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Wie die Ukraine durch den ersten Kriegswinter kommen will
KIEW. Ohne Heizung, Strom und Wasser wird das Überleben immer härter – Europa muss sich auf eine neue Fluchtwelle einstellen.
Der erste Schnee ist gefallen, die Temperaturen sind unter null gesunken. Doch der Ukraine-Krieg geht erbarmungslos weiter.
- Wie ist die Energiesituation zum Winterbeginn? Nach der Serie russischer Raketenangriffe auf das Stromnetz kämpft die Ukraine mit massiven Stromausfällen. Laut Netzbetreiber Ukrenerho fehlt landesweit mehr als ein Viertel der nötigen Strommenge. Zugleich versucht Ministerpräsident Denys Schmyhal zu beruhigen: 14 Milliarden Kubikmeter Erdgas und 1,3 Millionen Tonnen Kohle an Reserven reichten aus, um das Land mit Elektrizität und Fernwärme zu versorgen. Über 50 Prozent des Strombedarfs werden ohnehin durch die Atom- und Wasserkraftwerke gedeckt.
- Kann sich das Land mit Lebensmitteln versorgen? Bisher haben die Attacken nicht zu Versorgungslücken geführt. Aufgrund von Arbeitslosigkeit und einer Inflationsrate von 26,6 Prozent im Oktober können sich aber immer weniger Ukrainer Lebensmittel und andere Produkte des täglichen Bedarfs leisten.
- Ist eine neue Flüchtlingswelle zu erwarten? Im Hinterland haben sich die Bewohner bereits auf Raketenangriffe und Stromausfälle eingestellt. An der Front ist vorerst nicht mit russischen Durchbrüchen zu rechnen, die eine neue Fluchtwelle auslösen könnten. Sollten neue russische Luftschläge aber zu irreparablen Blackouts und Heizungsausfällen führen, könnten viele Ukrainer in die Europäische Union fliehen – insbesondere, wenn das aktuelle Frostwetter in der Ukraine länger anhält.
- Welche Auswirkungen wird der Winter auf die Kriegsführung haben? Im Winter wird die derzeitige operative Pause durch den Herbstschlamm vermutlich beendet. Für die Ukraine, die auf schnelle Vorstöße setzt, ergeben sich wieder bessere Voraussetzungen, ihre Taktik umzusetzen. Während die Russen immer noch überlegene Feuerkraft haben, sind die Ukrainer in der Manövrierfähigkeit überlegen. Wichtig wird allerdings sein, welche Seite ihre Soldaten und Technik besser für den Winter ausgerüstet hat. Die meisten Beobachter sehen die Ukraine hier vorn.
- Kann Russland aus der gezielten Bombardierung von Energieobjekten tatsächlich militärischen Nutzen schlagen? Der Dauerbeschuss zielt zudem darauf ab, die Ressourcen der ukrainischen Luftabwehr zu schwächen, die sich auf viele Punkte konzentrieren muss. Daneben schaffen die Blackouts auch bei der Versorgung der Armee und der Truppenverlegung Schwierigkeiten. Die Bahn ist teilweise lahmgelegt. Die Produktion von Munition und Kriegswaren wird ebenfalls behindert. Allerdings haben während des Kriegs die Bedürfnisse der Front Vorrang. Die wenigen Stromkapazitäten werden für kriegswichtige Einrichtungen reserviert. Zumindest aus militärischer Sicht ist damit der Nutzen solcher Bombardements begrenzt.
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