Lange haben sich Gesellschaft und römisch-katholische Kirche mit dem Bauern aus St. Radegund schwergetan. Einstige Wehrmachtssoldaten fühlten sich angegriffen: Wenn Jägerstätter richtig gehandelt hat, was ist dann mit ihnen? Über die Wirkung des 2007 seliggesprochenen Innviertlers sprachen die OÖN mit Jägerstätter-Biografin Erna Putz.
OÖNachrichten: Für das Jägerstätter-Stück beim Theatersommer Haag mussten Zusatzvorstellungen eingeschoben werden. Dass es für ihn einmal so positives Interesse geben würde, war 1945 kaum absehbar ...
Erna Putz: Es gab immer beides: Jägerstätter hat Menschen schon zu Lebzeiten bewegt und beeinflusst. Gleichzeitig wurde er nicht verstanden, zum Beispiel vom damaligen Linzer Bischof Fließer. In Österreich hat man aus dem Buch des US-Soziologen Gordon Zahn und den Film „Der Fall Jägerstätter“ von Axel Corti (1971) mehr über ihn erfahren. Als dann die Anfragen nach einer Seligsprechung kamen, haben Kreise ehemaliger Wehrmachtssoldaten gedroht, die Mitglieder des Kameradschaftsbundes würden aus der Kirche austreten. Andere Kriegsteilnehmer sind aber zu den Jägerstätter-Gedenkfeiern gekommen.
Die Kirche hat lange zur Unterordnung unter die Obrigkeit aufgerufen – mit Hinweis auf den Paulus-Satz, wonach jede Obrigkeit von Gott sei. Was hat es ihr ermöglicht, den unbequemen Jägerstätter doch anzuerkennen?
Auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil wurde das Gewissen des Einzelnen betont – gerade auch mit Bezug auf Jägerstätter. Benedikt XVI. hat die Seligsprechung so begründet: Jägerstätter habe „sein Leben hingegeben in hochherziger Selbstverleugnung, mit aufrichtigem Gewissen, in Treue zum Evangelium und für die Würde der menschlichen Person“. Da zeigt sich die Veränderung: Bischof Fließer hatte noch gesagt, Jägerstätter dürfe nicht selbst entscheiden, was ein ungerechter Krieg ist.
Hat Jägerstätter jeden Krieg abgelehnt oder galt seine Verweigerung ganz konkret dem Angriffskrieg des verbrecherischen NS-Regimes?
Jägerstätter verweigerte die Kriegsdienst, weil er an Hitlers Eroberungskrieg nicht mitwirken wollte. Beim „Anschluss“ 1938 hat Jägerstätter gesagt, man hätte Österreich verteidigen sollen. Während des Krieges schrieb er, die anderen Völker hätten angesichts des deutschen Angriffskrieges wenigstens ein Recht, sich zu verteidigen; der Wehrmacht müsste Gott die Waffen aus der Hand schlagen. Je mehr sich Jägerstätter im Gefängnis dann mit dem Thema beschäftigt hat, umso mehr hat er den Widersinn des Krieges insgesamt gesehen. Darauf deutet auch eine Passage aus dem Urteil gegen ihn hin.
Welche Bedeutung hatten Kriegsdienstverweigerer aus religiösen Gründen – in der Mehrzahl Zeugen Jehovas – für das NS-Regime?
Ich habe gestaunt, als ich vor rund 20 Jahren in Prag die Akten des Reichskriegsgerichts durchgesehen habe: Das Gericht und das Oberkommando der Wehrmacht hatten Angst vor Kriegsdienstverweigerung aus religiösen Gründen. Sie dachten, das könnte sich ausbreiten. Immer wieder hieß es, dieser Gedanke müsse zusammen mit dem konkreten Verweigerer vernichtet werden.
Jägerstätter gilt als Vorbild in der Treue zu seinem Gewissen. Nachdem sich die Umstände verändert haben, bleibt die Frage: Worin genau ist er Vorbild? Wer kann sich auf ihn berufen?
Bei ihm geht es um ein informiertes Gewissen: Sich zu informieren war für ihn eine ganz starke Verpflichtung. Er hat sich auch mit anderen Menschen beraten und vieles niedergeschrieben, um Rechenschaft abzulegen. Wer sich Jägerstätter als Vorbild nimmt, der muss das auch in seiner Gründlichkeit und genauen Analyse tun.
Der israelische Dramatiker Joshua Sobol hat Jägerstätter in Zusammenhang gebracht mit den „Refuseniks“, israelischen Soldaten, die sich weigerten, in den besetzten palästinensischen Gebieten Militärdienst zu leisten. Ist das zulässig?
Natürlich kann man NS-Deutschland nicht mit dem Staat Israel gleichsetzen. Aber ganz allgemein gesprochen: Für den Einzelnen gibt es immer wieder die Frage: Was kann ich noch verantworten, wie nehme ich meine Verantwortung wahr? Die Antwort der israelischen Soldaten ist differenziert: Sie verweigerten den Militärdienst für ihr Land ja nicht generell.
Franziska Jägerstätter ist heuer knapp nach ihrem 100. Geburtstag verstorben. Wie wird ihre Rolle als diejenige, die zu ihrem Mann und seiner Entscheidung gestanden ist, wahrgenommen?
Ihre Rolle war auch die, Menschen zur Begegnung mit dem Vermächtnis ihres Mannes einzuladen. Die Katholische Männerbewegung hat jüngst die Seligsprechung von Franziska vorgeschlagen. Da gibt es aus meiner Sicht in der Kirche vernünftige Fristen dafür. Ich denke, wir sollten uns jetzt ein bisschen Zeit lassen.
Jägerstätter-Gedenken
Franz Jägerstätter wurde am 9. August 1943 vom NS-Regime als Kriegsdienstverweigerer in Brandenburg/Havel enthauptet. Zum 70. Todestag gibt es morgen einen Vortrag zum Thema „Franz Jägerstätter und die Bibel“ um 10 Uhr im Pfarrheim Tarsdorf. Um 13.30 Uhr startet in Tarsdorf eine Wallfahrt zur Pfarrkirche St. Radegund, der Heimat Jägerstätters. Um 16 Uhr ist dort eine Andacht, um 19.30 Uhr ein Gottesdienst mit Altbischof Aichern. Gedenkveranstaltungen gibt es auch in Brandenburg und in London.