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Hochwasser in Venedig: Markusplatz wieder gesperrt, Jugendliche helfen bei Aufräumarbeiten

Von nachrichten.at/apa   17.November 2019

Für Sonntag rief das Gezeitenbüro der Kommune die höchste Warnstufe aus. Rund 70 Prozent des Stadtkerns standen unter Wasser. Bürgermeister Luigi Brugnaro beschloss die Sperre des Markusplatzes, auf dem das Wasser 60 Zentimeter erreichte.

Die Museen blieben am Sonntag geschlossen. Der Schirokko-Wind war jedenfalls laut Wetterexperten schwächer als in den vergangenen Tagen sein. Daher sollte sich die Lage weniger kritisch als am Mittwoch erweisen, als die Flut auf bis zu 187 Zentimeter gestiegen war.

Bürgermeister koordiniert Ersthilfe

Der italienische Zivilschutz hat dem Bürgermeister von Venedig die Funktion des Regierungskommissars anvertraut, der die Verantwortung für die Nothilfe in der Lagunenstadt übernimmt. Der Stadtchef wird jene 20 Millionen Euro verwalten, die die Regierung "für die dringendsten Maßnahmen" in der Lagunenstadt zur Verfügung gestellt hat.

Brugnaro hat 40 Tage Zeit, um einen Plan für den Neustart der Stadt zu entwickeln. Privatleute sollen mit jeweils bis zu 5.000 Euro für die Flutschäden entschädigt werden, Geschäftsleute mit bis zu 20.000 Euro. Brugnaro richtete angesichts der massiven Hochwasserschäden ein Spendenkonto für seine Stadt ein und warb um finanzielle Unterstützung aus dem In- und Ausland.

Am 26. November soll eine Sonderkommission über die "Probleme Venedigs" beraten. Dabei soll es auch um ein geplantes Anlegeverbot für große Kreuzfahrtschiffe und ein umstrittenes Hochwasserschutzsystem gehen, das die Stadt mit schwimmenden Barrieren schützen soll und bereits seit 2003 in Bau ist.

Hilfsaktion von der Gruppe "Venice calls"

Inzwischen sind Hunderte Jugendliche aus ganz Italien in Venedig eingetroffen, die bei den Aufräumarbeiten mithelfen wollten. Organisiert wurde die Hilfsaktion von der Gruppe "Venice calls". Die Jugendlichen helfen bei der Säuberung von überschwemmten Wohnungen und Geschäften. Auf Facebook wurde das Bild eines Elektrikers gepostet, der erschöpft im Zug von Venedig nach Padua schläft, nachdem er stundenlang kostenlos bei der Behebung der Hochwasserschäden geholfen hatte.

Das als "Acqua Alta" bekannte Hochwasser in Venedig war in der Nacht auf Mittwoch auf einen Pegel von 1,87 Meter gestiegen. Der Markusplatz und die Krypta des Markusdoms standen unter Wasser. Nur einmal seit Beginn der Aufzeichnungen hatte das Wasser noch höher gestanden: 1966 lag der Pegel bei 1,94 Meter. Das von Regen, Wind und den Gezeiten verursachte Hochwasser stieg am Donnerstag nicht noch weiter an, am Freitag sollte es dann bei 1,45 Meter liegen.

Unwetterschäden in der gesamten Region und in Toskana

Die ganze Region Venetien beklagte Unwetterschäden. Überschwemmungen gab es in den Badeortschaften Chioggia, Caorle und Jesolo. In Friaul Julisch Venetien kam es zu heftigen Niederschlägen, vor allem in Triest und in Grado. 150 Familien waren in der italienisch-französischen Grenzstadt Ventimiglia wegen Erdrutschgefahr abgeschnitten. In der piemontesischen Provinz Cuneo waren 4.000 Familien wegen eines Stromausfalls ohne Licht.

