Türkische Anwaltskammern boykottieren Empfang im Präsidentenpalast
ANKARA. Mehrere Anwaltskammern in der Türkei wollen Einladungen des Obersten Berufungsgerichts für einen Empfang Anfang September aus Protest gegen die Lage in dem Land nicht annehmen. Die mittlerweile 16 Anwaltskammern kritisieren den Mangel an Unabhängigkeit der Justiz in der Türkei, wie es am Samstag hieß.
Mit dem Empfang im Präsidentenpalast am 2. September will das Oberste Berufungsgericht in Ankara den Beginn des neuen Gerichtsjahres nach der Sommerpause begehen. Als erste hatte die Anwaltskammer Izmir abgelehnt.
"In der Rede, die Sie halten werden, werden Sie wahrscheinlich über Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz sprechen", schrieb die Anwaltskammer Izmir an die Gerichtsleitung. "Obwohl Sie wissen, dass Tausende Menschen, die für Rechte kämpfen, im Gefängnis sitzen, werden Sie über persönliche Freiheit und Sicherheit, Meinungsfreiheit, das Recht auf faire Prozesse und Pressefreiheit sprechen".
Die 16 Anwaltskammern stellen etwa 75 Prozent aller registrierten Anwälte dar. Am Boykott beteiligen sich unter anderem die Kammern in Adana, Ankara, Antalya, Istanbul und Izmir. Unklar ist bisher, ob Erdogan an dem Empfang teilnehmen wird.
Seit dem gescheiterten Putschversuch vom 15. Juli 2016 wurden mehr als 100.000 Staatsbedienstete entlassen und Zehntausende Menschen verhaftet, darunter auch viele Anwälte und Richter. Noch immer gibt es wöchentliche Razzien gegen mutmaßliche Anhänger des islamischen Predigers Fethullah Gülen, den Präsident Recep Tayyip Erdogan als Drahtzieher hinter dem Umsturzversuch sieht. Erdogan ließ seitdem ferner mehr als 100 Medien und Verlage per Dekret schließen.