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"Ihr rotes Gesindel, hinaus mit euch!"

Von Hannes Fehringer   11.Februar 2014

Die Mutter nähte Hemden und Röcke, der Vater verdiente als Hausmeister bei der Gebietskrankenkasse in Linz das tägliche Brot für die Arbeiterfamilie im Garstner Kraxenthal. Johann Weiss wurde in der Linzer Bethlehemstraße bei den Februarkämpfen 1934 hinterrücks von einem Heimwehrmann erschossen. Die Familie stürzte von einem Tag auf den anderen in die Armut. Franz Weiss (94), Bürgermeister von Steyr zwischen 1974 und 1984, erinnert sich an die Schicksalstage.

OÖN: Wann haben Sie Ihren Vater das letzte Mal lebend gesehen?

Franz Weiss: Jedes Wochenende ist unser Vater heimgekommen und jeden Sonntag wieder nach Linz gefahren, da hat er ein Zimmer gehabt und als Hausmeister bei der Gebietskrankenkasse gearbeitet. Am 11. Februar bin ich mit ihm von Kraxenthal zum Bahnhof gegangen und er hat gesagt, dass er jetzt eine Wohnung für uns in Linz gefunden hat und für mich einen Lehrplatz als Rauchfangkehrer. Aber zuerst, so hat er gesagt, "Passt’s auf, morgen wird etwas passieren. Geht’s nicht außer Haus und die Mutter soll auch nicht einkaufen gehen. Wartet’s ab, was geschieht." Da habe ich gesagt: "Vater, was soll denn geschehen?" Und er darauf: "Nein, das kann ich dir nicht sagen."

Ihr Vater ist dann am 13. Februar in der Bethlehemstraße erschossen worden.

Zwei Tage später stand der Sekretär von der Gewerkschaft vor der Tür und verständigte meine Mutter, dass der Vater verletzt im Spital liegt. Er war außerhalb von dem Gebäude auf der Straße, warum und wieso wissen wir nicht. Wir wissen auch nicht, wer der Schütze war, der ihn von hinten angeschossen hat. Mein Vater ist mit einem Bauchschuss, der seine Gedärme zerfetzt hat, auf der Straße zusammengebrochen. Die Heimwehr hat zwei Stunden keine Rettung zu ihm gelassen und sogar die Rettung mit Schreckschüssen verjagt. Am nächsten Tag, am 14. Februar, ist alles in eine Sepsis übergegangen und er starb.

Wie haben Sie das Begräbnis in Erinnerung?

Schon am Freitag haben wir das Begräbnis gehabt, er ist aufgebahrt gewesen in der Feuerhalle. Ich habe im offenen Sarg noch einmal sein halb gelb und weißes Gesicht gesehen, wie er ausgeblutet war. Wir waren nur sechs Verwandte, die zum Begräbnis durften. Die Heimwehr hat mit aufgepflanztem Bajonett einen Sperrriegel zum Friedhof errichtet, weil sie eine Zusammenrottung gefürchtet haben. Die Volksseele hat ja gekocht. Nicht einmal meinen Bruder haben sie zum Begräbnis gelassen. Sie hatten ihn eingesperrt, nachdem er als Wehrturner bei den Auseinandersetzungen dabei gewesen war.

Das Leben musste weitergehen. Sie haben dann einen Lehrplatz bei den Steyr-Werken bekommen – aber mit Widerständen.

Ich wurde nach den Februartagen als Kind in die Schweiz verschickt. Als ich zurückkam, hieß es, ich bekomme einen Lehrplatz in den Steyr-Werken. Beim Vorstellungsgespräch bei Personalchef Wünsch trug meine Mutter noch den Trauerflor. Er fragte: "Sie haben einen Trauerfall?" Meine Mutter antwortete: "Ja, mein Mann, bei den Februarkämpfen." Da sagte er, der Hauptmann bei der Heimwehr war: "Als treuer Kämpfer für die Heimat ist er gefallen." Meine Mutter sagte: "Beim Schutzbund war er." Da sprang er auf, wurde fuchsteufelswild und schrie: "Ihr rotes Gesindel, schauts, dass ihr hinauskommt." Aber der Prokurist Dr. Runkel, der bei der evangelischen Gemeinde Kurator war, erfuhr vom evangelischen Pfarrer Fleischmann, der SP-Mitglied war, über unser Schicksal. Er verhalf mir zu der Schlosserlehre, bei der ich zwei Schilling Wochenlohn zum Einstieg bekam.

Das Hemd ihres Vaters trugen Sie dann als Lehrbub zur Arbeit.

Wir sind von einem Tag zum anderen in die Armut abgestürzt. Meine Mutter stopfte das Einschussloch und ich trug das Flanellhemd noch lange. Für die Füße hatte ich nur meine Arbeitsschuhe, die ich auch am Sonntag getragen habe.

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19. April 2024