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Die Dame mit der Lampe

Von Astrid Diepgen   02.Mai 2020

Florence Nightingale gilt als Begründerin der westlichen modernen Krankenpflege. Sie war die erste Frau, die ein Krankenpflegelehrbuch verfasste und veröffentlichte ("Notes on Nursing"). Nightingale lebte in einer Zeit, in der Epidemien weit verbreitet waren. Vor 200 Jahren – am 12. Mai 1820 – erblickte sie in Florenz das Licht der Welt. Ihre Eltern befanden sich auf einer ausgedehnten Hochzeitsreise durch Italien. Sie benannten ihre zweite Tochter nach ihrem Geburtsort Florence.

Das öffentliche Nightingale-Bild wechselt zwischen dem einer Heiligen und dem einer Machtbesessenen aus der britischen Oberschicht. Zeitweise galt sie als rettender Engel der Soldaten aus dem Krimkrieg, dann als ihr Todesengel. Zu Nightingales 200. Geburtstag während der Coronakrise lohnt es sich, aus Nightingales Erfolgen und Fehlern zu lernen – vor allem aber, den Pflegenden und dem Gesundheitswesen den Lohn zukommen zu lassen, der ihnen für den Schutz unseres Lebens, unserer Gesundheit und Gesellschaft zusteht. Hedwig Herold-Schmidt und Nicolette Bohn beleuchten in ihren unlängst erschienenen Biografien eine schillernde Persönlichkeit.

13 Puppen "gepflegt"

Nightingale hatte ihre Leidenschaft für die Krankenpflege früh entdeckt: Als Kind litt sie unter Keuchhusten und verband ihren 13 Puppen den Hals, um sie mit kindlichem Eifer spielerisch gesund zu pflegen. Als Sechzehnjährige pflegte sie liebevoll einen Hund mit gebrochenem Bein. Ihre Mutter beschrieb die eifrige kleine Tochter als "scharfsinnige kleine Kreatur mit klarem Kopf, die sich überall durchsetzte durch Nachdenken und eifrige Umsetzung ihrer Überlegungen." Trotzdem hatte Florence zeitlebens ein schwieriges Verhältnis zu ihrer Familie. Hedwig Herold-Schmidt kennt den Grund: "Florence […] gelangen nur diejenigen Dinge gut, die sich für Mädchen kaum ziemten. Bei einem Jungen wären ihre Ich-Bezogenheit, Sturheit und Hartnäckigkeit, ihre intellektuelle Brillanz und ihr Wissensdurst völlig normal, ja vielversprechend für eine verheißungsvolle Zukunft gewesen."

Genau diese damals männlich konnotierten Eigenschaften waren es, die Nightingale gegen alle Widrigkeiten durchhalten ließen und ihr bei den Reformen in der Gesundheitsversorgung und im Sanitätswesen nützlich wurden. Ihre klassische Ausbildung und ihr Interesse für Philosophie und Politik unterschieden Nightingale von anderen Reformerinnen ihrer Zeit. "Ihr so geschulter Intellekt dürfte maßgeblich dazu beigetragen haben, dass sie in männlichen Zirkeln, sowohl bei den Unterstützern ihrer Reformprojekte als auch bei deren Gegnern, akzeptiert wurde," vermutet Herold-Schmidt.

Nightingales wichtigste Mission führte sie von 1854 bis 1856 in den Krimkrieg. Dort pflegte sie aufopferungsvoll britische Soldaten und leitete eine Gruppe von Pflegerinnen. Wenn sie nachts durch die langen Gänge des Militärkrankenhauses schritt, beleuchtete ihre Laterne die dankbaren Gesichter der Soldaten. Aus dieser Zeit hat sie ihren berühmten Namen "Lady with the Lamp" ("Die Dame mit der Lampe"). Dieses Bild machte sie zur Heldin, beinahe zur Heiligen. In ihrem "Curriculum Vitae" schrieb Florence: "Die erste Idee, die mit der Erinnerung an meine Jugend verbunden ist, bezieht sich […] auf den Wunsch, Kranke zu pflegen. All meine Tagträume kreisten um Krankenhäuser und, sooft ich konnte, suchte ich sie auf. Ich sprach mit niemand darüber; man hätte mich doch nur ausgelacht. Doch ich glaubte, Gott habe mich berufen, ihm auf diese Weise zu dienen."

