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"Wo ist die Kinderstube dieser Leute?"

Von Wolfgang Braun   20.Juni 2017

"Macht es etwas aus, wenn ich das Sakko ausziehe?" Ein entspannter Bundeskanzler Christian Kern stellte sich Montagabend nach einer SPÖ-Veranstaltung in der Linzer Tabakfabrik dem Interview. Und weil es so heiß war, legte er auch noch die Krawatte ab.

OÖNachrichten: Herr Bundeskanzler, die unendliche Geschichte Bildungsreform hat jetzt doch ein Ende gefunden. Was haben Sie bei diesem Thema über österreichische Politik gelernt?

Christian Kern: Es war eine Zangengeburt, aber es war den Aufwand wert. Meine Sorge war: Wenn wir das jetzt nicht schaffen, dann ist das vielleicht für Jahre gestorben. Die ÖVP hat sich in unsere Richtung bewegt, auch die Grünen waren sehr konstruktiv. Am Ende war es ein Schritt in die richtige Richtung. Aber das Thema Bildungsreform ist damit nicht erledigt.

Ex-Finanzminister Hannes Androsch hat gemeint, die Art und Weise, wie einzelne Interessengruppen bei der Bildungsreform blockieren, kann man sich als Regierung nicht bieten lassen.

Er hat völlig recht. Aber diese Gruppen geben in der ÖVP den Takt an. Wir hätten das gerne ohne Rücksicht auf Lobby-Interessen durchgezogen, denn wir verwalten unsere Schulen viel zu kompliziert. Viele Lehrer sind zu häufig mit Verwaltungskram beschäftigt. In Schulen mit vielen Schülern nicht-deutscher Muttersprache brauchen die Lehrer Unterstützung, da braucht es mehr Geld. Aber wir können nicht nur frisches Geld draufgeben, sondern wir müssen die Mittel effizienter einsetzen. Da haben wir weniger geschafft, als ich mir gewünscht hätte. Aber in der ÖVP ist die Gewerkschaft der öffentlich Bediensteten ein absoluter Machtfaktor – und wenn die Nein sagen, dann steht das ganze Werkl.

Sie haben in Ihrem Kriterienkatalog auch eine Verwaltungsreform angekündigt. Gibt es schon konkrete Pläne?

Auch das ist eine unendliche Diskussion in Österreich. Wir müssen Verantwortung und Kompetenz zusammenführen. Zum Beispiel bei Schule, Gesundheit, Pflege oder Kindergärten haben Gemeinden, Länder und Bund geteilte Verantwortungsbereiche, da sind oft drei Köche an einem Brei. Ich will hier ein Gesetz für eine Verantwortung und eine Zuständigkeit, und das dann einer Volksabstimmung unterziehen. Ich möchte Druck machen und das, woran Österreich seit Jahrzehnten scheitert, endlich lösen. Es geht nicht darum, den Ländern etwas wegzunehmen. Es geht um Klarheit, und wir können damit zwei bis drei Milliarden Euro einsparen.

Kommen wir zu einem anderen SPÖ-Granden, Ex-Bundeskanzler Franz Vranitzky: Er hat einst eine Koalition mit der FPÖ für die SPÖ ausgeschlossen. Sie haben diese Entscheidung nun per Kriterienkatalog revidiert. Haben Sie mit ihm darüber schon gesprochen?

Wir sind in intensivem Austausch. Ich glaube nicht, ihn falsch zu interpretieren – er meint: "Was ihr macht, ist richtig." Denn die Situation hat sich geändert. Aber wir haben damit nicht die Rutsche für die FPÖ gelegt, sondern wir haben unsere Werte und Vorstellungen definiert. Solange eine Partei wie die FPÖ eine Fraktion mit Marine Le Pen teilt, oder solange die FPÖ in Oberösterreich Schüler dazu auffordert, Lehrer zu bespitzeln, sind die Voraussetzungen einer vertieften Zusammenarbeit mit der FPÖ nicht vorhanden. Da soll sich niemand täuschen.

In Oberösterreich ist der Tenor unter führenden SPÖ-Funktionären: Lieber mit der FPÖ als noch einmal mit der ÖVP. Haben Sie auch so ein Gefühl?

