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Wird "totes Recht" bald lebendig? Juristen prüfen Ausnahmezustand

Von Christoph Kotanko   05.März 2016

Hausdurchsuchungen bei Tag und Nacht ohne richterlichen Beschluss, Versammlungsverbote, Ausgangssperren, militärisch bewachte Sicherheitszonen: Auf dem französischen Staatsgebiet herrscht seit den Terroranschlägen von Paris der Ausnahmezustand. Diese Beschränkung der bürgerlichen Freiheiten, die Präsident Francois Hollande anordnete, gab es zuletzt vor 50 Jahren, während des Algerien-Kriegs.

Der Notstand begann am 13. November 2015 und wurde mit Zustimmung der Nationalversammlung vorerst bis 26. Mai 2016 verhängt. Auf dieser Rechtsgrundlage wurden 3300 Wohnungen durchsucht, 400 mögliche "Gefährder" zwischenzeitlich unter Hausarrest gestellt.

Know-how auch aus Israel

Braucht Österreich ähnliche Instrumente? Wenn ja, unter welchen Bedingungen und in welchem Rechtsrahmen? Dieser Frage geht eine Arbeitsgruppe nach, die Innenministerin Johanna Mikl-Leitner eingesetzt hat. Resultate soll es bis zum Jahresende geben.

Im ersten Schritt sichten die Experten unter Leitung der aus Linz stammenden Rechtswissenschafterin Susanne Reindl-Krauskopf (Professorin für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie an der Uni Wien) die Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte.

Dazu leistet die Linzer Verfassungsrechtlerin Katharina Pabel einen wesentlichen Beitrag; sie wird ihre Erkenntnisse bei einer Fachtagung im Juni vortragen.

Der Artikel 15 der Menschenrechtskonvention erlaubt es "in extremen Krisenfällen", Grundrechte zu beschränken. Das galt zum Beispiel beim Kampf gegen die IRA in Großbritannien. "Aber nicht alles, was wir als Bedrohung empfinden, rechtfertigt die Aufhebung von Grundrechten", sagt Reindl-Krauskopf im Gespräch mit den OÖNachrichten.

Gesammelt werden auch die Regelungen in Frankreich, Deutschland, den Niederlanden, in der Schweiz und Israel. "Die Israelis haben eine breite Forschung und große Erfahrung mit Bedrohungslagen" (Reindl-Krauskopf).

Außerdem wird ein Überblick erarbeitet, welche Krisenmaßnahmen Österreich bereits hat.

So gibt die Bundesverfassung dem Bundespräsidenten ein Notverordnungsrecht, das allerdings bisher noch nie angewendet wurde. "Totes Recht" nennt es daher Reindl-Krauskopf: "Zum Glück gab es bisher keine Krisenfälle, in denen der Staat als Ganzes bedroht gewesen wäre."

"Wir reden nicht vom Krieg"

Zur Abwehr "eines nicht wieder gutzumachenden Schadens für die Allgemeinheit" kann der Bundespräsident auf Vorschlag der Bundesregierung "gesetzesändernde Verordnungen" erlassen. Er könnte auch den Regierungssitz und den Tagungsort des Nationalrates in ein anderes Bundesland als Wien verlegen.

Auch ein Landeshauptmann kann unter "außergewöhnlichen Umständen" und in Abstimmung mit dem Landtag Gesetze zeitweilig außer Kraft setzen.

Die Arbeitsgruppe, deren Projektpartnerin die Grazer Rechtsprofessorin Eva Schulev-Steindl ist, soll nun weiterführende Vorschläge machen. "Wir reden über die Reaktion auf terroristische Herausforderungen, auf Natur- und Umweltkatastrophen", schildert Reindl-Krauskopf: "Wir reden aber nicht vom Krieg."

Daher sind Definitionsfragen zu beantworten: Was ist eine Krise, was eine Katastrophe? Dann: Wie geht man in einem solchen Fall vor? Und, ganz wichtig: Wie wird der Rechtsschutz für die Bürger gewährleistet?

Reindl-Krauskopf: "Wenn es Grundrechtseingriffe gibt, brauchen sie eine starke Rückbindung im demokratischen Gesetzeswesen. Den Rahmen muss man in der Verfassung abstecken."

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29. März 2024