Die Schlechtwetterfront erreichte auch die Toskana. In Florenz wurde der Fluss Arno beobachtet, dessen Pegel in den letzten Tagen stark gestiegen ist. Die bekannten Renaissance-Gärten Boboli in Florenz wurden wegen der Gefahr, dass Bäume einstürzen könnten, geschlossen. Befürchtet wurde, dass der Arno auch in Pisa über die Ufer tritt. Überschwemmungen gab es auch in Grosseto. Im Raum der Stadt Empoli sowie in der Badeortschaft Orbetello mussten Hunderte Familien vorsichtshalber evakuiert werden, da Flüsse über die Ufer traten. Zwei Personen, die mit ihrem Auto in der toskanischen Badeortschaft Capalbio stecken geblieben waren, wurden in Sicherheit gebracht.

Auch Süditalien ist von schweren Unwettern heimgesucht worden. Starker Wind und heftige Niederschläge verursachten Überschwemmungen in Rom. Bäume stürzten in der italienischen Hauptstadt um, Autos wurden beschädigt. Ein Autofahrer, dessen Fahrzeug von einem Baum getroffen wurde, lag in kritischem Zustand im Krankenhaus. Der Zentralfriedhof Verano wurde geschlossen. Der starke Wind beschädigte ferner Badeanlagen in Ostia nahe Rom und sorgte für schwierige Verhältnisse in der Hafenstadt Civitavecchia. Die Wetterlage sollte auch am Montag angespannt bleiben.

Die Regierung wollte sich noch am heutigen Sonntag mit den Unwettern beschäftigen. Außenminister Luigi Di Maio kündigte eine Ministerratsitzung an, bei der Gelder für die Nothilfe beschlossen werden sollten.

Touristen stürmten Markusplatz

Schlangen bildeten sich am Samstag vor den Holzstegen, auf denen der Markusplatz erreichbar ist. Mit Gummistiefeln wateten Touristen über den Platz und fotografierten. Der Markusplatz ist der niedrigste Punkt der Lagunenstadt.

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Touristen stürmten den Markusplatz

Die Schulen blieben am Samstag in der Lagunenstadt geschlossen, auch der öffentliche Wasserverkehr auf dem Canal Grande wurde nicht wieder aufgenommen. Bürgermeister Luigi Brugnaro machte seiner Stadt Mut. "Venedig muss der Welt beweisen, dass sich die Stadt wieder aufraffen kann", sagte er in einem Interview mit der römischen Tageszeitung "Il Messaggero". Er drängte auch zum Fertigbau des geplanten Dammsystems MOSE, das Venedig künftig vor Hochwasser schützen müsse.

Für Samstagvormittag kam es zu einem Wasserhöchststand von etwa 120 Zentimetern über dem normalen Meeresspiegel. Der Wert liegt weit unter jenem von Dienstag, an dem 187 Zentimeter erreicht wurden und fast die ganze UNESCO-Welterbestadt überschwemmt war. Es war der höchste Wert seit mehr als 50 Jahren. Am Sonntag wird wieder eine Flutwelle mit 160 Zentimetern über dem Meeresspiegel erwartet.

Stadt beginnt mit Schadenserhebung

Nach der neuen Flutwelle am Freitag beginnt Venedig mit der Erhebung der Schäden. Während der Markusplatz überschwemmt bleibt, beklagt die Touristikbranche schwere Verluste.

Besitzer von Ferienwohnungen meldeten, dass 35 Prozent der für die nächsten Monate gebuchten Aufenthalte storniert wurden. In Hotels betrugen die Stornierungen 15 Prozent, so der Touristikverband Confturismo.

> Video: Venedig ist überflutet

Shop-Inhaber säubern ihre Geschäfte von Wasser und Schlamm. Inzwischen werden auch die Schäden geprüft, die das Hochwasser dem Kunsterbe der Stadt zugefügt hat. Von 120 Kirchen wurde die Hälfte überschwemmt, beklagte die venezianische Tageszeitung "Il Gazzettino". Fünf Vaporetti, die Wasserbusse Venedigs, und sechs Landungsbrücken wurden schwer beschädigt.

