Proteste gegen Auslieferungsgesetz in Hongkong dauern an
HONGKONG. Unbeirrt von den Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften tags zuvor haben in Hongkong auch am Donnerstag Tausende Menschen gegen das umstrittene Auslieferungsgesetz protestiert.
Sie versammelten sich rund um das Parlament, wo es am Mittwoch die schwersten Ausschreitungen gegeben hatte. Hunderte Demonstranten zogen zudem durch die Straßen der chinesischen Sonderverwaltungszone.
Erneut kam es zu Rangeleien mit der Polizei. Auch Schulkinder schlossen sich zeitweise den Kundgebungen an. Einige Demonstranten trugen wieder Gesichtsmasken, falls die Polizei erneut Tränengas einsetzen sollte. Die Proteste ließen im Laufe des Tages nach, als der Legislativrat eine Debatte über das in der Kritik stehende Gesetz verschob. "Wir wollen jetzt nur unsere Kräfte schonen", sagte ein 20-jähriger Student zu den nachlassenden Protesten. "Wir kommen wieder, wenn und falls es wieder zur Diskussion gestellt wird", fügte er mit Blick auf das Auslieferungsgesetz hinzu.
Dieses sieht vor, dass Beschuldigte aus Hongkong sowie aus dem Ausland auch an China ausgeliefert werden können. Menschenrechtler warnen vor der Umsetzung. Sie werfen China willkürliche Festnahmen, Folter und fehlenden Rechtsbeistand für Angeklagte vor.
Kritik auch im Ausland
Auch im Ausland stoßen die geplanten Änderungen auf Kritik. Die von China beanspruchte, selbstregierte Insel Taiwan gab eine Reisewarnung heraus. Taiwans Regierung erklärte, keine Auslieferungsgesuche von Hongkong nach dem Gesetzesvorschlag zu akzeptieren.
Die Europäische Union rief beide Seiten zur Zurückhaltung auf. "Gewalt und eskalierende Antworten müssen vermieden werden", sagte ein Sprecher. Die EU teile "viele der Bedenken" gegenüber dem Gesetz. "Es ist eine heikle Sache, die potenziell weitreichende Konsequenzen für Hongkong und sein Volk, für die EU und seine Bürger wie auch für die Zuversicht von Geschäftsleuten in Hongkong hat." Eingehende Konsultationen, die alle einschließen, könnten helfen, einen Weg zu finden, ergänzte der EU-Sprecher. Schon am 24. Mai hatte die Leiterin des EU-Büros in Hongkong, Carmen Cano, Regierungschefin Carrie Lam die EU-Bedenken übermittelt.
China wies die Kritik aus Brüssel als Einmischung zurück. Was in der ehemaligen britischen Kronkolonie passiere, sei "ausschließlich Chinas innere Angelegenheit", sagte ein Sprecher des Außenministeriums in Peking am Donnerstag. "Kein Land, keine Organisation oder Einzelperson hat das Recht, sich darin einzumischen." Peking antworte auf die Stellungnahme der EU vom Mittwoch mit "größtem Missfallen" und "entschlossenem Widerspruch", sagte der Sprecher. Die Äußerungen aus Brüssel seien "unverantwortlich und falsch".
Großaufgebot der Polizei bei Demonstrationen
Am Sonntag hatte es in Hongkong die größten Demonstrationen seit der Rückgabe der früheren britischen Kronkolonie an China vor mehr als 20 Jahren gegeben. Hunderttausende Menschen gingen gegen das Auslieferungsgesetz auf die Straßen. Am Mittwoch waren es Zehntausende Menschen. Dabei ging die Polizei mit Tränengas, Gummigeschoßen und Pfefferspray gegen Demonstranten vor. Laut Behörden wurden bis zum Abend (Ortszeit) 72 Menschen in Krankenhäuser eingeliefert. Die Polizei meldete 22 verletzte Beamte sowie elf Festnahmen.
Am Donnerstag überwachte ein Großaufgebot der Polizei die Aufräumarbeiten auf den Straßen der Finanzmetropole. Zivilbeamte überprüften die Personalien von Pendlern. Das Parlament, Behörden und Ämter sowie ein Einkaufszentrum und einige Banken in Brennpunkt der Proteste blieben geschlossen.
Der Verband der Hongkonger Rechtsanwälte verurteilte das Vorgehen der Sicherheitskräfte am Donnerstag als "völlig unnötig". Die Demonstranten seien weitgehend unbewaffnet gewesen und hätten "keine unmittelbare Bedrohung" für die Polizei oder die Öffentlichkeit dargestellt. Amnesty International bezeichnete den Polizeieinsatz gegen friedliche Demonstranten als "exzessiv". Der Hongkonger Journalistenverband erhielt nach eigenen Angaben 15 Beschwerden von Reportern.
Chinas Außenministerium spricht von "Aufruhr"
Der Sprecher des chinesischen Außenministeriums verteidigte das Vorgehen der Sicherheitskräfte. Es habe sich bei den Demonstrationen nicht um eine "friedliche Zusammenkunft" gehandelt, sondern um organisierten "Aufruhr". Peking unterstütze die Hongkonger Behörden, die "in Übereinstimmung mit dem Gesetz" gehandelt hätten.
Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam verurteilte den Gewaltausbruch vom Mittwoch und rief dazu auf, die Ordnung schnell wieder herzustellen. Die geplanten Gesetzesänderungen will sie trotz des breiten Widerstands in der Bevölkerung vorantreiben. Die Beratungen über das kontroverse Gesetz waren nach den schweren Zusammenstößen vertagt worden.
Die frühere britische Kronkolonie wird seit der Rückgabe 1997 an China nach dem Grundsatz "ein Land, zwei Systeme" als eigenes Territorium autonom regiert. Die Einwohner der heutigen chinesischen Sonderverwaltungsregion genießen das Recht auf freie Meinungsäußerung sowie Presse- und Versammlungsfreiheit - anders als die Menschen in der Volksrepublik.
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