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Großbritannien will EU mit "klarem" Schnitt verlassen

Von nachrichten.at/apa   17.Jänner 2017

"Wir streben keine Mitgliedschaft im EU-Binnenmarkt an", sagte May bei der langerwartenden Grundsatzrede zum EU-Austritt Großbritanniens (Brexit) am Dienstag in London. Ihr Land sei dann nicht mehr verpflichtet, "enorme Summen zum EU-Haushalt" beizutragen.

Sie wolle stattdessen einen umfassenden Freihandelsvertrag mit der EU schließen, kündigte May an. Auch der Zollunion in ihrer bisherigen Form wird das Vereinigte Königreich nicht mehr angehören. Die Premierministerin stellte klar: eine Teilmitgliedschaft in der EU oder "irgendwas, das uns halb drinnen, halb draußen lässt", komme nicht infrage. "Wir streben nicht danach, an Häppchen der Mitgliedschaft festzuhalten, wenn wir gehen."

May präsentierte einen Zwölf-Punkte-Plan, der eine harte Linie bei der Einwanderung von EU-Bürgern vorsieht. Sie sollen nicht mehr ohne weiteres in Großbritannien leben und arbeiten dürfen. Die Zahl der Einwanderer müsse reduziert werden, sagte May. Sie überforderten Schulen, Infrastruktur, Wohnungsmarkt und drückten die Löhne.

Die Premierministerin kündigte an, das Parlament in London über einen abschließenden Brexit-Deal abstimmen zu lassen. Das finale Abkommen "wird beiden Häusern des Parlaments zur Abstimmung vorgelegt, bevor es in Kraft tritt", sagte May. Ende März will sie das Austrittsgesuch - Artikel-50 - in Brüssel einreichen. Danach sind bis zu zwei Jahre für die Verhandlungen Zeit.

Hoffnungen, dass das Parlament den Austritt Großbritanniens schlussendlich noch verhindern könnte, erteilte der britische Brexit-Minister David Davis umgehend eine Absage. "Das Referendum im vergangenen Jahr hat zu einer Situation geführt, in der Großbritannien die EU verlassen wird", sagte Davis am Dienstag entschieden vor dem Parlament nach der Rede Mays.

Die Premierministerin warnte darin auch die EU davor, ihr Land zu bestrafen. May bezog sich damit auf Spekulationen, die verbliebenen 27 Mitglieder der Gemeinschaft könnten bei den Austrittsverhandlungen einen harten Kurs gegenüber Großbritannien einschlagen. Ein "bestrafender Brexit-Deal" wäre ein "katastrophaler Akt der Selbstverletzung".

Gleichzeitig deutete sie an, Großbritannien könne eine Veränderung des Wirtschaftsmodells in Betracht ziehen. Sie befeuerte damit Befürchtungen, das Land könne durch eine Absenkung der Körperschaftssteuer zum Steuerparadies werden. "Wir hätten die Freiheit, wettbewerbsfähige Steuersätze festzulegen und Strategien zu wählen, um die besten Unternehmen und größten Investoren nach Großbritannien zu locken", sagte die Premierministerin.

Sie betonte auch, "keiner hat ein Interesse daran, dass Unternehmen an einen Abgrund geraten oder es eine Bedrohung der Stabilität gibt". Der Brexit solle "ruhig und geordnet" ablaufen. Ihr schwebe eine "neue und gleichberechtigte Partnerschaft zwischen einem unabhängigen, sich selbst regierenden, globalen Großbritannien und unseren Freunden und Verbündeten in der EU" vor. Ihre Vorschläge ließen es jedoch nicht zu, dass Großbritannien Teil des EU-Binnenmarkts bleibe. "Stattdessen streben wir den größtmöglichen Zugang durch ein neues, umfassendes, mutiges und ehrgeiziges Freihandelsabkommen an."

In bestimmten Bereichen könne ein solcher Deal Elemente der derzeitigen Binnenmarkt-Vereinbarungen enthalten, sagte May. Sie hoffe auf ein Zollabkommen, das einen reibungslosen und grenzüberschreitenden Handel gewährleiste. Mitglied der Zollunion könne Großbritannien aber keinesfalls bleiben, wenn es auch eigene Handelsvereinbarungen mit anderen Ländern treffen wolle. Was etwa ein Abkommen mit den USA angehe, so befinde sich Großbritannien nun "in vorderster Reihe". Donald Trump, der am Freitag als US-Präsident vereidigt wird, hatte in einem Zeitungsinterview angekündigt, rasch ein Handelsabkommen mit Großbritannien anzustreben. "Der Brexit wird sich als großartige Sache herausstellen", sagte er.

Weniger begeistert zeigten sich die EU-Vertreter. Ganz allgemein bezeichnete der EU-Ratspräsident Donald Tusk den geplanten Brexit "als traurigen Vorgang in surrealistischen Zeiten". Die Rede Mays zeuge nun aber zumindest von mehr Realismus, kommentierte er. EU-Chefunterhändler Michel Barnier wies May darauf hin, dass es nur dann eine enge Partnerschaft geben könne, wenn sich beide Seiten zuvor auf einen geordneten Brexit verständigt hätten. "Meine Priorität ist es, den richtigen Deal für die 27er-EU auszuhandeln", schrieb der Franzose über den Kurznachrichtendienst Twitter.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, dessen Behörde die Austrittsverhandlungen für die EU führt, verzichtete seinerseits vorerst auf jede Bewertung. Juncker habe die Rede "mit Interesse" verfolgt und werde noch im Laufe des Tages mit May telefonieren, sagte sein Sprecher. Für alles Weitere verwies er auf die am Mittwochvormittag geplante Rede Junckers im Europaparlament.

Kritik kam von Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon. Sie warnte vor einer "wirtschaftlichen Katastrophe" für Großbritannien. Schottland habe nicht für den Kurs gestimmt, den May nun vorgebe. Die Regierung in London dürfe Schottland nicht aus der EU oder den Binnenmarkt reißen, ohne dass die Schotten über eine andere Zukunft entscheiden könnten. Die Stimme Schottlands werde bisher aber nicht gehört.

Auch Warnungen vor einem zerbröckelnden EU-Zusammenhalt wurden laut. Mit Blick auf Populismus und Abschottung warnte der scheidende US-Außenminister John Kerry, die aktuellen Entwicklungen seien sehr riskant. "Sie ermutigen Menschen, die Europa geteilt sehen wollen", sagte er beim Weltwirtschaftsforum in Davos. Kerry nannte aber nicht die Brexit-Entscheidung beim Namen.

Noch im Jänner wird es eine weitere wichtige Brexit-Entscheidung geben. Das höchste britische Gericht muss klären, ob das Parlament seine Zustimmung geben muss, bevor die Regierung den EU-Austritt förmlich bekannt gibt. May will die Scheidung von der EU bis Ende März in Brüssel einreichen. Sollten die Parlamentarier mitbestimmen dürfen, könnte das den Zeitplan durcheinanderbringen. Ein genauer Termin für das Gerichtsurteil steht noch nicht fest.

Das britische Pfund legte nach Mays Rede deutlich zu. Es erreichte knapp die Marke von 1,24 US-Dollar. Händler lobten die Klarheit durch die Premierministerin und eine relativ pragmatische Herangehensweise. An der Londoner Börse fielen angesichts des stärkeren Pfundes, das britische Exporte verteuert, die Kurse um 1,5 Prozent.

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