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"Die EU weigert sich, den Revolver vom Verhandlungstisch zu nehmen"

Von Jochen Wittmann, London   16.September 2020

Boris Johnson setzt seinen harten Kurs beim Brexit fort. Der britische Premierminister warf der EU "Erpressung" vor, als er sein umstrittenes Binnenmarktgesetz im Unterhaus vorstellte. Das Gesetz sieht vor, dass britischen Ministern einseitig die Deutungshoheit bei gewissen, Nordirland betreffenden Aspekten des EU-Austrittsvertrages eingeräumt wird.

Da dies einen klaren Bruch des Völkerrechts darstellt, hatte eine Reihe von Torys – darunter fünf ehemalige Vorsitzende der Konservativen Partei – Einspruch eingelegt. Allerdings fiel die Rebellion bei der Abstimmung im Unterhaus zunächst verhalten aus.

Das Gesetz wurde mit 77 Stimmen Mehrheit in zweiter Lesung angenommen. Es geht jetzt in die Ausschüsse, bevor nächste Woche eine kritische Abstimmung ansteht, in der Zusatzanträge verhindern sollen, dass Großbritannien internationales Recht verletzt.

Streit um Grenze zu Nordirland

Das Binnenmarktgesetz soll den Handel und Warenverkehr innerhalb der vier Nationen des Vereinigten Königreichs nach Ende der Übergangsphase Anfang nächsten Jahres regeln. Der Austrittsvertrag hatte in einem Zusatzprotokoll eine Sonderregelung für Nordirland vorgesehen: Um eine harte Grenze zwischen der britischen Provinz und dem irischen Staat zu verhindern, soll Nordirland sowohl im EU-Binnenmarkt als auch im britischen Binnenmarkt verbleiben. Das bedingt, dass die Grenze in der Irischen See verläuft und die Kontrollen für den Ex- und Import von Waren dort erfolgen.

Jetzt will Boris Johnson mit seinem Binnenmarktgesetz die Nordirland betreffenden Passagen des Austrittsvertrages aushebeln. In typischer Manier mischte Johnson bei seiner Vorstellung im Unterhaus Jovialität mit chauvinistischen Tönen. Es dürfe nicht sein, tönte er, dass "die Grenzen unseres Landes von einer fremden Macht oder einer internationalen Organisation diktiert werden".

Johnson versteht "Unbehagen"

Daher müsse man "die territoriale Integrität des Landes schützen". Die EU weigere sich, "den Revolver vom Verhandlungstisch zu nehmen", und drohe mit einer Lebensmittelblockade für Nordirland. Er bestätigte, dass das Gesetz das Völkerrecht brechen würde, weil es britischen Ministern unilateral Vollmachten gebe, und er verstehe das Unbehagen darüber. Scheinbar versöhnlich sagte er: "Ich habe absolut kein Verlangen, diese Maßnahmen anzuwenden. Sie sind eine Versicherungspolizze."

Die Opposition warf ihm vor, Großbritannien international in Misskredit zu bringen. "Wir haben einen Leumund für Redlichkeit und dafür, dass wir die Herrschaft des Rechts achten", hielt ihm der Labour-Abgeordnete Ed Miliband vor. "Diese Reputation ist kostbar und sollte beschützt werden. Ich fürchte, sie wird durch dieses Gesetz schwer beschädigt."

"Das Gesetz ist sittenwidrig"

Auch konservative Abgeordnete gingen mit Johnsons Vorhaben scharf ins Gericht. Ex-Generalstaatsanwalt Geoffrey Cox bezeichnete das Gesetz als "sittenwidrig" und sagte: "Ich kann einfach keine Situation gutheißen, in der wir unser Wort brechen."

Dennoch gab es am Ende nur zwei Tory-Abgeordnete, die gegen das Gesetz stimmten, während sich 30 enthielten. Nächste Woche steht ein Ergänzungsantrag des Konservativen Bob Neill, Vorsitzender des Justizausschusses, zur Abstimmung, der die das Austrittsabkommen aushebelnden Vollmachten britischen Ministern nur nach einer vorherigen parlamentarischen Zustimmung erteilen will. Auch im Oberhaus bahnt sich Widerstand an, nicht zuletzt seitens prominenter konservativer Lords. Johnson geht also wieder einmal voll auf Konfrontation.

Stauchaos befürchtet

  • 6500 Lkw: Nach dem Ende der Brexit-Übergangsphase zum Jahreswechsel erwarten die britischen Behörden laut einem internen Papier ein erhebliches Chaos an den Grenzen. Man rechnet bereits im Jänner mit Schlangen von bis zu 6500 Lastwagen in der Grenzregion Kent, wie aus dem vertraulichen Regierungsdokument hervorgeht, über das die britische Zeitung „The Guardian“ gestern berichtete.
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  • Im Februar 2021 könnte es den Berechnungen der Experten zufolge sogar bis zu zwei Tage dauern, bis Lastwagen im Stau bis an die Grenze vordringen. Das Papier skizziert ein „Worst-Case-Szenario“. Die Autoren betonen auch, dass die Staus und Verzögerungen selbst dann entstehen könnten, wenn Großbritannien es noch schafft, einen Handelspakt mit der EU auszuhandeln.
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25. April 2024