Bergung des kleinen Julen gestartet
TOTALÁN. Die Bergung des für "mutmaßlich tot" erklärten Julen aus einem tiefen Brunnenschacht in Südspanien ist nach elf Tagen in die entscheidende Phase gegangen. Ein achtköpfiges Team von Bergarbeitern startete am Donnerstagabend seinen Einsatz in einem etwa 80 Meter tiefen Rettungsloch.
Die Männer sollen vom Grund des in den vergangenen Tagen gebohrten Parallelschachts einen waagrechten Tunnel zu der Stelle graben, an der der Zweijährige vermutet wird. Das kann Experten zufolge bis zu 24 Stunden dauern.
Wegen der extrem schwierigen Umstände hatte sich der Beginn der Arbeit der Spezialisten immer wieder verzögert. Gegen 18 Uhr wurden die ersten beiden Bergarbeiter in einer an einem Kran befestigten Kapsel in den Schacht herabgelassen, wie die Zeitung "La Vanguardia" und andere spanische Medien unter Berufung auf die Einsatzkräfte im andalusischen Totalan berichteten.
Die Kumpel sollen sich jeweils in Zweierteams für etwa 30 Minuten unter anderem mit Spitzhacken und Presslufthämmern vorarbeiten und dann abgelöst werden. Die Bedingungen seien extrem, wegen der Enge könnten die Männer nur kniend oder liegend graben, hieß es.
Das Kind soll am 13. Jänner bei einem Ausflug mit seinen Eltern in den 107 Meter tiefen, illegal gegrabenen Schacht gefallen sein. Weil das Loch nur einen Durchmesser von 25 bis 30 Zentimetern hat, hatten die Retter entschieden, einen parallelen Schacht auszuheben, um zu Julen vorzudringen. Er wird in einer Tiefe von 70 bis 80 Metern vermutet. Lebenszeichen von dem Buben gibt es nicht.
"Jedes Mal, wenn es einen Rückschlag gibt, sind die Helfer natürlich verärgert, aber sie sind stark", sagte die stellvertretende Delegierte der Zentralregierung in Andalusien, Maria Gamez. "Ich bin mir sicher, dass wir von hier nicht ohne Julen weggehen werden."
"Ganz Spanien steht euch bei"
Viele Bewohner aus Totalán zeigen seit einer Woche unermüdlich ihre Solidarität mit dem zweijährigen Julen und seinen verzweifelten Eltern. Mit Plakaten und Schildern versuchen sie, der Familie, deren Sohn in ein rund 107 Meter tiefes Bohrloch mit einem Durchmesser von nur 25 Zentimetern in Totalán nahe Malaga gestürzt war, Mut zu machen. "Ganz Spanien steht euch bei", ist da zu lesen, "Hoffnung" oder – auf einem herzförmigen Transparent – schlicht "Julen".
Montagabend meldeten die Retter – seit Tagen arbeiten 300 Menschen rund um die Uhr – noch einen Erfolg. Ein erster Bergeschacht parallel zum Bohrloch konnte bis zu einer Tiefe von 60 Metern in den Boden getrieben werden.
Doch als viele schon auf ein Wunder hofften und minütlich mit der Mitteilung rechneten, man habe Julen gefunden und gerettet, kam der nächste Rückschlag. Plötzlich passten die zur Stabilisierung des Hilfsschachtes vorgesehenen Rohre nicht. Eine Verbreiterung des Schachtes wurde nötig. Es sei noch nicht absehbar, wie lange diese Arbeiten dauern würden, hieß es. Eine Rettung des Buben scheint damit frühestens heute möglich zu sein.
Ob Julen überhaupt noch lebt, wurde von Experten gestern bezweifelt. "Wenn alles so passiert ist wie angenommen, hat er wohl nicht einmal die ersten Stunden überlebt. Denn allein die Verletzungen durch den Sturz dürften schwerwiegend gewesen sein", sagte der deutsche Allgemeinmediziner Christoph Specht der "Bild"-Zeitung. Der Mediziner sieht die größte Gefahr im Kohlendioxid.
"Mit jedem Atemzug atmet der Bub Sauerstoff ein und Kohlendioxid aus. Letzteres ist schwerer als Sauerstoff – und Stickstoff, das andere Gas in der Atemluft – und sammelt sich daher unten, während der Sauerstoff, sofern er überhaupt unten vorzufinden war, nach oben entweicht." Das Kohlendioxid würde jedoch in kurzer Zeit zu Kopfweh und Benommenheit führen, letztlich den Tod bringen.
Kein Lebenszeichen von Julen
Seit Beginn des Einsatzes am Sonntag vor einer Woche gab es kein Lebenszeichen von Julen. Seine Eltern hatten 2017 bereits ihr erstes Kind Oliver verloren, das spanischen Medien zufolge an einem Herzfehler starb. "Ich glaube an Gott, und es tut mir leid, das zu sagen, aber er war sehr ungerecht zu uns", sagte Julens Großmutter dem Fernsehsender Antena 3. Sie glaube aber, dass Oliver in dem Bohrloch über Julen wache.
Der Kleine soll bei einem Ausflug seiner Familie in das Loch gefallen sein, das einen Durchmesser von nur 25 bis 30 Zentimetern hat. Bei Kameraaufnahmen wurde im Schacht in einer Tiefe von gut 70 Metern ein Sackerl Süßigkeiten entdeckt, die Julen bei sich hatte. Lose Erde verhinderte ein tieferes Vordringen mit der Kamera.
Das spanische Fernsehen berichtete, die örtlichen Justizbehörden in Malaga hätten Ermittlungen eingeleitet, um die Umstände des Unglücks genau zu klären.
Insgesamt waren rund 300 Helfer Tag und Nacht im Einsatz, um zu Julen vorzudringen. Nach einer ersten Bilanz des Sprechers der Einsatzkräfte, Angel Garcia Vidal, wurden bei den Bohrungen 40.000 Tonnen Material abgetragen. "Unter normalen Umständen würde so eine Aktion Monate dauern", betonte er.
Ähnlicher Albtraum bereits 1981
Die Eltern von Julen, José Roselló und Vicky Garcia, durchleben damit seit neun Tagen einen Albtraum. Einen, den vor beinahe 38 Jahren eine italienische Familie ähnlich erleben musste. Im Juni1981 war Alfredo (6), Sohn von Ferdinando und Francesca Rampi, in einen Brunnen in Vermicino (bei Frascati) gestürzt. In 60 Metern Tiefe erreichten ihn die Retter, konnten ihn aber nicht befreien. Der Schlamm war zu glitschig, der Bub rutschte ihnen regelrecht aus den Händen. 79 Stunden nach dem Sturz in den Brunnen erklärte eine Kommission den Buben schließlich für "mutmaßlich tot". Erst nach vier Wochen gelang es Bergleuten und Feuerwehrmännern, den Leichnam des Buben aus dem Brunnen zu bergen.