Parlament in Israel stimmte in erstem Schritt für Auflösung
JERUSALEM. Rund ein halbes Jahr nach der schwierigen Bildung einer Einheitsregierung in Israel steht die Koalition von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu und Benny Gantz schon wieder vor einer Zerreißprobe: Mit Unterstützung von Gantz' Partei Blau-Weiß stimmte das israelische Parlament am Mittwoch in einem ersten Schritt für seine Auflösung.
Das Parlament muss nun drei weitere Male für die Selbstauflösung stimmen. Der Schritt könnte am Ende die vierte Parlamentswahl in Israel binnen zwei Jahren zur Folge haben - ein Ergebnis, das beide Regierungsparteien eigentlich verhindern wollen. Der Antrag der Opposition zur Selbstauflösung des Parlaments wurde in der Vorabstimmung am Mittwoch mit 61 Stimmen angenommen, auch Gantz stimmte dafür. Oppositionsführer Yair Lapid hatte im Vorfeld die Regierung als die "schlechteste in der Geschichte Israels" bezeichnet. Er kritisierte insbesondere das Krisenmanagement während der Coronapandemie.
Die Coronakrise macht dem Land schwer zu schaffen. Die Arbeitslosigkeit lag zeitweise bei mehr als 20 Prozent. Vorgeworfen wurden der Regierung Fehler und Versäumnisse, die einen zweiten landesweiten Lockdown nötig machten.
Zuletzt hatte es vermehrt Spannungen innerhalb der Mitte-Rechts-Koalition gegeben, insbesondere über das nächste Budget. Die Koalition besteht aus dem Likud von Regierungschef Netanyahu und dem Bündnis Blau-Weiß von Verteidigungsminister Gantz, der von ihm das rotierende Ministerpräsidentenamt nächstes Jahr übernehmen soll.
"Netanyahu hat nicht nur mich angelogen", sagte Gantz vor Journalisten. "Er hat euch alle angelogen." Netanyahu habe sein Versprechen gebrochen, den Haushalt wie vereinbart zu billigen. Netanyahus einziges Interesse sei sein eigenes politisches Überleben. Er versuche alles, um eine Verurteilung in seinem Korruptionsprozess zu verhindern, sagte Gantz. Medienberichten zufolge soll der Ministerpräsident Gantz zunächst auch nicht über seine Bemühungen zur Annäherung mit arabischen Staaten informiert haben. Eine Reise nach Saudi-Arabien soll Netanyahu ebenfalls vor Gantz geheim gehalten haben.
Netanyahu bekräftigte am Mittwochabend, in der Corona-Krise sei nationale Einheit notwendig. Er rief Blau-Weiß dazu auf, die Auflösung des Parlaments zu stoppen. "Es ist noch nicht zu spät", sagte Netanyahu. Nach Medienberichten erwägt zwar auch er eine Neuwahl, aber zu einem späteren Zeitpunkt. "Die Israelis wollen Impfungen und keine Wahlkampfsendungen." Er warnte vor "strategischen Herausforderungen" Israels. "Unsere Feinde wollen uns ständig angreifen." Außerdem strebe Israel nach Bahrain, den Vereinigten Arabischen Emiraten und dem Sudan Annäherungsabkommen mit weiteren Ländern an.
Nun muss eine Parlamentskommission über den Antrag debattieren, bevor das Parlament noch drei weitere Male der eigenen Auflösung und den daraus folgenden Neuwahlen zustimmen müsste. Dabei muss jeweils eine absolute Mehrheit von 61 der 120 Stimmen erreicht werden. Sollten die Abgeordneten aber nicht bis zum 23. Dezember dem nächsten Budget zustimmen, würde sich die Knesset automatisch auflösen. Neuwahlen ständen in diesem Falle im März 2021 an.
Beobachter vermuten, dass Gantz mit seinem Abstimmungsverhalten Druck auf Netanyahu im Budgetstreit ausüben will. Er rief Netanyahu dazu auf, einen Haushaltsplan vorzulegen, um Neuwahlen zu verhindern. Gantz lässt zudem U-Boot-Käufe prüfen, wegen der auch Netanyahu unter Druck geriet. Seit dem Eintreten in die Koalition im April war sein Verhältnis zu Netanyahu von Misstrauen und öffentlichen Anschuldigungen geprägt. "Jetzt ist nicht die Zeit für Wahlen", sagte auch Netanyahu in einem Video am Dienstag. "Jetzt ist die Zeit für Einheit."
Beide Politiker wollen verhindern, in der Öffentlichkeit als Verursacher der vierten Parlamentswahlen innerhalb von zwei Jahren wahrgenommen zu werden. Der Präsident des Instituts "Israel Democracy", Johanan Plesner, kommentierte die Abstimmung am Mittwoch daher als "Startschuss in dem Spiel um den Sündenbock". Netanyahu wolle laut Plesner ebenfalls Neuwahlen im Frühjahr vermeiden, da für ihn zur gleichen Zeit Gerichtsverhandlungen zu Korruptionsvorwürfen anstehen. Diese könnten Netanyahu bei Wahlen Stimmen kosten.
Alles nur Parteigfrasta!