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Kanzler Kurz sieht Misstrauensantrag "nicht als Damoklesschwert"

Von Jasmin Bürger   22.Mai 2019

Quasi in letzter Minute wurde doch Finanzminister Hartwig Löger im neuen Kabinett von Sebastian Kurz zum Vizekanzler erkoren. Noch in der Vormittagsbesprechung des engsten ÖVP-Kreises war der ehemalige OGH-Präsident Eckart Ratz für diese Aufgabe vorgesehen. Hintergrund für diese Rochade ist der Misstrauensantrag gegen Kurz am Montag – sollte dieser Antrag erfolgreich sein,  würde Löger dann Kurz ersetzen. Ratz wird in der neuen Regierung als Innenminister Nachfolger von Herbert Kickl.

Kurz will Staatskrise verhindern

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat in einer Pressekonferenz vor dem ersten Ministerrat der Übergangsregierung versichert, alles zu, "dass aus der Krise einer Partei nicht eine Krise des Staats wird". Am Wahlsonntag hätten die Menschen dann ohnehin die Chance zur Richtungsentscheidung, warb er indirekt dafür, auf einen Misstrauensantrag zu verzichten. Er betonte auch, dass er die Namen der Übergangsregierung bereits im Vorfeld der Opposition genannt habe, zunächst der Vorsitzenden der SPÖ Pamela Rendi-Wagner. Auch werde er noch heute weitere Gespräche mit den Vorsitzenden der Parlamentsparteien führen.

Klar gestellt wurde von Kurz ferner, dass seine Übergangsregierung andere Aufgaben zu erfüllen haben werde als eine klassische Regierung. Es werde nicht darum gehen, inhaltliche Konzept umzusetzen, sondern Stabilität bis zum Wahlgang zu gewährleisten.

APA-Video: Kurz will mit Übergangsregierung weitermachen

Misstrauensantrag "nicht als Damoklesschwert"

Kurz gab zu verstehen, dass er den Misstrauensantrag "nicht als Damoklesschwert" sehe. Die Entscheidung treffe das Parlament und nicht er. Zu den von der SPÖ geforderten vertrauensbildenden Maßnahmen sagte er zu, behutsam bei Budget- und Personalentscheidungen vorgehen zu wollen: "Eine Übergangsregierung trifft keine Entscheidungen, die groß über den Wahltag hinaus Auswirkungen haben."

Wien. "Ich kann nur eines tun: meiner Aufgabe, meiner Verantwortung bestmöglich nachzukommen", betonte der Kanzler, angesprochen auf den Misstrauensantrag. "Der Bundespräsident hat mit mir gemeinsam nach der Enthüllung am Freitag zahlreiche Gespräche geführt. Wir waren uns einig, dass wir uns bemühen sollten, eine stabile Übergangsregierung sicherzustellen" - und er habe sich darum bemüht, das zu erfüllen. "Ich habe meine Verantwortung wahrgenommen, habe meinen Beitrag erfüllt."

Auch sei er "selbstverständlich im Gespräch mit den anderen Parteichefs", betonte Kurz mehrmals während der Pressekonferenz. Gleichzeitig sagte er, die Frage des Umgangs mit dem angekündigten Misstrauensantrag liege bei den Abgeordneten: "Die Entscheidung, die im Parlament getroffen wird, wird dort getroffen und nicht von mir."

Kritik, dass die Kabinette der neuen Minister mit ÖVP-nahen Mitarbeitern besetzt werden, wies Kurz zurück. "Ja, es stimmt, ich habe hier auf Personen aus meinem Team zurückgegriffen. Ich bin allen meinen Mitarbeitern sehr, sehr dankbar, dass sie in den vergangenen Tagen fast rund um die Uhr im Einsatz waren." Es gehe dabei um die "bestmögliche Unterstützung" für die neuen Minister, denen er die völlige Unabhängigkeit bei der Personalauswahl zusagte. "Die Minister treffen ihre Entscheidungen frei, aber ich habe es als meine Aufgabe gesehen, sie bestmöglich zu unterstützen."

"Das bedeutet nichts für die Zukunft, das ist auch keine Einflussnahme. Es geht ja jetzt nicht darum, inhaltliche Weichenstellungen zu treffen", betonte er, sondern darum, "Entscheidungen zu treffen, die absolut notwendig sind, sie zu treffen, nicht aber um Entscheidungen, die groß über den Wahltag hinaus Auswirkungen haben." Daher gelte es, behutsam bei Budget- und Personalmaßnahmen vorzugehen. "Es geht nicht darum, Politik für die Zukunft zu machen."

