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Was Boris Johnsons Niederlage vor Gericht für den Brexit bedeutet

Von Heidi Riepl, 25. September 2019, 00:04 Uhr
Boris Johnson
Boris Johnson verfolgte das Urteil aus New York, wo er an der UNO-Vollversammlung teilnahm. Bild: Reuters

LONDON. Die Opposition jubelt – der britische Regierungschef denkt jedoch nicht an Rücktritt.

Im Machtkampf mit dem Parlament hat der britische Premier Boris Johnson eine schwere Schlappe erlitten: Die von ihm verhängte Zwangspause für das Parlament ist laut Oberstem Gericht unrechtmäßig. Zurücktreten will Johnson nicht. Er will Neuwahlen.

Warum befasste sich das Oberste Gericht überhaupt mit der Parlamentspause?

Regierungschef Johnson hatte eine fünfwöchige Zwangspause für das Parlament angeordnet, die bis zum 14. Oktober dauern sollte. Offenbar ging es ihm darum, das Parlament in den entscheidenden Wochen vor dem geplanten EU-Austritt am 31. Oktober lahmzulegen – damit er den Brexit ungestört durchpeitschen kann. Dagegen hatten 70 Parlamentsmitglieder geklagt.

Wie lautet nun das Urteil?

Das Oberste Gericht entschied zunächst einstimmig, dass die Zwangspause nicht reine Politik, sondern ein Fall für die Justiz ist. Auch waren sich die Richter einig, dass die Parlamentspause "illegal" sei. Dies berühre die "Fundamente der Demokratie", sagte die Vorsitzende Richterin Lady Brenda Hale. Das Parlament müsse in der Lage bleiben, die Regierung zu kontrollieren, und habe ein Recht darauf, in der Zeit vor einem wichtigen Ereignis wie dem Brexit eine Stimme zu haben. Es handelt sich laut Hale um einen einmaligen Fall, den es unter diesen Umständen noch nie gegeben habe. Die Zwangspause wird ab sofort aufgehoben.

Warum ist das Urteil so brisant?

Aus drei Gründen: Erstens ist das Urteil der Richter messerscharf und kompromisslos – und damit klarer als erwartet. Zweitens: Nach diesem Urteil muss sich Johnson den Vorwurf gefallen lassen, er habe Queen Elizabeth II über die wahren Motive für die Parlaments-Vertagung getäuscht: Die Königin musste seine Anordnung formell absegnen – und verließ sich, wie üblich, auf den rechtlichen Rat der Regierung, der sich nun als rechtswidrig herausgestellt hat. Drittens: Das Parlament kommt bereits heute um 12.30 Uhr wieder zusammen und wird dann versuchen, Johnson den Weg zu einem No-Deal-Brexit endgültig zu verbauen; ein Gesetz, das einen vertragslosen Austritt Ende Oktober verbietet, hatte das Parlament zwar schon beschlossen, Johnson will das womöglich ignorieren. Dem Parlament bleibt auch noch genügend Zeit, um ein Misstrauensvotum gegen Johnson vorzubringen. Alle Oppositionsparteien forderten gestern bereits Johnsons Rücktritt.

Wie reagierte der Regierungschef?

Den Premierminister erreichte die Nachricht am Rande der UN-Vollversammlung in New York. Das Urteil ist für ihn eine Katastrophe. Er verweigerte zunächst jeglichen Kommentar, betonte dann aber, dass Großbritannien die EU am 31. Oktober verlasse, "komme was wolle". An einen Rücktritt denkt er nicht. Es habe "extreme gute Gründe" für die Zwangspause gegeben, sagte er. Johnson hat sogar schon einen neuen verwegenen Plan entwerfen lassen, um das Parlament weiter matt zu setzen. Seine Juristen haben ihm mehrere Optionen ausgearbeitet, eine davon: Er könnte jetzt erneut eine Zwangspause bis Mitte Oktober anordnen. Begründung: Die Regierungserklärung, die die Queen der Tradition entsprechend zu Beginn der neuen Sitzungsperiode im Parlament verlesen wird, müsse gründlich vorbereitet werden. Ob es nach dem gestrigen harschen Urteil wirklich so weit kommt, ist unklar. Denn Johnson versucht nun die Flucht nach vorne und forderte Neuwahlen. "Wir sollten eine Wahl haben", sagte Johnson.

Sind Neuwahlen ein Ausweg?

Nein, erstens bringen sie keine konkrete Mehrheit. Großbritannien ist zutiefst gespalten. Zweitens kann Johnson selbst durch seinen Rücktritt Neuwahlen nicht direkt erzwingen – er braucht dafür die Unterstützung von zwei Dritteln des Unterhauses.

Wie geht es jetzt mit dem Brexit weiter?

Schwer zu sagen. Angesichts der unklaren innenpolitischen Lage könnte London eine erneute Verschiebung des derzeit für den 31. Oktober geplanten Brexits beantragen. Auf EU-Seite müssten die Staats- und Regierungschefs der anderen 27 Mitgliedstaaten allesamt zustimmen, was aber sehr unwahrscheinlich ist. Johnson ist jetzt zwar angeschlagen, jedoch nicht am Ende. Für ihn ist der Brexit am 31. Oktober weiter ein Fixtermin. Da die Verhandlungen mit der EU über Last-Minute-Änderungen am Brexit-Vertrag zur irischen Grenzfrage stocken, scheint auch ein No-Deal-Brexit wieder wahrscheinlich. Möglich ist auch ein neuerlicher Gerichtsstreit, der die Brexit-Entscheidung erneut auf Eis legt.

Wie reagierte die EU?

