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Elf Tote in Hanau: Innenminister bestätigt Terrorverdacht

Von nachrichten.at/apa   20.Februar 2020

Der mutmaßliche Täter wurde tot in seiner Wohnung aufgefunden, ebenso seine 72-jährige Mutter. In einem Video sprach der 43-jährige Sportschütze in fließendem Englisch von einer "persönlichen Botschaft an alle Amerikaner". 

Der mutmaßliche Todesschütze Tobias R. kommt Behördenangaben zufolge aus Hanau. Bei der Gewalttat an mindestens vier verschiedenen Tatorten in Hanau seien neun Menschen gestorben, sagte Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) am Donnerstag im Landtag in Wiesbaden. Insgesamt kamen in Folge der Gewalttat elf Menschen ums Leben. Außerdem wurde ein Mensch schwer verletzt und mehrere andere verletzt.

Verdacht einer terroristischen Gewalttat

Der Generalbundesanwalt stufe das Verbrechen als "Verdacht einer terroristischen Gewalttat ein", sagte Beuth. "Nach unseren jetzigen Erkenntnissen ist ein fremdenfeindliches Motiv durchaus gegeben", sagt der CDU-Politiker am Donnerstag. 

Der mutmaßliche Täter sei zuvor nicht im Visier der Ermittler gewesen. Der Mann sei weder als fremdenfeindlich bekannt gewesen noch polizeilich in Erscheinung getreten, sagte Beuth im Wiesbadener Landtag. 

Über den Tathergang ist bisher folgendes bekannt: Der 43-jährige Todesschütze habe am späten Mittwochabend in zwei Shisha-Bars und in einem Kiosk das Feuer eröffnet und dabei neun Menschen erschossen. Der Mann habe allein gehandelt, sagte Innenminister Beuth. Als Sportschütze soll er legal Waffen besessen haben. Er hinterließ eine Videobotschaft und ein Bekennerschreiben. Die Bundesanwaltschaft geht von rechtsextremistischen Motiven aus. Darauf lasse etwa eine Homepage schließen, aus der sich ein mutmaßlicher rechter Hintergrund des Mannes ergebe. Die Ermittlungen liefen.

Video: Mehrere Tote durch Schüsse im deutschen Hanau

Kontakt mit Österreicher

Die Deutsche Bundesanwaltschaft prüft nach der rassistischen Gewalttat von Hanau, ob der mutmaßliche Täter Mitwisser oder Unterstützer für seinen Anschlag hatte. Dazu würden das Umfeld und die Kontakte des Mannes im In- und Ausland abgeklärt, sagte Generalbundesanwalt Peter Frank am Donnerstag in Karlsruhe.

Laut einem Bericht der "Niederösterreichischen Nachrichten" ("NÖN") hat der mutmaßliche Täter von Hanau offenbar Mail-Kontakt mit einem Niederösterreicher gehabt. In einem 24-seitigen Manifest schrieb der Deutsche über einen österreichischen Staatsbürger, der ihm empfohlen wurde, nachdem er sich selbst "in den Fängen einer Geheimorganisation" gesehen hatte. Der Mann aus dem Bezirk Neunkirchen bestätigte den Mail-Austausch den "NÖN". Er habe dem Deutschen jedoch klar gemacht habe, dass er ihm nicht helfen könne.

Wer ist Tobias R.?

Ein Mann, der keine Frau findet. Ein Mann, der an geheime Mächte glaubt, die ihn überwachen und sich auch in sein Hirn "einklinken". Der Sündenböcke sucht, die er für Probleme in seinem Umfeld und für sein selbst empfundenes persönliches Scheitern verantwortlich machen kann. Im Internet hinterlässt er ein Video, in dem er krude Verschwörungstheorien verbreitet und davon spricht, dass ganze Völker "komplett vernichtet werden müssen".

Tobias R. (43), der von Größenwahn und rassistischem Hass getriebene mutmaßliche Attentäter von Hanau, entspricht in vielerlei Hinsicht dem Tätertypus des um Aufmerksamkeit heischenden, äußerlich unauffälligen rechtsradikalen Gewalttäters. Parallelen zu dem Attentäter von Halle, der im Oktober ebenfalls in Deutschland erst versucht hatte, in eine voll besetzte Synagoge einzudringen und dann zwei Menschen erschoss, sind offensichtlich.

