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Gerhart Holzinger: Ein Anwalt der Österreicher

Von Jasmin Bürger   01.August 2015

Ein meterhoher Aktenstoß und 14 Juristen: Das sind beste Voraussetzungen für lange Diskussionen – auch am Verfassungsgerichtshof (VfGH), der auf Antrag prüft, ob ein Gesetz den Grundsätzen der Verfassung widerspricht.

In der aktenintensiven Causa Hypo Alpe Adria leitete VfGH-Präsident Gerhart Holzinger also mehr als 40 auch "turbulente" Sitzungsstunden. Denn, so Holzinger: "Da ist die Topklasse der österreichischen Juristerei vertreten, jeder ist von der Richtigkeit seines Standpunktes überzeugt." Der Präsident hat die Diskussion in geordnete Bahnen gelenkt: Diese Woche erklärte das Gericht den von der Regierung für einige Hypo-Gläubiger verfügten Schuldenschnitt für verfassungswidrig.

Holzinger gelang es bei der Pressekonferenz, ein 155-Seiten-Urteil in wenigen Worten auch Laien plausibel darzulegen. Seit 2008 ist der 68-Jährige VfGH-Chef. Aus dem Juristendeutsch eine verständliche Sprache zu machen, ist ihm wichtig: "Es ist unsinnig, Dinge, die viele Menschen betreffen, so zu formulieren, dass es außer ein paar Eingeweihten niemand versteht."

Holzinger entwickelte schon früh eine Leidenschaft für Sprache, präzise Formulierungen fallen ihm leicht, er ist extrem zielorientiert, strukturiert. Sein großer Schreibtisch ist Spiegelbild dieses Naturells: aufgeräumt, Kodizes Rücken an Rücken, wenige private Fotos. An den Wänden des denkmalgeschützten holzgetäfelten Büros moderne Bilder, in der Vitrine glänzt ein grün-weißer Ball.

Grün-weißes Fußballherz

Holzinger ist Rapid-Anhänger, "wohl einer meiner wenigen unoberösterreichischen Charakterzüge", sagt er. Die Leidenschaft für den Wiener Klub ist in der Gymnasialzeit in Gmunden erwacht. Statt der damals viel umjubelten Wiener Austria "mit dem gepflegten Spielstil" sagte Holzinger "die Arbeiter- und Kämpfermannschaft" zu.

Verständlich, bei seiner Vita: Der Vater war bei der OKA (Vorgänger der Energie AG), die Mutter Hausfrau. Holzingers, er hat eine Schwester, lebten bescheiden in der OKA-Siedlung. Ein Gymnasiumbesuch? Denkbar unmöglich.

Bis in der 3. Klasse Hauptschule der Direktor bei den Eltern vorstellig wurde: "Ich war mir keiner Schuld bewusst, trotzdem war es mir ein bissl unheimlich", erinnert sich der Jurist. Der Mathelehrer empfahl nur, "den Buam ins Gymnasium zu geben". Holzinger war der Erste in der Familie, der maturierte und studierte: in Salzburg zunächst Germanistik. Die Biedermeier-Lyrik vergällte ihm diese Wahl. Was er heute "ein bisschen grotesk" findet: Denn die Interpretation von Biedermeier-Gedichten hat ihn "abgeschreckt", "als Jurist ist man aber auch immer wieder mit der Interpretation von Texten beschäftigt".

Drei Jahre, bis 1975, war er nach Jus-Abschluss Uni-Assistent, doch die reine Theorie war nicht seins. Also bewarb sich Holzinger, der beim Cartellverband ist, aber nie parteipolitisch engagiert war, im Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts in Wien und bekam unter Bruno Kreisky (SP) den Job.

Frisch verheiratet mit Karin, einer Gmundner Bankangestellten, "bin ich jedes Wochenende heimgefahren, ich habe ja in Wien keinen einzigen Menschen gekannt".

Emotionale Heimatbindung

Mit den Töchtern – 1982 und 1983 geboren – kam die Übersiedlung. In Dornbach, am Rande des Wienerwalds, fühlt sich der Kulturfan nun zu Hause. Die Wurzeln zur Heimat sind aber vital, in Gmunden hat Holzinger eine Wohnung. "Es ist eine sehr emotionale Bindung, der Traunstein ist mein Lebensberg", die jährliche Besteigung "ein Ritual, das mir fehlt, wenn ich nicht dazu komme." Heuer ist der Gipfelsturm gelungen.