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Alles muss von den Wassermassen befreit werden

Auch die Gondolieri erlitten erhebliche Schäden. 25 Gondeln müssen repariert werden. Wegen der Flutwelle ging kostbares Holz verloren, das dem Gondelbau dient. Der Gondelbauer Alberto Della Toffola verlor im Wasser über 30 Holztafeln, die von der Flutwelle weggeschwemmt wurden. "Wir kaufen das Holz in Slowenien, es ist nicht einfach, das richtige Material für unsere Gondeln zu finden. Die Schäden sind groß", sagte Della Toffola laut der Tageszeitung "Corriere della Sera".

Die Kreuzfahrtindustrie will helfen. Die Kreuzfahrtgesellschaften, die in Venedig halten und deren Schiffe seit jeher als Gefahr für die Lagunenstadt betrachtet werden, wurden zu Spenden aufgerufen. Costa Crociere will für die Stadt 100.000 Euro locker machen, kündigte die Reederei aus Genua in einer Presseaussendung an.

Überschwemmungen auch in umliegenden Regionen

Nicht nur Venedig leidet unter dem Unwetter. Auch in der 50 Kilometer von Venedig entfernten Kleinstadt Chioggia kam es zu Überschwemmungen. In der friaulischen Adria-Badeortschaft Grado mussten überschwemmte Straßen gesperrt werden.

In mehreren Gemeinden der Dolomiten-Provinz Belluno blieben Schulen wegen der Schneegefahr geschlossen. Zudem wurden einige Alpenpässe gesperrt. In der ligurischen Provinz Imperia kam es zu Erdrutschen. Nach heftigen Gewittern wurden Stromausfälle in mehreren Stadtvierteln Genuas gemeldet. Auch Rom wurde von Stürmen und Niederschlägen heimgesucht. Eine Entspannung der Lage steht nicht unmittelbar bevor: Wetterexperten warnten, dass ganz Italien an diesem Wochenende mit einer Schlechtwetterfront mit starken Stürmen und Niederschlägen konfrontiert werde.

Venedig wartet auf "MOSE" – und die Stadt versinkt

Seit Tagen wird Venedig vom schlimmsten Hochwasser seit 1966 heimgesucht. Gestern wurde die Sperre des überfluteten Markusplatz beschlossen, der öffentliche Wasserverkehr auf dem Canal Grande eingestellt. Wegen starken Schirokko-Windes und heftigen Niederschlägen war der Pegel auf 154 Zentimeter über dem Meeresspiegel gestiegen.

Die italienische Regierung hatte am Donnerstag den Notstand verhängt und 20 Millionen Euro Soforthilfe locker gemacht. Bürgermeister Luigi Brugnaro bezifferte die Schäden auf "mehrere Hundert Millionen Euro" und forderte rasch die Fertigstellung des "MOSE"-Projektes.

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Schon in den 1980er Jahren hatte Venedig entschieden, dieses Barrieresystem zu bauen. Es gilt als das größte Infrastrukturprojekt Italiens seit Ende des Zweiten Weltkriegs. 2003 setzte Ministerpräsident Silvio Berlusconi den Grundstein. 2011 sollte das Projekt abgeschlossen sein. Doch die Fertigstellung verzögerte sich – im Moment ist von 2021 die Rede.

Dutzende Verhaftungen

Erst rosteten Teile der Konstruktion, ehe die Tore überhaupt eingesetzt werden konnten. Dann stellte sich heraus, dass Bauunternehmer und Politiker an dem Projekt kräftig mitverdienten. 2014 kam es zu Dutzenden Verhaftungen bis in höchste Regierungskreise. Der Vorwurf: Geldwäsche, Veruntreuung und Erpressung. Der damalige Verkehrsminister Altero Matteoli wurde zu vier Jahren Haft verurteilt. Pikant: Am "MOSE"-Bau ist auch eine Finanzholding der Familie Berlusconi beteiligt.

Wegen der Verzögerung nennen italienische Medien das riesige Sperrwerk auch "die große Unvollendete". Ursprünglich sollte der Stahl-Damm 1,6 Milliarden Euro kosten, inzwischen hat er mehr als das Dreifache verschlungen. Am Ende dürften es mindestens sechs Milliarden Euro sein.

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24. April 2024