Hinsichtlich der Erwartungen an den neuen Innenminister betonte Kurz, diese seien "ganz klar: Alles zu tun, um für volle Aufklärung zu sorgen, sowohl was die Inhalte wie auch, was die Herkunft des Videos betrifft."

Ernennung der Übergangsminister

Die wohl einmalige innenpolitische Krise, die durch das Ibiza-Video ausgelöst wurde, steuert ihrem vorläufigen Schlusspunkt zu: Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat die Übergangsminister ernannt, die den Platz der zurückgetretenen FPÖ-Regierungsmitglieder einnehmen. Das Innenministerium übernimmt der pensionierte OGH-Präsident Eckart Ratz (65), der frühere Sektionschef Walter Pöltner (67) wird Sozialminister und der stellvertretende Generalstabschef Johann Luif (59) Verteidigungsminister. Das Infrastrukturressort übernimmt Austro-Control-Chefin Valerie Hackl (36). Neuer Vizekanzler ist Finanzminister Hartwig Löger. Das mit Heinz-Christian Straches Abgang ebenfalls frei gewordene Sport- und Beamtenministerium betreut bis zur Wahl Familienministerin Juliane Bogner-Strauß mit.

Im Anschluss an die Ernennung wurden die neuen Minister vom Staatsoberhaupt angelobt.

APA-Video: Angelobung der Übergangsregierung

Das Bundeskanzleramt hat am Mittwoch auch die Namen der Experten bestätigt, die den FPÖ-Ministern nachfolgen sollen. Und zwar wird - wie kolportiert - Ex-OGH-Präsident Eckart Ratz Innenminister. Das Sozialressort soll Ex-Sektionschef Walter Pöltner leiten. Die Chefin der Flugsicherung "Austro Control", Valerie Hackl, übernimmt die Infrastruktur, die Landesverteidigung der Offizier Johann Luif.

Die Agenden von Heinz-Christian Strache (FPÖ) gehen auf ÖVP-Familienministerin Juliane Bogner-Strauß über. Finanzstaatssekretär Hubert Fuchs wird nicht nachbesetzt. 

Die Übergangsregierung wird um 13 Uhr von Bundespräsident Alexander Van der Bellen angelobt. Danach ist um 14 Uhr ein Ministerrat angesetzt.

Im Innenressort soll Ex-OGH-Präsident Eckart Ratz statt Herbert Kickl Garant für vollständige Aufklärung aller Verdachtsmomente rund um das blaue Skandalvideo sein. 

Der gebürtige Vorarlberger war von 2012 bis 2018 Präsident des Obersten Gerichtshofs. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde er 2014 bekannt, als er als Vorsitzender des Berufungssenats die gegen Ex-Innenminister Ernst Strasser in der Lobbying-Affäre ausgesprochene Verurteilung bestätigte.

Aus dem Ruhestand zurückkehren könnte auch der 67-jährige Walter Pöltner, der das Sozialministerium von Beate Hartinger-Klein übernehmen soll. Pöltner war als Sektionschef auf Beamtenebene jahrelang Chefverhandler zahlreicher Pensionsreformen. Ausgerechnet Hartinger-Klein holte Pöltner zuletzt bereits zurück, wenn auch in anderer Funktion: Er ist seit März neben Ingrid Nemec, ebenfalls Ex-Sektionschefin, kommissarischer Leiter der Österreichischen Gesundheitskasse und als solcher bis Ende Juni bestellt.

Im Verteidigungsministerium soll als Nachfolger von Mario Kunasek der Leiter der Generalstabsdirektion, Brigadier Johann Luif (59), das Kommando übernehmen. Luif ist auch Vize-Generalstabschef.

Das Infrastrukturressort von Norbert Hofer soll Austro-Control-Chefin Valerie Hackl übernehmen Die 36-Jährige war erst mit Jahresbeginn von der ÖBB-Personenverkehrssparte zur Austro Control gewechselt. In den ÖBB aufgestiegen war sie unter Ex-Kanzler Christian Kern.

