Kim Jong-un: Annäherung an ein Phantom
Die US-Journalistin Anna Fifield konnte bei ihren Recherchen zum Buch "Kim" erstaunlich viel über Nordkoreas Diktator herausfinden.
Nordkorea ist die wohl skurrilste, die am meisten abgeschottete und die widerlichste Diktatur der Welt. Aber auch die widerstandsfähigste. "Was die drei Kims auszeichnet, ist die Dauer ihrer Familienherrschaft über das Land", schreibt die renommierte US-Journalistin Anna Fifield in ihrer Annäherung an das Phantom Kim Jong-un. "Fast sieben Jahrzehnte nach der Gründung der Demokratischen Volksrepublik Korea sah ich nicht einmal im Ansatz Risse in der kommunistischen Fassade", schrieb sie nach einem Besuch 2014. Der junge Diktator sitzt fest im Sattel. Nach der Lektüre dieses Buches weiß der Leser, warum das so ist.
Eine große Zahl an Informanten
Anna Fifield, die mehrmals in Nordkorea war, hat mit dieser Biografie über Kim Großartiges geleistet – und zwar in mehrfacher Hinsicht. Erstens machte die Reporterin der "Washington Post" aus der Not eine Tugend. Auch sie war und ist betroffen vom Mangel an verlässlichen Quellen und Infos aus dem hermetisch abgeriegelten Kim-Reich. Aber sie hat unzählige, bestens informierte Gesprächspartner aufgetrieben, die im Leben des Diktators bisher eine Rolle gespielt haben – bis hin zu engen Verwandten im Exil.
Zweitens schreibt Fifield, dass auch sie selbst als jahrzehntelange Beobachterin neben den vielen anderen Nordkorea-Auguren nicht daran glaubte, dass sich Kim an der Macht halten können würde. Sie irrte sich. Sie gesteht das im Buch offen ein, was sehr sympathisch und heutzutage leider keine Selbstverständlichkeit ist.
Drittens macht Fifield kein Hehl aus ihrer tiefen Abneigung gegen den Kim-Clan und seiner Schar hündisch ergebener Höflinge. Dennoch widerstand sie beim Schreiben der Versuchung, das Regime und seinen Machthaber ins Lächerliche zu ziehen. Sie stellt Kim Jong-un trotz aller Skurrilitäten nicht als Witzfigur oder naiven Trottel dar.
Sie führt dem Leser vielmehr vor Augen, dass die Absurditäten im Inneren des Landes durchaus Sinn ergeben. Als Beispiel führt sie Kim Jong-uns optische Annäherung an seinen Großvater Kim Il-sung an. Diese für westliche Augen grotesk erscheinende Imitation bescherte ihm schlicht Zuspruch in der Bevölkerung. Der im Jahr 1994 verstorbene Dynastiegründer wird von den Nordkoreanern noch immer verehrt.
Beitrag zur Versachlichung
Und schließlich – viertens – gelingt der Autorin mit diesem Buch ein wichtiger Beitrag zur Versachlichung der Darstellung von Kim und Land. Fifield hatte sich zu Beginn des Buchprojekts ein ambitioniertes Ziel gesetzt: "Ich wollte alles wissen, was man über Kim Jong-un in Erfahrung bringen konnte". Das ist ihr erstaunlich gut gelungen. Man kommt als Leser dieser Figur tatsächlich näher. Bei der Lektüre erschaudert man zwar regelmäßig über Kims Grausamkeit und wendet sich angewidert ab, wenn über Personenkult und das Leben des "Hofstaats" berichtet wird, dennoch ist dieses Buch ein echter Glücksfall!
Anna Fifield: „Kim - Nordkoreas Diktator aus der Nähe“, Edition Körber, 416 Seiten, 24,70 Euro