Auch wenn Tobias R. nach bisherigen Erkenntnissen der Behörden keine Kontakte zu bekannten Rechtsextremisten unterhielt. In diesen Kreisen stößt sein Anschlag auf Interesse. Ein Kanal, der eine seiner Video-Botschaften im Internet verbreitet, nennt sich Kommando 18. In der Szene steht die Zahl 18 für A und H, den ersten und den achten Buchstaben des Alphabets, die Initialen von Adolf Hitler.

Wenige Tage vor dem Verbrechen hatte der mutmaßliche Täter nach Informationen aus Sicherheitskreisen ein Video bei Youtube veröffentlicht. In diesem Video spricht der Mann in fließendem Englisch von einer "persönlichen Botschaft an alle Amerikaner". Der Clip, der am Donnerstagmorgen weiter im Internet zu sehen war, wurde offensichtlich in einer Privatwohnung aufgenommen, ins Netz gestellt wurde er vor wenigen Tagen.

Darin sagt der Mann, in den USA existierten unterirdische Militäreinrichtungen, in denen Kinder misshandelt und getötet würden. Dort würde auch dem Teufel gehuldigt. Amerikanische Staatsbürger sollten aufwachen und gegen diese Zustände "jetzt kämpfen". Ein Hinweis auf eine bevorstehende eigene Gewalttat in Deutschland ist in dem Video nicht enthalten. Er behauptet auch, Deutschland werde von einem Geheimdienst gesteuert. Außerdem äußert er sich negativ über Migranten aus arabischen Ländern und der Türkei.

Schießerei im deutschen Hanau

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Bild 1/34 Bildergalerie: Schießerei im deutschen Hanau

Die ersten Schüsse fielen den Ermittlern zufolge am Mittwochabend gegen 22.00 Uhr. Am Heumarkt in der Hanauer Innenstadt blicken Passanten später in der Nacht immer wieder fassungslos auf die Szenerie am abgesperrten Tatort. Nicht weit entfernt in einer Seitenstraße liegen Patronenhülsen auf dem Fußweg.

Nur rund zwei Kilometer davon entfernt im Stadtteil Kesselstadt befindet sich ein weiterer Tatort. Dort wurden ebenfalls Schüsse abgefeuert. Eine mögliche dritte Gewalttat im Stadtteil Lamboy bestätigte sich nicht. Die Polizei war aber auch dort mit einem Großaufgebot vor Ort.

Es ist ein Verbrechen, das die beschauliche und nur wenige Kilometer östlich von Frankfurt gelegene Stadt in ihrer jüngeren Geschichte noch nicht erlebt hat. Einer der Tatorte ist eine Shisha-Bar am Heumarkt, einer Straße, die etwas am Rande der Innenstadt von Hanau mit seinen rund 100.000 Einwohnern liegt. Es ist eine Gegend mit Spielhallen, Wettlokalen und Döner-Imbissbuden - und am späten Mittwochabend auch Polizeisirenen, Blaulicht und Absperrband.

Das Video eines Nachbarn zeigt den Polizeieinsatz: 

Der zweite Tatort ist fast in Gehweite, mit dem Auto sind es bis dahin nur etwa fünf Minuten. Der Kurt-Schumacher-Platz liegt in einem Wohnviertel. Dort befindet sich im Erdgeschoß eines Wohnblocks eine Art Kiosk, mit der Aufschrift "24/7 Kiosk" auf der großen Glasscheibe, auf einem Reklame-Leuchtschild steht "Arena Bar & Café". Der Blick ins Innere ist versperrt, die Scheiben sind teils halbhoch mit orangefarbener Folie beklebt.

Ein 24-Jähriger, der nach eigenen Angaben der Sohn des Kioskbesitzers ist, erzählt, er sei bei der Tat nicht vor Ort gewesen - sein Vater auch nicht, wie er erst später erfahren habe. Als er von den Schüssen gehört habe, sei er sofort hergekommen. "Ich habe erstmal einen Schock bekommen." Die Opfer seien Leute, "die wir jahrelang kennen". Es seien zwei Mitarbeiter und eine Person, die er schon von klein auf kenne. Wer verübt solch ein Verbrechen? Der 24-Jährige ist ratlos: "Wir kennen sowas nicht, wir sind auch nicht mit Leuten zerstritten. Wir können es uns gar nicht vorstellen. Es war ein Schock für alle."

