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Stefan Zweig und die Petersstadt

Von René J. Laglstorfer   26.November 2011

Petrópolis, eine gute Autostunde nördlich der brasilianischen Millionenmetropole Rio de Janeiro, ist die natürliche Grenze zwischen der Küstenregion und dem bergigen Hinterland. 1825 von Tiroler Auswanderern auf 840 Metern Seehöhe gegründet, führen heute schwindelerregende Serpentinen über die vom atlantischen Urwald bedeckten Berge in die Gebirgsstadt.

Um das klimatisch gemäßigtere Hochland hinter der damaligen Hauptstadt zu besiedeln, hat die aus Österreich stammende brasilianische Kaiserin Leopoldine Habsburg ihre Landsleute nach Übersee gerufen. Benannt nach ihrem portugiesischen Ehemann Pedro I. lockt die „Petersstadt“ Touristen vor allem mit der ehemaligen Sommerresidenz der brasilianischen Herrscher an.

Für Stefan Zweig haben diese Querverbindungen zu Österreich keine große Rolle bei der Wahl des nächsten Fluchtortes gespielt. 1941 ist er zusammen mit seiner zweiten Frau Lotte vor den Nationalsozialisten nach Petrópolis geflohen, weil er weder den Angriff Hitler-Deutschlands auf sein englisches Exil in Bath noch auf die nächste Station New York für unmöglich gehalten hatte.

Kein anderes Volk ist ihm während seiner ausgedehnten Reisen durch Lateinamerika vertrauter, fröhlicher und friedfertiger erschienen als das brasilianische. Kein anderer Ort hat ihn damals mehr an den heimatlichen Semmering erinnert als Petrópolis.

In einem bescheidenen Haus in der Rua Gonçalves Dias 34 hat sich Zweig zwei Kilometer außerhalb des Zentrums eingemietet, um Kräfte zu sammeln und seine letzten literarischen Arbeiten, darunter sein Meisterwerk, die „Schachnovelle“, seine Autobiografie „Die Welt von Gestern“ und die Hommage an seine Fluchtheimat „Brasilien – ein Land der Zukunft“ fertigzustellen.

Baulärm im Zweig-Haus

Bei Sonnenaufgang um sechs Uhr früh beginnt der Brasilianer Eugenio Geninho wie jeden Morgen seinen Job. Der 44-Jährige leitet die Bauarbeiten am in die Jahre gekommenen Wohnhaus von Zweig. Er erzählt, dass viele Einheimische von dem gerade einmal achtmonatigen Aufenthalt des österreichischen Schriftstellers in ihrer Stadt zwar wissen. Doch die ganze tragische Geschichte um ihn kennen nur die wenigsten Petrópolitaner und auch er erst seit Kurzem.

Verantwortlich für die Renovierung des auf einem steilen Abhang stehenden Hauses zeichnet der gemeinnützige Verein „Casa Stefan Zweig“. 2005 ist er vom brasilianischen Journalisten Alberto Dines gegründet worden, um in jenem Gebäude, in dem Zweig wohnte und starb, ein Museum einzurichten.

„Als ich zehn Jahre alt war, hat Zweig meine Schule in Rio de Janeiro besucht und mir eine persönliche Widmung geschrieben. Dieses Erlebnis hat mich mein ganzes Leben nicht mehr losgelassen“, sagt der heute fast 80-jährige Autor der Biografie „Tod im Paradies – Die Tragödie des Stefan Zweig“.

Bewunderer des Autors

Gemeinsam mit anderen Bewunderern von Zweig hat Dines das Grundstück im Westen Petrópolis gekauft und mit der Wiederinstandsetzung und dem Umbau des Hauses in ein kleines Museum begonnen. Dieses wird eine Bibliothek mit allen Werken von und über Zweig beherbergen sowie eine Ausstellung über sein Leben. „Die Casa Stefan Zweig wird eine Gedenkstätte des Exils für alle Schriftsteller, Künstler und Wissenschafter sein, die in Brasilien vor und während des 2. Weltkriegs Zuflucht vor den Nationalsozialisten gesucht und ihre Spuren in der Kultur, Kunst und Wissenschaft des Landes hinterlassen haben“, sagt die zweisprachig aufgewachsene Brasilianerin Kristina Michahelles, die schon einige Werke Zweigs vom Original ins Portugiesische übertragen hat.

Bis zur Eröffnung des Museums, das weltweit als einziges den Namen Stefan Zweig tragen wird, sind es nur noch wenige Monate: „Im März 2012, also kurz nach dem 70. Todestag, werden die Bauarbeiten beendet sein und die Casa Stefan Zweig eingeweiht werden“, sagt Geninho.

