Wladimir Putin: Mit 70 auf dem sicheren Weg zur Selbstzerstörung

Wladimir Putin lässt sich schon vor seinem Geburtstag als antiwestlicher Mehrer russischen Landes feiern.
Am Freitag wird Russlands Präsident 70 Jahre alt. Eine Woche vorher hat Wladimir Putin im Kreml die zumindest teilweise besetzten Regionen in der Ukraine feierlich zu russischem Staatsgebiet erklärt. 37 Minuten lang erklärte er dem Kremlpublikum die Weltgeschichte. Mit Temperament sprach er von den Verbrechen des Westens, die USA hätten schon zweimal Kernwaffen eingesetzt, Hiroshima und Nagasaki zerstört. "Damit haben sie einen Präzedenzfall geschaffen." Die Welt rätselt, ob Putin diesen Präzedenzfall für einen eigenen Nuklearschlag nutzen will.
Er ist etwas rundlich geworden, sein Gesicht wirkt leicht geschwollen. Ärzte mutmaßen, er leide am Parkinson-Syndrom, auch weil er die linke Hand jetzt mit Vorliebe irgendwo festhält.

Noch lange kein Greis
Aber Putin ist kein Greis, noch immer kann er stundenlang fulminant räsonieren. Kein Vergleich zu Boris Jelzin, als der mit 69, herzkrank und alkoholabhängig, Silvester 2000 Putin mit schleppender Stimme zu seinem Thronfolger ausrief. Der präsentierte sich den Russen von Anfang als Mann deftiger Sprüche und Taten. "Murkst sie ab, wenn nötig, im Klo!", befahl Putin den Truppen im Krieg gegen tschetschenische Separatisten.

Die meisten Russen waren stolz auf Putin. Und der hatte Fortune, in seinen ersten zwei Amtsperioden kletterte der Ölpreis von unter 20 auf über 100 Dollar, die Durchschnittslöhne stiegen jährlich um über 50 Prozent.
Bis heute stört es nur eine Minderheit, dass er nach Einschätzung des schwedischen Wirtschaftsexperten Anders Oslund über Strohleute ein Vermögen von 100 bis 130 Milliarden Euro beiseitegeschafft hat. Putin wuchs in der gleichen Gefühlswelt auf wie die meisten Russen, die die Sowjetunion noch mitbekommen haben. Sie hingen vom Staat ab, bekamen von ihm Arbeit zugeteilt. Aber über seine Parolen machten sie Witze. Sie ließen sich Kommunismus predigen und klauten Klopapier. Und sie knüpften mit Verwandten oder Datschennachbarn Netzwerke, um sich gegenseitig Wurst zu organisieren. "Den Russen hat es immer imponiert, wie reich Putin ist", sagt der Moskauer Geschichtslehrer Maxim. "Und wer kann, klaut im kleinen Stil selber."

Als Putin 2014 die Krim annektierte, gipfelte die Zustimmung in sowjetnostalgischer Euphorie. Putin ist wie viele Russen ein Kind sowjetischer Heuchelei. "Sie lügen wie Goebbels", beschuldigt er den Westen. Aber seine eigenen Unwahrheiten sind berühmt. Putins Flunkerei von 2014, die russischen Soldaten auf der Krim seien örtliche Landsturmmänner, die ihre Ausrüstung in Military-Läden gekauft hätten, feierte die vaterländische Öffentlichkeit hinterher als Kriegslist. Auch daran, dass er noch diesen Februar verkündete, man plane nicht, ukrainische Gebiete zu besetzen, wollte sich bei den Annexionsfeierlichkeiten niemand erinnern.
Doch selbst Kernwähler waren schockiert, als er am 21. September die Teilmobilmachung "zur Verteidigung des eigenen Vaterlandes" ausrief. Obwohl sein Verteidigungsminister am gleichen Tag versicherte, man habe in der Ukraine in sieben Monaten nur 5000 Mann verloren, aber 50.000 Feinde vernichtet. "Putin ist verrückt geworden", sagt jetzt auch ein erzpatriotischer Moskauer Chefmanager im Privatgespräch.
Seit Jahren hegt Putin einen weiteren vaterländischen Wert: die Atombombe. Schon 2007 erklärte er, Russlands traditionelle Konfession und sein Nuklearschild seien die Grundvoraussetzungen für die Sicherheit des Landes. 2018 versicherte er noch, Russland werde Atomwaffen nur als Antwort auf einen Nuklearangriff anwenden, dabei aber die Apokalypse in Kauf nehmen. "Wir kommen als Märtyrer in den Himmel, sie aber verrecken."
"Bei einer Bedrohung der territorialen Unversehrtheit unseres Landes", so drohte er bei der Ankündigung der Annexion, "werden wir zweifelsohne alle uns zur Verfügung stehenden Mittel benutzen. Das ist kein Bluff." Aber er müsste die ersten Raketen abfeuern, sobald seine Annexion in Russland rechtskräftig wird. Weil sie Gebiete umfasst, die die Ukrainer entweder halten oder gerade zurückerobern. Und die Frontlage wirkt immer kritischer. Ein langjähriger Mitarbeiter Putins sagt dem Rechercheportal Faridaily, für Putin gebe es kein Zurück. "An jeder unangenehmen Weggabelung wird er die Eskalation bis zu Atomwaffen wählen."
Blufft Putin?
Allerdings neigen solche kremlnahen Quellen dazu, Journalisten die Wahrheiten zuzuflüstern, die Putin selbst gern in die Welt setzen würde. Regimekritiker glauben, Putin bluffe. Sein imperialer Spleen sei unecht, sagt der Exiloppositionelle Leonid Wolkow. "Seiner DNA nach ist er ein kleiner Gauner, er liebt junge Mädchen, ein schönes Leben, Schlösser, Luxusyachten." Putin ist einer, der sich nach Ansicht des Politologen Juri Korgonjuk verzockt hat.
"Seine letzte Karte ist die Atombombe, aber mit ihr kann er nur drohen, nicht schlagen." Auch Putin habe Kinder und Enkel. "Er mag ein Betrüger sein, aber er ist kein Selbstmörder."
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