Über ihre Zeit als Militärkrankenschwester schrieb Nightingale: "Niemand kann mit der Armee fühlen, wie ich es tue. Man muss diesen langen schrecklichen Winter erlebt haben, um zu wissen, wie es war. Ich kann es nie vergessen." Viele der Soldaten starben nicht an Kriegsverletzungen, sondern an ansteckenden Krankheiten und Epidemien wie Krimfieber, Cholera und Typhus.

Hygiene und Sauberkeit waren für Nightingale äußerst wichtig. Sie setzte sich dafür im "Sanitary Movement" ein, einer englischen Hygienebewegung. Die Keimtheorie, die Ansteckungen erklärt, wurde erst später von Robert Koch und Louis Pasteur entdeckt. Nightingale ging noch von Miasmen, krankmachenden Ausdünstungen, aus.

Vormodernes Triage-System

Vielen hinterbliebenen Familien schrieb die Lady mit der Lampe persönliche Briefe, in denen sie ihnen die letzten Worte ihrer Verstorbenen mitteilte. Einen Tag nach ihrem 35. Geburtstag wurde bei Nightingale selbst eine schwere Krankheit diagnostiziert. Fast kostete sie sie das Leben. Damals ging man von "Krimfieber" aus, heute eher von Brucellose. Während des Krimkriegs führte Nightingale ein vormodernes Triage-System ein: Dabei wurden die Verletzten und Kranken so eingeteilt, dass erst diejenigen Hilfe bekamen, die sie am dringendsten brauchten. Nightingale war es wichtig, alle gleich zu behandeln. Offiziere hatten dafür oft kein Verständnis und wollten eine Vorzugsbehandlung.

In der Nähe des Familiensitzes Lea Hurst der Familie Nightingale befand sich das Dorf Holloway. Florence kümmerte sich dort um Arme und Notleidende, brachte ihnen Medizin, Lebensmittel und Kleidung. "Du bringst uns noch die Seuche ins Haus", mahnte Florences Familie sie ständig. Nicolette Bohn stellt fest: "Hatte Florence 1844 noch geglaubt, Eigenschaften wie Zartgefühl, Güte und Geduld würden ausreichen, um Kranke zu pflegen, so begriff sie nun (nachdem sie ihre Großmutter väterlicherseits und anschließend Mrs. Gale, ihre alte Kinderfrau, gepflegt hatte), dass dies Wissen und Erfahrung voraussetzte. Wer Kranke pflegte, musste dazu ausgebildet werden."

Errungenschaften und Vorwürfe

Nightingale half ihr beeindruckendes Netzwerk persönlicher Beziehungen zu Politikern, Sozialreformern und Wissenschaftern, in vielen Bereichen erfolgreich zu sein: Sie war Expertin für Fragen der öffentlichen Gesundheitsfürsorge und des Militärsanitärwesens, international anerkannte Krankenhausreformerin, Propagandistin für Sozialreformen, Spezialistin für Kolonialfragen in Indien, Kämpferin für Frauenrechte und Pionierin der Statistik.

Während Nicolette Bohn die großen Errungenschaften, die Nightingale auf den Weg brachte, in den Mittelpunkt stellt, geht Hedwig Herold-Schmidt in ihrem Buch auch auf die vielen Vorwürfe und Kritikpunkte ein, die Nightingale seit jeher begleiteten.

Durch ihr Ideal des Dienens und der Selbstverleugnung habe sich der Krankenpflegeberuf als gesellschaftlich wenig angesehene Tätigkeit in den Köpfen vieler Menschen abgespeichert. Zeitweise galt sie als Ursache allen Übels des Pflegeberufs und als verantwortlich für dessen schlechte Bezahlung und die Unterordnung unter den Arztberuf. Zudem wurde ihr vorgeworfen, sie habe tausende Tote im Krimkrieg durch falsches Handeln zu verantworten.

Literatur: "Florence Nightingale – Die Frau hinter der Legende" von Hedwig Herold-Schmidt, erschienen bei wbg Theiss; "Florence Nightingale – Nur Taten verändern die Welt" von Nicolette Bohn, erschienen bei Patmos

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24. April 2024