Die Verfassung ist nichts Statisches
WIEN. Österreichs Bundes-Verfassungsgesetz wird am 1. Oktober 100 Jahre alt. Nach dem Ersten Weltkrieg und dem Zerbrechen der Habsburger-Monarchie als Verfassung der neuen Republik Österreich beschlossen, bildet das B-VG bis heute das Fundament des heimischen Staatswesens. Die Verfassung ist nichts Statisches, die Grundprinzipien sind jedoch bis heute aufrecht geblieben.
Mit dem Beschluss des B-VG durch die Nationalversammlung wurde - nach zähen Verhandlungen vor allem zwischen Sozialdemokraten und Christlichsozialen - Österreich als demokratische parlamentarische Republik mit bundesstaatlicher Organisationsform eingerichtet. "Architekt" der Bundesverfassung war Hans Kelsen* (1881 - 1973), einer der bedeutendsten Juristen des 20. Jahrhunderts. Auch der Verfassungsgerichtshof (VfGH) mit der damals weltweit ersten "monopolisierten" Prüfung von Gesetzen auf Verfassungsmäßigkeit wurde damit etabliert.
Mehrere Prinzipien des B-VG bilden die Basis des Staates, nämlich das demokratische, das republikanische, das bundesstaatliche und das rechtsstaatliche Prinzip. Diese zu ändern, wäre eine Gesamtänderung der Verfassung, was einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament und der Zustimmung des Volkes in einer Volksabstimmung bedürfte. Darüber hinaus gibt es - als österreichisches Spezifikum - viele weitere mit Zweidrittelmehrheit beschlossene Verfassungsgesetze.
Erstmals novelliert wurde das B-VG 1925. Die zweite Novelle vom 7. Dezember 1929 bedeutete eine erhebliche Veränderung. Die Rolle des Bundespräsidenten und der Bundesregierung wurden gestärkt. 1933 wurde das parlamentarische System unter dem christlichsozialen Kanzler Engelbert Dollfuß außer Kraft gesetzt und 1934 eine neue Verfassung erlassen. Diese Totaländerung ohne Volksabstimmung stellte einen gravierenden Verfassungsbruch dar.
Österreich hieß laut dieser neuen Verfassung nicht mehr "Republik Österreich", sondern "Bundesstaat Österreich", es handelte sich um den sogenannten Ständestaat. In der NS-Zeit verschwand das B-VG völlig und wurde erst in der Unabhängigkeitserklärung vom 27. April 1945 wieder in der Fassung von 1920 verkündet. Im Dezember 1945 wurde jedoch wieder das "Bundes-Verfassungsgesetz 1920 in der Fassung von 1929" in Kraft gesetzt. Mit dem Verbotsgesetz, das alle nationalsozialistischen Aktivitäten untersagt, wurde ein weiteres Verfassungsgesetz beschlossen.
Nach der Besatzung durch die Alliierten wurde Österreich erst durch den Abschluss des Staatsvertrages vom 15. Mai 1955 wieder ein souveräner Staat. Das B-VG über die Neutralität Österreichs wurde am 26. Oktober des gleichen Jahres verabschiedet.
Wichtige Novellierungen seither waren etwa 1958 der Beitritt zur Europäischen Menschenrechtskonvention oder 1968 die Abschaffung der Todesstrafe auch im sondergerichtlichen Verfahren. 1973 wurde ein eigenes B-VG über die Beseitigung rassischer Diskriminierung geschaffen. 1994 war der Beitritt zur EU der wohl fundamentalste Einschnitt. Das entsprechende Bundesverfassungsgesetz wurde in einer Volksabstimmung mit 66,58 Prozent bestätigt. Auch eine Wahlaltersenkung von 19 auf 18 Jahre gab es in diesem Jahr.
Von 2002 bis 2005 tagte der "Österreich-Konvent" zur Verfassungsreform. Eines der Ergebnisse daraus war das "Demokratiepaket" 2007, mit dem das Wahlalter auf 16 Jahre gesenkt, die Briefwahl eingeführt und die Legislaturperiode des Nationalrats von vier auf fünf Jahre verlängert wurde.
2008 wurde auch ein eigener Asyl-Gerichtshof geschaffen, und 2012 wurde ein weiteres Schwerpunktthema des Konvents, nämlich die Schaffung von Verwaltungsgerichten erledigt, um den Rechtsschutz der Bürger in Verwaltungsverfahren zu verbessern. Mit 1. Jänner 2014 nahmen die neun Landesverwaltungsgerichte, das Bundesverwaltungs- und das Bundesfinanzgericht ihre Arbeit auf.
Speziell die von der Ibiza-Affäre ausgelöste Regierungskrise im Vorjahr rückte die Verfassung und die darin zugrunde gelegten Regeln in den Mittelpunkt des Interesses. Sie ermöglichte die "Lösung der Probleme ohne interpretatorische Kunststücke, allein aufgrund des klaren Wortlautes", lobte sie Bundespräsident Alexander Van der Bellen danach. Schon mitten in der Krise hatte er ihr "Eleganz und Schönheit" attestiert. Der aktuelle Präsident des Bundes-Verfassungsgerichtshofes ist Christoph Grabenwarter.
Der Geburtstag der Verfassung und damit auch die Geburtsstunde des VfGH wird traditionell mit dem Verfassungstag gefeiert. Heuer ist das nicht so, Grund für die Absage ist die Coronakrise. Die geplanten Festvorträge will man später nachholen, und der VfGH hofft, alle Gäste spätestens zum Verfassungstag am 1. Oktober 2021 im Verfassungsgerichtshof begrüßen zu können.
* Ausstellung "Hans Kelsen und die Eleganz der österreichischen Bundesverfassung" (Anmeldung erforderlich) (bis 5.4.2021) (Jüdisches Museum, 1., Dorotheergasse 11)
Toll - 100 Jahre alt und wird jetzt von der Regierung mit Füßen getreten !
Sie ist wirklich nicht statisch
Die Bundesregierung löst sie ja gerade scheibchenweise auf
Blödsinn.
Aber man darf die Verfassung auch nicht (ähnlich wie Datenschutz) als Ausrede hernehmen. Notfalls muss man die eine oder andere Passage an die fortgeschrittene Zeit anpassen. Globalisierung und Digitalisierung geht an den beamteten Juristen leider oft vorbei.
Die wesentliche Voraussetzung unserer Verfassung ist das absolute Demokratieverständnis. Dieses garantiert die perfekte Auslegung der Verfassung und dadurch ist jede Änderung unnötig.
Für alle, die kein notwendiges Demokratieverständnis mitbringen, ist die Verfassung ein Hemmschuh für ihre Zielumsetzung.
Die Zeit ist fortgeschritten, was an der Ordnung des Universums liegt. Die Werte der Demokratie sind aber noch immer die gleichen, auch wenn sie der jungen Clique im Wege sind.
Soeben habe ich erfahren, dass wieder ein Teil der Clique (Blümel, Löger usw.) angezeigt werden sollen.
Was wollen Sie wegen der Digitalisierung, oder der Globalisierung in der Verfassung ändern?
Ich habe bisher nichts gefunden!