Führende EU-Abgeordnete begrüßten das Londoner Urteil gegen die Zwangspause. Zugleich verlangten sie Klarheit bei dem für den 31. Oktober geplanten EU-Austritt. "Zumindest ein großer Trost in der Brexit-Saga: Der Rechtsstaat in Großbritannien ist quicklebendig", twitterte der Brexit-Beauftragte im EU-Parlament, Guy Verhofstadt. Der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber, sprach von einem guten Tag für die parlamentarische Demokratie.

Video: Nach der Zwangspause tagt das britische Parlament in London wieder. Eva Pöcksteiner (ORF) berichtet:

Der Brexit-Zeitplan

  • 25. September: Das Unterhaus tritt wieder zusammen.
  • 29. September bis 2. Oktober: Parteitag der regierenden britischen Konservativen
  • 15. Oktober: In Luxemburg wollen die verbliebenen 27 EU-Länder auf Ministerebene über den Brexit beraten.
  • 17. und 18. Oktober: EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs
  • 19. Oktober: Frist im Gesetz gegen den No-Deal-Brexit läuft ab. Sollte bis dahin kein Austrittsabkommen ratifiziert sein, muss der britische Premierminister eine Verschiebung des Brexits beantragen.
  • 31. Oktober: Voraussichtlich letzter Tag der Briten in der EU
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Autorin
Heidi Riepl
Redakteurin Außenpolitik, Weltspiegel
Heidi Riepl

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7  Kommentare
7  Kommentare
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Alcea (10.015 Kommentare)
am 25.09.2019 19:59

Die Demokratie in England ist ein Scherbenhaufen.
Nicht wegen des Brexit, nicht wegen der oftmaligen Versuche die EU in die Knie des Brexit zu zwingen. Es ist ihnen nicht gelungen. Die Mehrheit im Parlament unter Boris Johnson hat sich für die Parlamentspause entschieden. Es half das Mehrheitsprinzip, nicht die Notwendigkeit, dass diese Pause erforderlich ist, das hat das oberste Gericht entschieden.

In Österreich haben zwei Parteien den Rücktritt einer angelobten Regierung erzwungen. Nicht wegen der Vernunft, nur wegen der Mehrheit im Parlament. Fragt hier niemand bei der Verfassung nach, ob die Republik gefährdet war oder nur weil eine Mehrheit entschieden hat. So etwas ist eine gewaltige Gefahr für unsere bestehend Republik.

Sollten wir nicht auch Gerichte fragen, ob dieses Misstrauen nur aus parteipolitischen Gesichtspunkten angestrebt wurde, oder weil wirklich die Republik Österreich in Gefahr war.

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boris (1.939 Kommentare)
am 25.09.2019 17:15

Die Steigerungsform von Chaos heißt Brexit. Das Erstaunlichste daran ist eigentlich, dass in dieser Angelegenheit die "restlichen" 27 Länder trotz vieler anderer Widersprüche zusammenhalten und ich deute das für ein eher gutes Zeichen für die Zukunft der EU. Der Wohlstand in Europa wurde durch das "Nicht mehr gegeneinander Krieg führen" (Kriege bringen enorme Schäden an Menschen, Dingen und v.a. an der Natur) erzielt. Ursprüngliche "Erzfeinde" (z.B. Frankreich und Deutschland) sind nun zur "Stabilitätsachse" geworden im Gegenteil zu den Tendenzen vor den jeweiligen Weltkriegen.
Meine Vermutung ist, dass letztlich die Briten nach langem Gezerre und weiteren Terminverschiebungen durch ein neues Referendum - bei dem das Volk bereits einen Vorgeschmack des Austritts hatte und nicht mehr den Lügen der "Rattenfänger" glaubt - in der EU bleiben werden, denn nur so können sie ihre "Rosinen" retten. Die Zukunftschance der jungen liegt weit eher innerhalb der EU als außerhalb.

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jopc (7.371 Kommentare)
am 25.09.2019 09:40

Unbestrittenes Faktum ist, die herrschende Politelite WILL den Auftrag der Bürger einfach nicht erfüllen.
Auch daran zu erkennen dass May schon alle möglichen Prügel zwischen die Beine geworfen wurden.
Das Ziel der abgehobenen Elite lautet:
GB in der EU zu halten. Das ist aber nicht der Wunsch der Bürger.

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weinberg93 (16.330 Kommentare)
am 25.09.2019 09:47

Aber auch ein No-Deal-Brexit ist NICHT der Wunsch der Bürger.

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jopc (7.371 Kommentare)
am 25.09.2019 11:00

Sagt wer?

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ElimGarak (10.745 Kommentare)
am 25.09.2019 10:36

Es ist doch gerade die Elite, die den Austritt von Grossbritanniens heftigst gefordert ud gefördert hat. Diese Schicht und die Landbevölkerung Großbritanniens haben tendenziell für den Austritt gestimmt, die urbane Bevölkerung eher für Verbleib!
Bestes Beipiel ist der London Daily Telegraph, der als einer der bedeutensten Qualitätsblätter die Blattlinie Pro Brexit für seine mittel bis Oberschichtleser ausgegeben hatte auch wenn die Großzahl der (im Londoner Speckgürtel lebenden) Journalisten sehr dagegen waren. Aber die Blattlinie musste eingehalten werden.
Die Brexit Kampagne wurde von vielen bedeuetenden großen Wirtschaftstreibenden unterstützt.

Mich würde (ernsthaft und nicht polemisch) interessieren, welche Indizien sie dafür haben, dass die Oberschicht in der Mehrheit eher contra Brexit ist.

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jopc (7.371 Kommentare)
am 25.09.2019 11:03

Die urbane Bevölkerung ist eben nicht GB.
Auch wenn sie sich für den Nabel der Welt hält.
Sieht man ja auch bei uns am Beispiel Wien.

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