Seine sechs Mitarbeiter schleppen gerade Dutzende 50-Kilogramm-Zementsäcke die vielen Stufen zur zukünftigen Casa Stefan Zweig hinauf, als er gesteht: „Noch habe ich kein Zweig-Buch gelesen, obwohl mir schon viele Freunde auch wegen seines tragischen Ablebens dazu geraten haben.“

Während im nahen Rio de Janeiro wie jedes Jahr ausgelassen Karneval gefeiert wurde, hat sich das Ehepaar Zweig am 23. Februar 1942 im Schlafzimmer in Petrópolis das Leben genommen. Eine Erklärung für den Selbstmord ist, dass Zweig wegen der Zerstörung seiner Heimat Europa durch das NS-Regime verzweifelt gewesen ist und die Perspektivenlosigkeit im Exil das Übrige dazu getan habe.

Ganz in der Nähe des Sterbeorts von Lotte und Stefan Zweig befindet sich der Friedhof von Petrópolis, wo beide begraben liegen. „Es kommen Menschen aus aller Welt zu uns, um sich nach dem Grab der Zweigs zu erkundigen“, sagt Javier Fontes von der Friedhofsverwaltung in Petrópolis. Bescheiden und schlicht wie der Autor, der von seiner Wahlheimat Brasilien mit einem Staatsbegräbnis verabschiedet wurde, liegt das einfache Doppelgrab von einer Reihe prunkvoller Ruhestätten umgeben. Auf Englisch ist der Geburtsort Wien vermerkt, zusätzlich sind alle Grabinschriften in hebräischen Schriftzeichen angeführt, denn Zweig war nicht nur überzeugter Österreicher und glühender Europäer, sondern auch Jude.

Zweigs Botschaft an die Nachwelt wird auch von jenen Kindern weitergetragen, die eine der drei nach ihm benannten Schulen in Deutschland und Brasilien besuchen. Eine von ihnen steht eben in der 300.000-Einwohner-Stadt Petrópolis und wurde 2006 eröffnet.

Wieder ist es Dines gewesen, der sich für die Namensgebung eingesetzt hat. Für sein Engagement rund um Zweig ist der brasilianische Zeitungsmacher mit dem „Austrian Holocaust Memorial Award“ ausgezeichnet worden, der vom Österreichischen Auslandsdienst gestiftet wird. Seit dem Jahr 2007 arbeitet der ebenfalls gemeinnützige Verein mit der Casa Stefan Zweig zusammen.

Auslandsdienst bei Zweig

Als offizielle Gedenkdienst-Einsatzstelle vom österreichischen Innenministerium anerkannt, haben bereits drei junge Österreicher statt Bundesheer oder Zivildienst ihren Auslandsdienst in der Casa Stefan Zweig abgeleistet. Im Sommer 2012, also kurz nach der Eröffnung, wird der Tiroler Lando Kirchmair seine Arbeit in Petrópolis beginnen: „Stefan Zweig war ein pazifistischer Weltbürger und Vordenker. Als künftiger Gedenkdiener an der Casa Stefan Zweig in Brasilien, dem von Zweig angepriesenen ,Land der Zukunft‘, will ich in seinem Sinne aus der Geschichte lernen, um die Zukunft positiv mitzugestalten“, sagt der 25-Jährige, der mit Jus und Wirtschaftsrecht bereits zwei Studien abgeschlossen hat und vor seinem Dienstantritt noch seine Doktorarbeit beenden will.

Kirchmair wird an der Instandhaltung und Erweiterung der deutsch-portugiesischsprachigen Webseite arbeiten, im Brasilianischen Nationalarchiv recherchieren, Besucher durch das Museum führen und einmal in der Woche an der Stefan-Zweig-Schule Englisch und Deutsch unterrichten oder den Kindern einfach über Europa, Österreich und den berühmten Namensgeber ihrer Schule erzählen.

„Ich gehe gerne hier zur Schule und tanze und lese am liebsten. Wer Zweig ist, weiß ich aber nicht so genau“, sagt die elfjährige Mylena, auf deren Schuluniform der Namensgeber ihrer Schule in Großbuchstaben aufgenäht ist. Im Gegensatz zu den jüngeren Kindern haben sich die älteren Kinder schon intensiv mit dem Werk und der Biografie Zweigs auseinandergesetzt, sagt die Schulleiterin Eliane de Souza.

650 Schüler zählt der Ziegelbau mit Ausblick über die Bergwelt Petrópolis’. Weniger rosig ist das Umfeld, aus denen die Kinder stammen, denn die Schule liegt im Armenviertel der für brasilianische Verhältnisse wohlhabenden Stadt. „Wir sind froh über die Kooperation mit der Casa Stefan Zweig und freuen uns über jeden Österreicher, der kommt und uns hilft, die Kinder in eine bessere Zukunft zu führen“, sagt die Direktorin, deren Stolz die elf eben gerade angeschafften Computer sind.

Es ist Abend geworden. Nach einem langen Tag auf der Baustelle sagt Geninho zum Abschied: „Heute werde ich endlich das Buch ,Brasilien – Land der Zukunft‘ lesen. Schließlich interessiert es mich auch, was Zweig über seine Wahlheimat zu sagen hatte. Außerdem will man ja wissen, für wen man arbeitet“, sagt er und lächelt.

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