SPD-Vize nennt AfD "geistige Brandstifter"

Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Hubertus Heil hat die AfD als geistige Brandstifter bezeichnet. "Wir müssen mehr Härte gegen Rechts zeigen in Deutschland", sagte der Arbeitsminister am Rande einer Gedenkveranstaltung für die Opfer der Bluttat auf dem Hamburger Rathausmarkt.

Die Tatsache, dass die AfD-Fraktion dort nicht gemeinsam mit den anderen in der Bürgerschaft vertretenen Parteien zusammengestanden sei, spreche für sich. "Das sind geistige Brandstifter", sagte Heil. "Ich erlebe diese Hetzreden im Deutschen Bundestag, und in Hamburg gibt es so etwas auch."

"Rassismus ist ein Gift"

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte wegen des Gewaltverbrechens einen geplanten Besuch in Sachsen-Anhalt ab. "Rassismus ist ein Gift, der Hass ist ein Gift. Und dieses Gift existiert in unserer Gesellschaft und es ist Schuld an schon viel zu vielen Verbrechen", sagte Merkel. Auch der deutsche Innenminister Horst Seehofer (CSU) hat wegen des Gewaltverbrechens in Hanau einen Termin abgesagt.

Bundespräsident Steinmeier will im Laufe des Nachmittags nach Hanau reisen. "Ich stehe an der Seite aller Menschen, die durch rassistischen Hass bedroht werden. Sie sind nicht allein."

Der österreichische Bundespräsident Alexander Van der Bellen bezeichnete "die Nachrichten über die mutmaßlich rassistisch & rechtsextrem motivierten Morde" in Hanau als schrecklich. "Eine solche verabscheuungswürdige Tat ist auf das Schärfste zu verurteilen. Unser Mitgefühl ist bei den Opfern, ihren Angehörigen, Freundinnen und Freunden", schrieb er auf Twitter.

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat vor dem EU-Gipfel in Brüssel den Familien der Opfer der Gewalttat von Hanau sein "tief empfundenes Mitgefühl" ausgesprochen. "Es ist ein abscheulicher rechtsradikaler Terroranschlag gewesen, der hier in Deutschland stattgefunden hat und der aufs Schärfste zu verurteilen ist", sagte Kurz vor Beginn der Beratungen.

Auch vom Französischen Staatschef Emmanuel Macron, von der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sowie vom Türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan kamen heute Beileidsbekundungen für die Opfer.

Der Hanauer Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) zeigt sich in einer Sondersendung von "Bild live" erschüttert über die Gewalttaten. "Das war ein furchtbarer Abend, der wird uns sicherlich noch lange, lange beschäftigen und in trauriger Erinnerung bleiben." Via Facebook spricht Kaminsky den Angehörigen der Opfer seine Anteilnahme aus. "Meine Gedanken sind bei den Familien und Freunden der Opfer. Ihnen gilt mein tief empfundenes Beileid."

Ebenfalls erschüttert zeigte sich Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU). "Das ist furchtbar", sagte Bouffier am Donnerstag in Wiesbaden. Diese Tat mache "im Grunde sprachlos". Alle Bürger in Hessen seien "entsetzt". An Spekulationen zu den Hintergründen der Tat wolle er sich nicht beteiligen.

Schweigeminute bei Salzburg-Spiel 

Beim Europa-League-Gastspiel von Fußball-Meister Red Bull Salzburg am heutigen Donnerstag bei Eintracht Frankfurt wird der Opfer des Terroranschlags gedacht. Vor Spielbeginn (18.55 Uhr) wird in der ausverkauften Arena in Frankfurt am Main eine Schweigeminute abgehalten. Dazu spielen beide Teams mit Trauerflor, gaben die beiden Clubs bekannt. Dabei soll ein klares Zeichen gegen Rassismus und Extremismus gesetzt werden. 

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24. April 2024