Holzinger liebt Herausforderungen, hat zig Marathons absolviert, vor neun Jahren noch beim "Iron Man"-Triathlon mitgemacht. Warum er sich solche Qualen antut? "Weil ich nur im Training für einen Marathon regelmäßig, auch bei Regen, laufe." Und ihn reizt "die absolute Grenzerfahrung, dieser Kick, wenn du glaubst, es ist unmöglich, noch einen einzigen Schritt zu tun, und dann geht’s doch." Eine Erfahrung, die in langen Sitzungen nützt.

Ausdauer zeigte Holzinger auch im Kanzleramt. Ab 1984 war er Leiter des Verfassungsdienstes, dann Sektionschef. Der Dienst prüft Gesetzespläne, bevor sie in die Beschlussfassung gehen. Über Holzingers Tisch gingen auch Vorhaben, "wo man als Jurist warnen musste, dass diese nicht halten könnten", sagt er. "Das ist dann das Risiko der Politik, es zu machen."

An der Schnittstelle Politik und Juristerei zu arbeiten, ist für Holzinger die berufliche Erfüllung – VfGH-Präsident "das Nonplusultra". Das Höchstgericht wacht als letzte Instanz über die Gesetze. Im Verhandlungssaal prangt in goldener Schrift Artikel eins der Bundesverfassung an der Wand.

Man kann Holzinger durchaus als Anwalt des Volkes bezeichnen: Er ist Gesetzeshüter und moralische Instanz. Mit klaren Worten weist der frühere Vorsitzende des Menschenrechtsbeirats immer wieder auf gesellschaftspolitische Missstände hin. Die von ihm gekippte Vorratsdatenspeicherung – ein Schritt in eine "unfreiere Gesellschaft". Die lange verschleppte Reform parlamentarischer Untersuchungsausschüsse: "unerträglich". Der reflektierte Jurist kann emotional werden: "Weil es mir als Staatsbürger in der Seele weh tut, dass jeder weiß, dass man etwas ändern muss, aber nichts passiert." Da sagt er etwas, "selbst auf die Gefahr hin, dass mir der eine oder andere bös’ ist, das werde ich aushalten."

Manche sehen ihn deshalb als Bundespräsidentschaftskandidaten. Holzinger: "Präsident bin ich eh schon – so Gott will, bis 2017. Die Gedanken für nach dem VfGH kreisen eher um Dinge, die ich jetzt vernachlässige." Oper, Theater – und im acht Monate alten, ersten Enkelsohn will der Neo-Opa schließlich auch Fußballleidenschaft wecken.

 

Nachgefragt ...

Heimat ist für mich … „Ein wichtiger Lebensmittelpunkt“

Heimweh nach Oberösterreich bekomme ich … „Spätestens, wenn ich auf der Autobahn den Traunstein sehe“

Das fehlt mir in Wien aus Oberösterreich ... „Die Berge“

Mein Lieblingsplatz in Wien ... „Dornbach“

Das gibt es nur in Wien ... „Den Heurigen“

Der größte Unterschied zwischen Wienern und Oberösterreichern ist ... „Die Oberösterreicher sind gemütlicher“

 

2995 Verfahren sind im Jahr 2014 zur Entscheidung beim VfGH gelandet, rund die Hälfte davon Asylrechtsfälle. Dazu kamen 1099 Verfahren, die aus früheren Jahren übernommen wurden. Die 14 Höchstrichter mit 96 Mitarbeitern waren fleißig: 3184 Verfahren konnten in an die 500 Sitzungsstunden 2014 abgeschlossen werden.

1995 wechselte Holzinger vom Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts, wo er Sektionschef war, in den VfGH. 1997 habilitierte er an der Universität Graz, seit 2002 ist er Uni-Professor, seit 2013 Präsident der Wiener Juristischen Gesellschaft.

Vier Stunden und vierzig Minuten: Diese Zeit ist Holzinger beim heurigen Wien-Marathon gelaufen. Seine Bestzeit war 2:35, heuer steht noch der Wolfgangsee-Lauf auf dem Plan.

 

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24. April 2024