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"In Ungarn wird es nach Orbáns Sieg nicht besser, sondern eher schlimmer"

Von Clemens Schuhmann   23.April 2018

Paul Lendvai, der 1957 von Ungarn nach Österreich geflüchtet ist, beurteilt im OÖNachrichten-Interview den jüngsten Triumph von Premier Viktor Orbán kritisch: "Mit dem Wahlsieg fühlen sich Orbán und seine Fidesz-Partei legitimiert, weiterhin das zu machen, was sie wollen. Ungarn ist ein Land zwischen der formalen Demokratie und noch keiner Diktatur."

 

OÖN: Ungarns Premier Viktor Orbán erreichte bei der jüngsten Wahl am 8. April knapp 50 Prozent der Stimmen und zwei Drittel der Mandate. Hat Sie das Ausmaß des Sieges überrascht?

Paul Lendvai: Ich war sicher, dass er siegen wird. Dem Regime haben auch dieses Mal die Spaltung der Opposition, die Politikverdrossenheit und die nahezu gleichgeschaltete Medienlandschaft geholfen. Und es gibt eine Schicht, die von der Korruption und den zahlreichen Umbesetzungen der Orbán-Regierung profitiert hat.

Warum hat die vergleichsweise hohe Wahlbeteiligung von fast 70 Prozent nicht wie prognostiziert der Opposition geholfen?

Da hat man sich offenbar etwas eingeredet. Außerdem hat die Regierungspartei mit ihren unerschöpflichen Geldreserven und ihrem riesigen Apparat viel besser mobilisiert. Die Opposition hat ja weder Geld noch Apparat. Und: Eine Opposition, die streitet, wird vom Wähler bestraft.

Ist Orbán auf absehbare Zeit überhaupt zu besiegen?

Ich sehe in absehbarer Zeit keine Chance, aber in Geschichte und Politik kann man nichts ausschließen. Nach menschlichem Ermessen wird er vier weitere Jahre regieren.

"In Ungarn wird es nach Orbáns Sieg nicht besser, sondern eher schlimmer"
Viktor Orbán lenkt die Geschicke Ungarns seit dem Jahr 2010.

Was wird er nun mit seiner Machtfülle in Ungarn anfangen?

Die Frage ist, wo zieht er die Grenze. Orbán ist ein Kämpfer und er will jetzt mit aller Wucht die nichtstaatlichen Organisationen – also etwa Transparency International, Amnesty International, das Helsinki-Komitee oder Human Rights Watch – bekämpfen und verbieten. Mit dem Wahlsieg fühlen sich Orbán und seine Fidesz-Partei legitimiert, weiterhin das zu machen, was sie wollen. Ungarn ist ein Land zwischen der formalen Demokratie und noch keiner Diktatur. Es wird nicht besser, sondern eher schlimmer.

Wäre eine Kürzung der Milliarden-Förderungen der EU etwas, das Orbán in seinem Machtrausch bremsen könnte?

Nein, das würde kontraproduktiv wirken. Wichtig ist, dass man die Verwendung der Gelder kontrolliert. Und da gibt es in Ungarn sehr, sehr viel zu tun. Laut Transparency International (Internationale Nichtregierungsorganisation zur Bekämpfung der Korruption, Anm.) ist in der EU nur Bulgarien korrupter als Ungarn.

Macht die Europäische Volkspartei (EVP), zu der auch Fidesz gehört, genug, um Orbán wieder "einzufangen"?

Es ist ganz klar, dass die EVP eine miese Rolle gespielt hat, das wurde auch von christdemokratischen Abgeordneten aus Luxemburg, Deutschland und Österreich stark verurteilt. Aber das war auch bei den Sozialisten so, als es um Rumänien ging. Fidesz ist keine christdemokratische, sondern eine populistisch-nationalistische Partei. Aber: Schauen Sie in die Slowakei, wo es formal eine sozialdemokratisch geführte Regierung gibt. Aber zwischen dem früheren Premier Robert Fico und Orbán gab es bei den Grundsätzen keine großen Unterschiede. Nur ist Orbán halt geschickter vorgegangen.

Warum hat sich Orbán ausgerechnet den Philantropen George Soros als Feindbild ausgewählt?

Das ist ganz klar: Soros hat alle Eigenschaften, die ihn als Feindbild prädestinieren – er ist aus Ungarn, er ist Jude, er ist Multimillionär und er hat weltweit sehr viel für Bildung, Gesundheit und Menschenrechte getan. Und dann hat die ungarische Regierungspartei eine unglaubliche Anti-Soros-Kampagne mit Plakaten etc. lanciert. Als sie gesehen haben, dass es wirkt, wurde noch einmal nachgelegt. Jeder normale Mensch lacht darüber – aber in Ungarn wirkt das nach zwei Jahren Trommelfeuer. Die Dummheit ist eine sehr mächtige Kraft – leider! Das alles ist ein Spiel mit der Demagogie, das leider auch im 21. Jahrhundert – und trotz der Erfahrungen mit Nationalsozialismus, Kommunismus und Diktaturen – wirkt. Es ist eigentlich unglaublich, das ist ein tragischer Rückfall.

 

Zur Person

Paul Lendvai wurde in Ungarn geboren, floh im Zuge des Ungarn-Aufstandes 1957 nach Österreich. Der 88-Jährige ist renommierter Publizist und ausgewiesener Osteuropa-Kenner, er war u. a. Leiter der Osteuropa-Redaktion des ORF und ist Leiter der Diskussionssendung „Europastudio“. Aktuell arbeitet Lendvai an seinem 18. Buch. Sein Buch über Viktor Orbán hat er erst kürzlich im Zuge einer Vortragsreise in den USA vorgestellt – mit großen Besprechungen in angesehenen Medien wie etwa dem „Wall Street Journal“.

 

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18. April 2024