Video: Spekulationen über neue Minister:

SPÖ wirft Kurz "Scheingespräche" vor

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) dürfte mit seinem Vorgehen bei der Erstellung seines Übergangskabinetts nicht gerade Vertrauen in der SPÖ dazugewonnen haben. Der ÖVP-Obmann habe zuvor lediglich "Scheingespräche" geführt, hieß es aus dem Büro von SPÖ-Obfrau Pamela Rendi-Wagner gegenüber der APA. Es habe zu keinem Zeitpunkt eine echte Einbindung in den Vorgang gegeben.

Van der Bellen fordert Rückhalt für Übergangsregierung

Die TV-Reporter hatten es nicht leicht: Weil das Gespräch zwischen Bundespräsident Alexander Van der Bellen und Bundeskanzler Sebastian Kurz (VP) am Ende mit zwei Stunden fast doppelt so lange dauerte wie geplant, mussten sie in ihren Live-Einstiegen die Zuseher schon mit Fakten zum Maria-Theresien-Zimmer unterhalten. Nach 14.30 Uhr traten Staatsoberhaupt und Regierungschef unter dem Antlitz der Kaiserin schließlich vor die Presse.

Van der Bellen erklärte, die von Kurz geforderte Entlassung von Innenminister Herbert Kickl sowie den von der FPÖ für diesen Fall angekündigten Rückzug aller blauen Minister zu akzeptieren. Nur ein Mitglied der FP-Regierungsriege solle bleiben, jenes, das nicht Parteimitglied ist: Außenministerin Karin Kneissl. Die unabhängige Nahost-Expertin ließ wenig später wissen, sie fühle sich „verpflichtet, auch zur Verfügung zu stehen“.

Für die Nachbesetzung der restlichen vier blauen Ressorts (Inneres, Verteidigung, Verkehr und Soziales) machte Van der Bellen klare Vorgaben: Er erwarte „untadelige Experten, die fachlich über die Parteigrenzen hinweg“ akzeptiert werden. Der Kanzler hatte seine Liste bereits parat – weil Van der Bellen jeden „persönlich prüfen“ wolle, nannte man aber keine Namen. Die sickerten dann am Abend durch: Prominenteste Nachbesetzung soll der frühere OGH-Präsident Eckart Ratz als Kickl-Nachfolger und Vizekanzler sein.

Angelobt werden könnten die neuen Minister schon heute. Eile ist geboten, weil formal sowohl Vizekanzler Heinz-Christian Strache als auch die FP-Minister noch im Amt sind. Die Demission eines Ministers kann nur unmittelbar vor der Angelobung eines Nachfolgers erfolgen. Was Innenminister Herbert Kickl gestern noch ausnutzte, um eine Verordnung zu erlassen.

Van der Bellen warnt vor Sturz

Ob die „Übergangsregierung“, wie von Van der Bellen gewünscht, überhaupt bis zur im September geplanten Nationalratswahl hält, ist allerdings mehr als fraglich. Zwar hat Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (VP) mit seiner Entscheidung, die von der Opposition verlangte Sondersitzung auf kommenden Montag zu legen, Kurz zumindest eine Galgenfrist bis nach der EU-Wahl verschafft. Doch ein Misstrauensantrag gegen Kurz von der Liste Jetzt ist fix. Und sowohl SPÖ wie auch FPÖ halten sich ihre Zustimmung offen, nur die Neos lehnen dies ab. Van der Bellen warnte vor einem Sturz des Kanzlers: „Die Kollegen im Parlament werden sehr sorgfältig nachdenken, wie sie mit der Situation umgehen.“ Und wenn der Misstrauensantrag durchgehe? „Ich denke heute über keinen Plan B nach“, so Van der Bellen. SP-Chefin Pamela Rendi-Wagner zeigte sich weiter skeptisch: Kurz habe sich „nicht ernsthaft um eine gesicherte parlamentarische Mehrheit für seinen Vorschlag bemüht“.

Die Warnungen vor einer Staatskrise bemühte sich Van der Bellen sowohl in seinem Statement wie auch in einer TV-Rede am Abend zu zerstreuen: „Wir betreten in diesen Tagen Neuland, aber es gibt jetzt keinen Grund, besorgt zu sein“, versicherte er. Gerade in dieser Krisensituation „zeigt sich die Eleganz und Schönheit unserer Bundesverfassung“, die für jeden Fall genaue Regelungen treffe. „Ich werde auf Einhaltung jedes Details achten“, sagte Van der Bellen.

Die Rede des Bundespräsidenten im Wortlaut:

 

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