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"Monumentales Versagen": Kritik an Katastrophenschutz in Deutschland nimmt zu

Von nachrichten.at/apa   19.Juli 2021

Mit dem Rückgang der akuten Gefahr in den Hochwassergebieten gewinnt die Debatte über Versäumnisse beim Bevölkerungsschutz an Schärfe. Eine britische Wissenschafterin warf den deutschen Behörden "monumentales" System-Versagen bei der Flutkatastrophe vor. Aus Sicht der Hydrologin Hannah Cloke von der englischen Universität Reading ist in Deutschland viel schiefgegangen. Klare Hinweise, die im Rahmen des europäischen Frühwarnsystems EFAS bereits vier Tage vor den ersten Überschwemmungen herausgegeben worden seien, seien offenbar nicht bei der Bevölkerung angekommen, sagte sie der Zeitung "Sunday Times".  EFAS habe gemeindegenau und mit genug zeitlichem Vorlauf vor Regenmengen von bis zu 200 Litern pro Quadratmeter gewarnt. "Doch irgendwo ist diese Warnkette dann gebrochen, so dass die Meldungen nicht bei den Menschen angekommen sind", kritisierte sie im ZDF weiter.

Die Forscherin war am Aufbau von EFAS (European Flood Awareness System, auf Deutsch: Europäisches Hochwasseraufklärungssystem) beteiligt, das nach den verheerenden Überschwemmungen an Elbe und Donau im Jahr 2002 gegründet wurde. Mithilfe meteorologischer und hydrologischer Daten sowie anhand von Computer-Modellen werden dabei Überschwemmungen und Sturzfluten vorhergesagt. Ziel ist es, Zeit zu gewinnen, um die Bevölkerung besser zu schützen.

Der Deutsche Wetterdienst (DWD) hat nach Angaben des Bundesverkehrsministeriums bereits zwei Tage vor dem Unwetter im Westen Deutschlands die zuständigen Stellen verständigt. Der DWD habe Montag früh, dem 12. Juli um 6.00 Uhr "über die bevorstehenden Starkregenereignisse informiert", teilte ein Ministeriumssprecher am Montag mit. "Diese Information ging an die zuständigen Katastrophenschutzstellen der Länder, Landkreise und Kommunen."

Bilder der Katastrophe:

GERMANY-EUROPE-WEATHER-FLOODS

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Bild 1/170 Bildergalerie: Unwetter in Deutschland - Schon mehr als 100 Todesopfer

Die Unwetter, die Mitte der vergangenen Woche in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz eingesetzt hatten, führten in der Nacht zum Donnerstag zu massiven Verwüstungen. Mehr als 160 Menschen starben in beiden Bundesländern.

Der Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, Armin Schuster, sagte mit Blick auf Kritik, derzeit sei man in der Phase "Retten, Bergen, Obdachbieten et cetera". Weiter meinte er im Deutschlandfunk: "Ich habe meinen Mitarbeitern sogar quasi untersagt, Manöverkritik zu machen. Wir helfen jetzt."

Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) gedachte unterdessen der Opfer der Hochwasserkatastrophe und würdigte den Hilfseinsatz von Bundeswehrsoldaten. "Meine ersten Gedanken und Worte gelten denen, die in den letzten Tagen auf so furchtbare Art und Weise Opfer der Flutkatastrophe in Deutschland geworden sind, ob das in NRW, in Rheinland-Pfalz, in Bayern oder auch hier in Sachsen der Fall war", sagte sie am Montag.

Seehofer fordert: Lehren ziehen

Innenminister Seehofer, der nach seinem Besuch an der Steinbachtalsperre weiter nach Bad Neuenahr-Ahrweiler in Rheinland-Pfalz reiste, sagte, der Katastrophenschutz in Deutschland sei gut aufgestellt. Bund, Länder und Kommunen müssten sich aber auch gemeinsam Gedanken machen, welche Lehren aus dem Krisenmanagement zu ziehen seien. Es wäre falsch "in der Arroganz (zu) verharren", dass man nichts mehr verbessern könne.

Die Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, forderte eine Neuformation des Katastrophenschutzes mit mehr Verantwortung für den Bund. Diese Notwendigkeit zeichne sich seit längerem ab. "Notsituationen wie diese Flut oder auch Waldbrände häufen sich und brechen oft an vielen Orten zur selben Zeit aus", sagte sie in einem am Montag veröffentlichten "Spiegel"-Interview.

FDP-Bundestagsfraktionsvize Michael Theurer sieht schwere Versäumnisse. "Die rechtzeitigen Warnungen der Meteorologen sind weder von den Behörden noch vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk hinreichend an die Bürgerinnen und Bürger kommuniziert worden", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. "Es bietet sich das Bild eines erheblichen Systemversagens, für das der Bundesinnenminister Seehofer unmittelbar die persönliche Verantwortung trägt."

Linken-Parteivorsitzende Susanne Hennig-Wellsow brachte sogar eine Rücktrittsforderung ins Spiel. "Seehofer trägt die politische Verantwortung für das desaströse Versagen der Bundesregierung", sagte sie einer Mitteilung zufolge.

Video: Wie lassen sich die Überflutungen in Deutschland und Hangrutschungen in Österreich erklären, wo kommen sie her und was kann dagegen unternommen werden.

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28. März 2024