Millionen Ägypter jagten Mubarak aus dem Amt
KAIRO. Hosni Mubaraks Herrschaft ist Geschichte. Es war fünf Minuten nach 18 Uhr Ortszeit, als der ägyptische Vizepräsident Omar Suleiman mit einem zerknirschten Gesicht den Rücktritt von Staatschef Mubarak angekündigte.
Unter „diesen schwierigen Umständen“, die das Land gegenwärtig durchmache, las Suleiman vom Blatt, habe Mubarak sich für die sofortige Niederlegung der Amtsgeschäfte entschieden. Die Armee unter Verteidigungsminister Mohammed Hussein Tantawi werde diese nun führen.
Die Verlautbarung von Mubaraks nun wohl arbeitslosem Vertrauten löste in der Nilrepublik Jubel aus. Nach dem Sturz des tunesischen Despoten Ben Ali hatten es Millionen Ägypter geschafft, einen der dienstältesten Diktatoren der arabischen Welt aus dem Amt zu jagen. Wer dies vor 18 Tagen, als die ägyptischen Massen erstmals auf die Straßen gingen, prognostiziert hätte, wäre vermutlich für unzurechnungsfähig erklärt worden.
Bis zuletzt unnachgiebig
Mubarak selbst hatte sich hartnäckig gegen den vom Volk geforderten sofortigen Rücktritt gewehrt. Er hatte Schlägertruppen auf die Demonstranten gehetzt und danach versucht, die Opposition als Verschwörerbande zu verunglimpfen. Auch die internationale Presse war verteufelt und von Agenten des Mubarak-Regimes geprügelt worden.
Bis zuletzt hatte sich der seit 30 Jahren regierende Mubarak weltfremd gezeigt. Noch in der Nacht zum Freitag hatte er in einer Durchhalterede seinen Rücktritt abgelehnt. Hätte der Diktator am Donnerstagabend zumindest einen Funken Realitätssinn bewiesen, dann wäre er sofort zurückgetreten, sagte der ägyptische Journalist Ahmed Tantawi gestern auf dem Kairoer Befreiungsplatz. Stattdessen habe Mubarak mit einer provokativen Rede auch diejenigen motiviert, die bislang nicht auf die Straßen gegangen seien. In Kairo herrschte nach Mubaraks Rücktritt Feststimmung. Mit Freudentränen in den Augen lagen sich die Menschen in den Armen und feierten ihre Revolution.
Die Generäle zögerten
Mubaraks letzter Strohhalm war die Armee. Ihre Panzer standen gestern an allen wichtigen Straßenkreuzungen. Allerdings schienen die Besatzungen der Panzer schon vor dem Rücktritt Mubaraks mit dem Volk zu sympathisieren – oder sie verhielten sich zumindest neutral. Weiterhin unklar erschien bis gestern Nachmittag die Haltung der Generäle und hohen Offiziere. In einem von verklausulierten Unverbindlichkeiten geprägten Statement ließ der „Oberste Rat der ägyptischen Streitkräfte“ die „Kämpfer gegen Korruption“ zunächst wissen, dass man „die Abhaltung von freien und transparenten Präsidentschaftswahlen“ garantieren werde. Mubarak hatte zuvor dasselbe versprochen. Dass die Armee seine Absichtserklärungen bekräftigte, hatte die ägyptische Opposition tief verunsichert, aber nicht entmutigt.
Zu einer historischen Entscheidung konnte sich der „Oberste Rat der Streitkräfte“ zunächst nicht durchringen. Die Mubarak über Jahrzehnte verbundenen Generäle fürchteten vielleicht, mit ihm unterzugehen. Ihre Unentschlossenheit beantwortete die Protestbewegung mit dem Slogan „Armee und Volk auf einer Seite“.
Immer häufiger kam es in den letzten Tagen zu demonstrativen Verbrüderungsszenen zwischen Volk und einfachen Armeesoldaten. Es war klar, dass die Soldaten, sollten sie eines Tages den Befehl erhalten, auf das Volk zu schießen, die Seiten wechseln würden. Es wäre zu einer von politischen Analysten in Kairo bereits heftig diskutierten Spaltung der Armee mit dramatischen Folgen für die Nilrepublik gekommen, die der „Oberste Rat der Streitkräfte“ mit einer ultimativen Rücktrittsforderung an Mubarak verhinderte. Die Armee hat damit ihren Nimbus als „Beschützerin des Volkes“ gewahrt.
Mubarak floh aus Kairo
Mubarak schien bereits am frühen Freitagnachmittag erkannt zu haben, dass auch sein von Demonstranten belagerter Palast im Kairoer Nobelvorort Heliopolis kein sicherer Platz mehr für ihn ist. Nach Informationen der BBC soll er mit seiner Familie in seine Villa am Roten Meer ausgeflogen worden sein. Dort könnte er auch seinen Lebensabend verbringen, vorausgesetzt, er nehme endlich Abschied von der Macht, hatten Sprecher der Protestbewegung vor Mubaraks Flucht ans Rote Meer erklärt.
Die oppositionelle Regenbogenkoalition hatte auch gestern wieder ihre Stärke auf friedliche Weise demonstriert. Dennoch haben viele Mubaraks Durchhaltewillen unterschätzt. Ein arabischer Diktator, sagte gestern ein Student, gehe niemals freiwillig. Er müsse wie Saddam Hussein aus dem Amt gejagt werden.