemessung nicht nennen, und auch in Anschobers Ressort gab es bis gestern Abend keinen Überblick, wie viele vom VfGH-Spruch betroffen sein könnten. 

Höchstgericht: Corona-Lockdown war zum Teil verfassungswidrig
Das „virologische Quartett“ verkündete im März den Lockdown.

Anschober sieht "Klarstellung" für die Zukunft

Neben der offenen Frage nach dem Umgang mit wegen Verstößen gegen die Ausgangssperre verhängten Strafen zeigte sich Gesundheitsminister Rudi Anschober (Grüne) gestern „froh“ über die „Klarstellungen“ des Verfassungsgerichtshofs.

Man könne nicht ausschließen, dass man noch einmal in eine Situation komme, wo solche Maßnahmen notwendig sind, verwies Anschober auf das steigende Risiko im Herbst. Dann sei man legistisch besser vorbereitet.

Von VP-Seite reagierte gestern Verfassungsministerin Karoline Edtstadler auf den VfGH-Spruch und konnte sich zunächst eine Spitze auf den Koalitionspartner nicht verkneifen: Man habe Anschober bei der Ausgestaltung der Verordnung Unterstützung des Verfassungsdiensts angeboten, sagte sie, versicherte aber auch, alle Beteiligten hätten damals unter hohem Druck „nach bestem Wissen und Gewissen“ gehandelt. Das wiederholte sie später noch in einer gemeinsamen Aussendung mit Anschober.

Opposition: Kritik und Ruf nach Amnestie

Heftig fiel die Kritik der Opposition nach dem VfGH-Spruch aus.

SP-Klubchef Jörg Leichtfried sprach vom „schlampigen Umgang der Regierung mit dem Rechtsstaat“, FP-Chef Norbert Hofer von „Verordnungspfusch“, den zuständigen Ministern warf er „Überforderung“ vor. Neos-Vizeklubchef Nikolaus Scherak warf der Regierung vor, „über Monate gesetzeswidrig gehandelt“ zu haben.

Alle drei Oppositionsparteien forderten zudem, Strafen im Zusammenhang mit der rechtswidrigen Verordnung zu erlassen bzw. zurückzuzahlen. Eine Amnestie sei notwendig, für Scherak ist sogar „eine Entschuldigung bei den Betroffenen“ geboten.

FP-Verfassungssprecherin Susanne Fürst übte aber auch Kritik an den Höchstrichtern: Dass Unternehmern aus VfGH-Sicht keine Entschädigung für die Schließzeit zustehe, sei „ebenso naiv wie absurd“, sagte Fürst.

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29. März 2024