Ich warne zu glauben, dass das Leben mit einer FPÖ in der Regierung um so vieles leichter wird. Aber mich überrascht das nicht, die Zusammenarbeit mit der ÖVP war nicht immer leicht. In den vergangenen 22 Jahren hat die ÖVP vier Mal die Regierung aufgekündigt, weil man dachte, man zieht daraus einen Vorteil. Das ist schon bemerkenswert.

Sowohl in Wien als auch in Oberösterreich ist die SPÖ in der Krise. Halten Sie Ihre Partei schon für wettkampf-fit?

Wir sind die Einzigen, die ein inhaltliches Programm vorgelegt haben. Darum wird es am Ende gehen, da haben wir eine gute Situation. Dass wir in manchen Ländern schon bessere Zeiten erlebt haben – ich glaube, da müsste man blind sein, wenn man das abstreitet.

In Frankreich ist Emmanuel Macron von null an die Spitze gestürmt – ohne Partei als "Ballast". Neidisch?

Nein, weil Macron in europa- und wirtschaftspolitischen Fragen ähnliche Standpunkte vertritt wie ich. Es ist die Stärke der SPÖ, dass wir uns immer als Bewegung definiert haben, die im Dienst der Gemeinschaft agiert. Ich halte nichts von politischen Ich-AGs.

In Österreich versucht ÖVP-Spitzenkandidat Sebastian Kurz einen Siegeszug wie Macron, er liegt auch in den Umfragen sehr gut. Das muss Sie doch ärgern, dass einer, der schon jahrelang in der Regierung sitzt, nun als Neuer empfunden wird?

Ärgern tut mich das ganz und gar nicht. Das sind Momentaufnahmen. Faktum ist: Er ist das längstdienende Regierungsmitglied der ÖVP. Am Ende wird es um Substanz und Echtheit gehen.

Auch um Kampf?

Gegen inhaltliche Auseinandersetzung habe ich nichts. Aber ich habe Sorge, dass es ein schmutziger Wahlkampf wird. Wenn es ins Persönliche trifft, das geht für mich gar nicht. Das hatten wir leider zur Genüge. Im vergangenen Jahr hat es Beleidigungen gegeben, dass du dir denkst: Wo ist die Kinderstube dieser Leute? Wir haben eine Sammlung von den Aussagen der Sobotkas und Lopatkas dieser Welt. Das ist nicht unser Stil, das überlassen wir anderen.

Stichwort Kurz: Rund um seine Forderung, die Mittelmeerroute zu schließen, hat sich eine Fehde zwischen Ihnen beiden entwickelt. Halten Sie Kurz’ Vorschlag wirklich für einen "Vollholler"?

Jeder möchte, dass die Flüchtlingsströme über das Mittelmeer auf null reduziert werden. Das ist aber eine enorme Herausforderung, denn wir haben es mit Staaten zu tun, die völlig instabil sind. Wenn wir jetzt sagen, ihr müsst Flüchtlingslager für Hunderttausende errichten, dann wird das dort nicht wie in der Türkei funktionieren. Zu sagen: "Wir schließen die Mittelmeerroute – zack, erledigt", das wird es nicht spielen. Wenn man das fordert, muss man die Österreicher über die Konsequenzen informieren und sagen, wie viel Geld das kosten wird, das wir in die Entwicklung dieser Region investieren müssen. Ich wünsche mir da mehr Seriosität. Mehr Seriosität, weniger Vollholler.

Würden Sie mit Kurz auf ein Bier gehen?

Ja, sicher. Es ist jetzt eine Spannung da, aber das werden wir nicht auf persönlicher Ebene austragen.

Sie haben angekündigt, Ihre Zeit in der Politik auf zehn Jahre anzulegen. Was, wenn Sie im Herbst nicht mehr in der Regierung sind? Opposition? Ausstieg?

Mein Ziel ist eine progressive Mehrheit für Österreich in der Mitte des politischen Spektrums. Eine sozialliberale Mehrheit, wenn man so will. Viele sagen, die Umfragen geben das nicht her. Aber in Großbritannien war Jeremy Corbyn in Umfragen 24 Prozentpunkte hinten, und am Ende ist er bis auf zwei Prozentpunkte an Theresa May herangekommen. Ich bin optimistisch, dass es eine Mehrheit jenseits von ÖVP und FPÖ geben kann. Wenn nicht, werden wir an anderer Stelle für Österreich arbeiten. Es ist keine Schande, im Parlament die Bürger zu vertreten.

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