Ende der Großen Koalition in Deutschland vorerst abgewendet
BERLIN. Die neuen Chefs der SPD, Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, haben dafür geworben, dass die Partei zunächst in der Koalition mit den Christdemokraten bleibt, aber Gespräche über wichtige Anliegen führt.
Der Parteitag der deutschen SPD bestätigte am Freitag in Berlin das Ergebnis des Mitgliederentscheids und wählte zwei Kritiker der Regierungsbeteiligung zu ihren neuen Vorsitzenden. Am Abend sprach sich die große Mehrheit der etwa 600 Delegierten aber dafür aus, zunächst in dem Regierungsbündnis mit CDU und CSU zu bleiben.
Die neue SPD-Führung will aber mit der Union über Nachbesserungen sprechen, dann soll der Vorstand entscheiden, ob es für eine Fortsetzung der Koalition reicht.
Die Bundestagsabgeordnete Esken und der frühere nordrhein-westfälische Finanzminister Walter-Borjans sind das erste gemischte Führungsteam in der Geschichte der SPD. Die beiden sind Nachfolger von Andrea Nahles, die im Sommer nach heftiger Kritik abgetreten war. Sie wollen vor allem mehr soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz durchsetzen. Esken und Walter-Borjans zweifelten daran, dass dies in dem Bündnis mit CDU und CSU möglich ist.
CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer gratulierte dem Duo, pochte aber auf ein klares Bekenntnis zur Koalition. Die Union hatte klargestellt, dass sie den Koalitionsvertrag nicht aufschnüren will. CSU-Generalsekretär Markus Blume sagte dem "Münchner Merkur" (Samstag): "Wir werden mit der neuen SPD-Spitze reden. Klar ist aber: Es gibt auch bei neuen Vorsitzenden keinen Anspruch auf Ladenhüter aus der sozialistischen Mottenkiste."
Große Koalition: Esken ist "skeptisch"
Esken hatte in ihrer Bewerbungsrede gesagt: "Ich war und ich bin skeptisch, was die Zukunft dieser Großen Koalition angeht." Die SPD gebe der Großen Koalition eine "realistische Chance auf eine Fortsetzung" - "nicht mehr, aber auch nicht weniger". Wie Walter-Borjans kritisierte sie Kramp-Karrenbauer. Dass diese die Umsetzung der mühsam ausgehandelten Grundrente an den Fortbestand der Koalition knüpfe, sei respektlos.
Walter-Borjans machte das am Thema Klimaschutz und der Jugendbewegung Fridays for Future fest. Für eine Koalition, von der alle sagten, sie nach der nächsten Wahl nicht fortführen zu wollen, "werde ich nicht eine ganze Generation von Menschen von der SPD entfremden".
Esken forderte in ihrer Rede eine Umkehr ihrer Partei in der Arbeitsmarktpolitik. Deutschland leiste sich einen der größten Niedriglohnsektoren in Europa. Die SPD habe dazu beigetragen, dass dieser entstehen konnte. "Es ist Zeit, dass wir umkehren", forderte sie. "Wir waren die Partei, die Hartz IV eingeführt hat, wir sind die Partei, die Hartz IV überwindet."
In der Finanz- und Sicherheitspolitik deutet sich eine Auseinandersetzung mit der Union an. Walter-Borjans will zugunsten von nötigen Investitionen notfalls auch auf die Schuldenbremse im Grundgesetz verzichten. "Wenn die schwarze Null einer besseren Zukunft für unsere Kinder entgegensteht, dann ist sie falsch, dann muss sie weg", sagte er. "Und das gilt, machen wir uns nichts vor, wenn wir es nicht irgendwo umschiffen wollen, dann gilt es auch für die Schuldenbremse."
Walter-Borjans bemängelte zudem, es habe in den vergangenen Jahren eine schleichende Entlastung der oberen Einkommen gegeben. "Die SPD muss wieder die Partei der Verteilungsgerechtigkeit werden", forderte er. Wer hohe Einkommen und Vermögen habe, müsse einen angemessenen Beitrag zur Finanzierung des Gemeinwesens zahlen.
Er beklagte, dass Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer Deutschland immer weiter aufrüsten und die Bundeswehr auf der ganzen Welt einsetzen wolle. Das sei "grundfalsch", sagte Walter-Borjans. "Dazu dürfen Sozialdemokraten nicht die Hand reichen."
Arbeitsminister Heil forderte seine Partei auf, aus der Großen Koalition mit der Union rauszuholen, was möglich ist. "Es wäre idiotisch aus der Koalition jetzt rauszutreten, ohne die Grundrente umgesetzt zu haben", sagte er.
Ich bin schon gespannt, wie es in einem halben Jahr ausschaut!