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Türkische Justiz im Ausnahmezustand: Unabhängigkeit in Gefahr

Von nachrichten.at/apa, 23. Jänner 2017, 11:36 Uhr

ANKARA. Sechs Monate nach Verhängung des Ausnahmezustands in der Türkei ist die türkische Justiz geschwächt.

Rund 4000 Richter und Staatsanwälte wurden unter dem Vorwurf entlassen, zur verbotenen Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen zu gehören, etwa 3000 von ihnen sitzen in Haft. Nicht nur gefährden die Entlassungen die Funktionsfähigkeit der türkischen Justiz, sondern Anwälte und Oppositionspolitiker sehen auch ihre Unabhängigkeit in Gefahr. Die Verfassungsreform, die nun vom Parlament gebilligt wurde, droht das Problem weiter zu verschärfen.

Seit dem Ausnahmezustand seien die "unabhängigen Inseln in der Justiz weit geringer geworden", sagt Metin Feyzioglu, Präsident der Union der türkischen Anwaltskammern (UTBA). Viele der entlassenen Richter seien durch Referendare ohne jegliche Berufserfahrung ersetzt worden. Teilweise würden sie statt der üblichen zweijährigen Ausbildung lediglich ein 14-tägiges Training erhalten. Sie seien daher völlig überfordert und in "Panik".

Niemand wünsche sich mehr als er, dass die Gülen-Anhänger verurteilt werden, die sich schuldig gemacht haben, sagt Feyzioglu. Doch die Verfahren seien nicht transparent und die Verteidigungsrechte der Anwälte würden nicht gewahrt.

Für Ahmet Iyimaya, den Vorsitzenden des Rechtsausschusses, ist die Gülen-Bewegung ein Virus, gegen den es vorzugehen gelte. Außer dieser "Pathologie" gebe es aber in der Justiz keine Probleme, sagt der Abgeordnete der regierenden AKP.

Viele Anwälte und Oppositionspolitiker sehen dies anders. Neben der massenhaften Umbesetzung von Richterstellen bereiten vor allem die Dekrete Sorge, die von Präsident Recep Tayyip Erdogan unter dem Ausnahmezustand erlassen wurden; dieser wurde nach dem Putschversuch verhängt und kürzlich um drei Monate verlängert. Durch die Notstandsdekrete wurden auch Bestimmungen der Strafprozessordnung geändert, sagt Öztürk Türkdogan, Präsident des Vereins für Menschenrechte (IHD).

Polizei darf Verdächtige 30 Tage in Gewarsam nehmen

So erlaubt eines der Dekrete der Polizei, Verdächtige 30 Tage in Gewahrsam zu nehmen, ohne ihnen in den ersten fünf Tagen Zugang zu einem Anwalt gewähren zu müssen. Es bestehen große Zweifel an der Rechtmäßigkeit vieler dieser Dekrete. Das Verfassungsgericht hat es jedoch abgelehnt, sich mit ihnen zu befassen. Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg brauchen so lange, dass von dort keine rasche Hilfe zu erwarten ist.

"Ich kann als Anwalt nichts gegen die Verletzungen tun, weil die Justiz nicht funktioniert", sagt Türkdogan bei einem Gespräch mit einer Delegation des Deutschen Anwaltsvereins (DAV) in Ankara, die sich einen Eindruck vom Zustand der türkischen Justiz unter dem Ausnahmezustand verschaffen will.

Der DAV-Präsident Ulrich Schellenberg ist besorgt: "Ein rechtsstaatliches Verfahren setzt immer eine unabhängige Justiz voraus. Wir haben aber die große Sorge, dass dies in der Türkei nicht länger gewährleistet ist", sagt Schellenberg bei dem Besuch in Ankara.

Mit der Einführung eines Präsidialsystems wird die Unabhängigkeit der Justiz noch weiter eingeschränkt. Durch die Verfassungsreform, die in der Nacht zum Samstag vom Parlament gebilligt wurde und nun im April dem Volk zur Abstimmung vorgelegt werden soll, soll die Kontrolle des Präsidenten über das Verfassungsgericht sowie über den Hohen Rat der Richter und Staatsanwälte (HSYK) weiter gestärkt werden. Der Rat ist für die Ernennung der Staatsanwälte und Richter zuständig.

"Mit dem Präsidialsystem wird die Gewaltenteilung gänzlich abgeschafft und alles in einer Hand gesammelt", warnt Feyzioglu. "Dieses System ist uns nicht fremd, weil wir 600 Jahre so regiert wurden. Es heißt: Sultanat."

Zwar behaupte die Regierung, damit Stabilität zu schaffen, doch könne dauerhafte Stabilität "nur durch Rechtsstaatlichkeit erlangt werden". Feyzioglu ist sich aber sicher, dass das geplante Referendum nicht durchgeht. "Es ist keine Reform, sondern Selbstmord, und dieses Volk wird keinen Selbstmord begehen."

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2  Kommentare
2  Kommentare
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jago (57.723 Kommentare)
am 23.01.2017 11:49

> "Mit dem Präsidialsystem wird die Gewaltenteilung gänzlich
> abgeschafft und alles in einer Hand gesammelt", warnt Feyzioglu.
> "Dieses System ist uns nicht fremd, weil wir 600 Jahre so regiert
> wurden. Es heißt: Sultanat."


Warum steht dieser OÖN-Artikel nicht in der Rubrik Außenpolitik?

Damit Platz übrig bleibt für die Kurz-Huldigungen und für die Trump-Schmähungen.

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Superheld (13.120 Kommentare)
am 23.01.2017 11:55

Sehe ich ähnlich, die Dramatik der Entwicklungen in der Türkei wird verharmlost, während man Trump zum Weltfeind hoch stilisiert.

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