Griechischer Premier ist Wahlsieger, aber verfehlte die Mehrheit
ATHEN. Premier Mitsotakis braucht Koalitionspartner – die Verhandlungen dürften schwierig werden.
Schafft es Kyriakos Mitsotakis mit seiner Mitte-rechts-Partei Nea Dimokratia (ND), das Amt des Ministerpräsidenten zu verteidigen, oder übernimmt Alexis Tsipras von der Linkspartei Syriza wieder die Regierung in Griechenland? Diese Frage sollte der gestrige Urnengang klären. Doch es gab kein klares Ergebnis. Zwar bleibt die ND deutlich stärkste Partei, sie hat allerdings aufgrund des noch unter Tsipras beschlossenen neuen Wahlgesetzes keine Mandatsmehrheit im Parlament. Laut ersten Teilergebnissen kommt die ND auf etwa 41 Prozent, Syriza lediglich auf rund 20.
2019 hatte Mitsotakis noch in einem anderen System gewonnen. Dieses vergab die Sitze im 300-köpfigen Ein-Kammern-Parlament grundsätzlich proportional, ließ jedoch der erstplatzierten Partei auch 50 Bonus-Sitze zukommen. Diesmal gab es ein rein proportionales System mit einer Drei-Prozent-Hürde.
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Hohe Lebenshaltungskosten
Beide führenden Parteien gaben sich im Wahlkampf sozial sensibel. Eine von Mitsotakis veranlasste Anhebung des Mindestlohns ist erst seit Anfang April in Kraft. Die Menschen in Griechenland leiden seit Jahren darunter, dass die Gehälter im Vergleich zu den Lebenshaltungskosten nur sehr zögerlich steigen. Laut Eurostat hatten vor zwei Jahren 36 Prozent der Griechen unbezahlte Rechnungen – der höchste Wert in der EU. Auch die Wohnkosten sind im Vergleich zu den Gehältern im europäischen Vergleich sehr hoch.
Mitsotakis warnte vor einer Hängepartie in einer Zeit internationaler Unsicherheit. Der 55-Jährige hoffte auf Rückenwind durch seine Politik der Steuersenkungen, eine Wiederbelebung des Tourismus nach der Corona-Pandemie und ein kontinuierliches Wachstum von zuletzt 5,9 Prozent im Jahr 2022. Die positiven Zahlen verbergen jedoch neben den Problemen mit niedrigen Gehältern und hohen Lebenshaltungskosten eine Abwanderung der Jugend ins Ausland und die anhaltenden Folgen der in der Finanz- und Schuldenkrise von der Europäischen Union auferlegten Sparpolitik. Die Verhandlungen mit der EU hatte 2015 Tsipras geleitet.
Abhörskandal und Zugunglück
Tsipras versprach im Wahlkampf, unter anderem die Inflation zu bekämpfen, für die er "Kartelle" im Land verantwortlich macht. "Griechenland hat bulgarische Löhne und britische Preise", sagte er. Außerdem will er das Vertrauen in den Staat wiederherstellen. Der Abhörskandal beim griechischen Geheimdienst, im Zuge dessen der Regierung Mitsotakis vorgeworfen wird, eigene Regierungsmitglieder, Oppositionsabgeordnete, Journalisten, Geschäftsleute und Armeechefs abgehört zu haben, hat in der Bevölkerung Spuren hinterlassen. Auch das schwere Zugunglück im Februar beschäftigt die Menschen weiter.
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Nicht zuletzt ist die hohe Zahl an Flüchtlingen ein Thema. Mitsotakis hatte erst jüngst bei einem Besuch auf der Insel Lesbos seine eigene "harte, aber faire" Migrationspolitik gelobt. Gleichzeitig werden den griechischen Behörden immer wieder illegale Zurückweisungen (Pushbacks) von Asylwerbern vorgeworfen.
Neuwahlen schon im Juli?
Zünglein an der Waage könnte die vom früheren Premier Andreas Papandreou gegründete sozialistische Pasok-Kinal-Partei sein, die ersten Prognosen zufolge auf 9,5 bis 12,5 Prozent kommt. Sie wird als Koalitionspartner sowohl für Mitsotakis als auch für Tsipras gehandelt. Sollte keinem der beiden eine Einigung über eine Koalitionsregierung innerhalb von zehn Tagen gelingen – was laut Beobachtern wahrscheinlich ist –, soll Anfang Juli ein weiterer Wahlgang stattfinden. Bei diesem Votum würde dann ein von Mitsotakis eingeführtes neues Wahlrecht greifen, das dem Wahlsieger zusätzliche Sitze verschafft.
Dort ist es völlig egal wer gewinnt, sie sind der EU ausgeliefert.