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Wie Verhaltensänderungen in Zeiten der Klimakrise ablaufen (könnten)

Von Klaus Buttinger   25.September 2021

Laut Experten ist das alleinige Warten auf technische Lösungen keine Option im Kampf gegen die Klimakrise. Die Menschen werden ihr Verhalten umstellen müssen – weniger Fleisch, weniger Auto etc.

OÖN: Warum fällt dem Menschen jede Veränderung schwer?

Sebastian Bamberg: Stellen Sie sich vor, jemand fährt fünf Kilometer zu seinem Arbeitsplatz mit dem Auto. Wir wollen, dass er den Bus nimmt oder das Fahrrad. Wir sehen auf den Veränderungsprozess wie auf eine Zwiebel. Wir nehmen an, dass es ein Busangebot und einen Radweg gibt. Obwohl die Option da ist, ist es immer noch sehr schwer, sie zu ziehen. Denn viele unserer Alltagshandlungen sind extrem habitualisiert, sind eine Gewohnheit.

Der Mensch ist tatsächlich ein extremes Gewohnheitstier?

Ja, das bildet sich auch in unserer Gehirnstruktur ab. Auf den Basalganglien sind sozusagen die automatischen Programme abgelagert. Man kann beispielsweise tief über etwas nachdenken und dabei Auto fahren. Gegenüber dieser Habitualisierung ist die bewusste kognitive Aufmerksamkeit, das Nachdenken, eine extrem knappe Ressource. Wir sind evolutionär so gebaut, dass wir neunzig Prozent unseres Handelns habitualisieren.

Heißt das, schon das Nachdenken über Veränderungen ist höchst aufwendig fürs Gehirn?

Ja, man muss Menschen zuerst dazu bringen, kognitive Energie aufzuwenden, um über ein Problem nachzudenken, das für sie bis dato keines war. Ist das, was ich gerade tue – nämlich mit dem Auto zur Arbeit zu fahren – eine gute Entscheidung? Aber wir sind ja nicht nur Gewohnheitstiere, sondern auch soziale Tiere. Häufig kommt der Anreiz nachzudenken aus der Familie: von den Kindern, die bei Fridays for Future mitgehen und sagen: "Papa, du fährst immer noch Auto!" Dann wären da noch Medienberichte, Filme über negative Konsequenzen des Autofahrens etc. Ein wichtiger Punkt ist auch die Verantwortungsübernahme und die Information, dass ich prinzipiell etwas ändern kann. Und ganz wichtig: positive Emotionen. Radfahren könnte Freude machen.

Der Klimawandel ist sichtbar: Hitzewellen, Überschwemmungen, extremer Hagel, Tornados in unserer Nachbarschaft. Warum führt das nicht sofort zu Konsequenzen in unserem Verhalten?

Es gibt nicht das eine Motiv für Veränderung, sondern unterschiedliche Kanäle. Wenn einige davon kulminieren, führt das vielleicht zu dem Gefühl: Ich möchte gerne ausprobieren, etwas zu verändern. Das ist der erste Schritt, den wir prädezisionale Stufe nennen. In der zweiten Stufe, der präaktionalen, weiß ich, ich will etwas ändern, aber noch nicht genau was. Nun folgt die Abwägung der Vor- und Nachteile der vorhandenen Optionen und die bewusste Entscheidung für eine – ich nehme das Rad und nicht den Bus.

Kommen wir von der individuellen Veränderung zur kollektiven. Was muss da passieren?

In der kollektiven Verhaltensänderung sind die Menschen nicht als Konsumenten, sondern als Bürger gefragt. Wichtig ist, sich mit anderen zusammenzutun, um Druck auf die Politik zu machen.

Dem gegenüber gibt es politische Strömungen, die wollen, dass alles so bleibt, wie es ist …

Das ist der Habit-Modus. Es wäre die Aufgabe von Politik zusammen mit Öffentlichkeit und kritischen Menschen zu fragen: Ist wirklich alles gut? Eine Politik ist nicht auf der Höhe der Zeit, wenn ihre Botschaft an die Wähler darin besteht zu sagen, alles sei gut. Das ist eine ziemliche Unterschätzung dessen, was auf uns zukommen wird, und eine Vernachlässigung ihrer Pflicht, Vorsorge zu treffen.

Wer oder was treibt den kollektiven Wandel und die Transformation in einer Gesellschaft?

Etliche Modelle vom gesellschaftlichen Wandel betonen die Bedeutung von Nischen – als Orte der radikalen Innovation. Es braucht immer Menschen und Gruppen, die Gedanken entwickeln, wie es anders geht. Es braucht Pressure Groups, die Visionen entwickeln, kommunizieren und den politischen Prozess organisieren, um Druck zu machen.

Vom politischen Oben braucht man also Visionen nicht zu erwarten, oder?

Politik will gewählt werden. Sich zurückzulehnen und zu sagen, die Politik soll was machen, das ist ein unrealistisches Bild. Wir brauchen hingegen die Gruppen, die sagen: Wir entwickeln neue Visionen von Zusammenleben, neue Normen, neue Lebensstile. Denken Sie an die Frauenbewegung, an die Schwulenbewegung, an die Abschaffung der Sklaverei. Es war einst normal, dass man Sklaven hatte. Vielleicht gibt es einmal eine Zeit, in der es nicht mehr normal ist, zwei oder drei Tonnen CO2 zu verballern, um Shopping in New York zu machen.

Biodiversitätsverlust, Klimawandel sind immer noch Dinge, die überwiegend in der Zukunft liegen. Kann der Mensch nur auf Sicht fahren?

Aus evolutionären Gründen gewichten wir Nachteile, die im Jetzt entstehen, schwerer als viel gravierendere Nachteile, die in zehn Jahren entstehen. In der öffentlichen Debatte wiegt eine 16-Cent-Erhöhung von Benzin für die meisten schwerer als die Wahrscheinlichkeit, dass wir in zehn Jahren jeden Sommer eine Hochwasserkatastrophe wie heuer haben. Aber wir sind ja keine dumme Spezies. Wenn man Menschen auf das Problem aufmerksam macht, dann können die darüber nachdenken und das korrigieren. Deshalb verlange ich mehr Ehrlichkeit und Mut von der Politik.

Zur Person

Sebastian Bamberg ist Professor für Sozialpsychologie und quantitative Forschungsmethoden an der Fachhochschule Bielefeld. Forschungsschwerpunkte: Verhaltensmodelltheorien und soziale Identitätstheorie sowie Transformation der Nachhaltigkeit in Bereichen wie Mobilität und Umwelt.

„Natur und Wissenschaft im Wandel der Zeit“

Heuer (30. 9. bis 2. 10.) sprechen beim Biologicum Almtal und beim Junior Biologicum, organisiert von der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle, erneut renommierte Wissenschafterinnen und Wissenschafter über wichtige Themen des Lebens aus biologisch-evolutionärer Perspektive. Das Thema heuer lautet: „Natur und Wissenschaft im Wandel der Zeit“.
Neben Prof. Bamberg sind zu Gast im Pfarrhof Grünau:
Biologe Robert Brodschneider, Mikrobiologin Daniela Haluza, Biologe Josef Hemetsberger, Zoologe Stephan Weigl, Ornithologe Norbert Pühringer, Ökologin Christina Pichler-Koban, Verhaltensbiologe Matthias Loretto, Biologe Georg Rauer und Wissensvermittler Thomas Weidinger. Ein 3-G-Nachweis ist für die Teilnahme am Biologicum Almtal und Junior Biologicum erforderlich.

Nähere Informationen: biologicum-almtal.univie.ac.at

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18. April 2024