Walter Ötsch: „Wir befinden uns in einer Spirale nach unten“

LINZ. Die heutige Politik agiert kurzfristig und technokratisch, kritisiert Walter Ötsch, Volkswirtschafter und Kommunikationsexperte an der Universität Linz.
OÖN: Sie haben für Donnerstag und Freitag in Linz eine Tagung zum Thema Demokratie organisiert. Wie schaut die Zukunft der Demokratie angesichts der Finanzkrise aus?
Ötsch: Das Grundgerüst der Demokratie, die Wahlen, die Bildung von Parteien etc., das gibt es noch. Aber inhaltlich wird die Demokratie bzw. das Prinzip, wonach das Recht vom Volk ausgeht, ausgedünnt. Die Debatte um die Staatsschulden ist ein weiterer Schritt zur Aushöhlung der Demokratie. Wenn es in der EU eine gemeinsame Fiskalpolitik geben sollte, schwindet der Einfluss der einzelnen Länder auf die Gestaltung ihrer Budgets.
OÖN: Ist die Geschichte vom Versuch der Bewältigung der Finanzkrise nicht auch eine von der Ohnmacht der Politik?
Ötsch: Die Politik ist ideologielos geworden, es gibt allseits den Drang zur Mitte, die Parteien werden dadurch schwer unterscheidbar. Der Durchschnittsbürger fühlt sich von dieser Politik nicht mehr repräsentiert. Am Beispiel der Finanzkrise wird das deutlich. Niemand erklärt, warum es diese Krise gibt. Die einzige Antwort heißt sparen. Aber niemand zeigt auf, wozu wir es tun müssen und welche Perspektiven wir haben. Es gibt in Österreich niemanden, der ein Bild davon entwirft, wie unser Land in fünf Jahren ausschauen soll. Dieses gestaltende Element fehlt, die Politik ist kurzfristig und technokratisch. Der einzige, der den Leuten aus seiner populistischen Sicht die Krise erklärt, ist Strache. Aber seine Argumente sind zutiefst abzulehnen und würden die Lage zusätzlich verschärfen.
OÖN: Ist unsere Regierung für die Herausforderung der Krise gerüstet?
Ötsch: Ich glaube nicht. Sie wird sich auf einen Sparkurs einigen. Die Konservativen frohlocken, weil der überbordende Sozialstaat zurückgefahren wird. Wobei sie zum Teil recht haben, denn das Problem der Frühpensionen ist sicher ein Skandal. Durch diese Konzentration auf das Sparen findet aber eine Umdeutung der Krise statt. Sie hat ihren Ausgang 2008 nicht als Schulden-, sondern als Finanzkrise genommen. Die Banken haben sich mit dem Staatsschicksal verzahnt, darum haben wir heute eine europäische Banken- und Staatskrise – und die Situation ist dramatisch.
OÖN: Auch auf EU-Ebene hat man nicht den Eindruck, als könne man die Sache in den Griff bekommen.
Ötsch: Entscheidend ist, was Deutschland macht. Deutschland war anfangs gegen eine Griechenland-Hilfe, gegen einen Rettungsschirm etc. Gekommen ist trotzdem alles. Jedes Mal hieß es dann, diese Maßnahme sei entscheidend, aber die Lage wurde immer dramatischer. Diese Politik hat die Dinge verschlechtert, wir befinden uns in einer Spirale nach unten. Die Frage wird sein, was passiert, wenn eine massive Spekulation gegen Deutschland einsetzt. Die Deutschen sind handlungsfähig, dann sind drastische Aktionen zu erwarten.
Tagung
Wohin steuert die Demokratie? Zu dieser Frage lädt die Linzer Kepler-Uni am 1. und 2. Dezember zu einer Tagung in den Linzer Wissensturm. Zu Gast sind u. a. der Sozialwissenschaftler Colin Crouch und der Politologe Anton Pelinka (Beginn am 1. 12. um 19 Uhr).