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Japanologin im OÖN-Interview

16. März 2011, 00:04 Uhr
Interview
Japanologin Getreuer-Kargl Bild: privat

WIEN. Nicht stoische Ruhe oder gar Phlegma, sondern viel Training in Krisenbewältigung und gegenseitige Rücksichtnahme stehen für die Japanologin Ingrid Getreuer-Kargl hinter dem außergewöhnlich ruhigen Verhalten der Menschen in der Mega-Katastrophe.

OÖN: In Europa wundern sich viele über den gefasst wirkenden Umgang der Japaner mit dieser Katastrophe. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Getreuer-Kargl: Man könnte sagen, die Japaner sind verständiger. Aufgrund der sehr langen Erfahrung mit Naturkatastrophen gibt es in Japan einen sehr eingeübten Umgang. Schon Kinder üben, dass man Panik vermeiden muss. Und jeder, der schon einmal in Tokio zu den Stoßzeiten in den Verkehrsmitteln unterwegs war, weiß, dass man am sichersten und schnellsten weiterkommt, wenn man sich in geordneten Bahnen bewegt.

OÖN: Die gefasste Reaktion der Japaner ist also vor allem ein Phänomen des engen Zusammenlebens?

Getreuer-Kargl: Ja, schon sehr. Und wenn man weiß, dass man auf einem Vulkan lebt, versucht man Vorkehrungen zu treffen, um halbwegs unbeschadet zu überleben. Deshalb stimmen auch die immer wiederkehrenden Klischees von phlegmatischen oder gar fatalistischen Japanern nicht.

OÖN: Wenn Japaner Mundschutz tragen, werden sie von Europäern oft als Hypochonder wahrgenommen. Dabei geht es hier um den Schutz der Mitmenschen vor der eigenen Grippe oder Erkältung. Sind Japaner solidarischer?

Getreuer-Kargl: Man nimmt insgesamt mehr Rücksicht auf die anderen. Nur ein Beispiel: Wir haben im Institut einen von Japanern gespendeten japanischen Garten. Der musste, ganz gegen den Sinn, wegen ständiger Vandalisierungen eingezäunt werden. In Österreich gibt es sehr wenig Bewusstsein für die nachhaltige Nutzung öffentlichen Gutes. Das macht unsere japanischen Gäste immer etwas traurig.

OÖN: Nach europäischen Standards ist der offizielle Informationsfluss zur Katastrophe – gelinde gesagt – nur sehr dosiert. Warum nehmen das die Japaner weitgehend hin?

Getreuer-Kargl: Da muss man unterscheiden: Die Informationspolitik der AKW-Betreiber Tepco wird schon seit Jahren kritisiert. Andererseits dominieren in Japan Medien, die auf unaufgeregten Journalismus setzen. Damit fehlt oft das Reißerische.

OÖN: Wird diese Katastrophe Ihrer Einschätzung nach Spuren in der japanischen Politik und Gesellschaft hinterlassen?

Getreuer-Kargl: Ich traue mir zu sagen, dass der Einfluss der Atomlobby auf die Politik deutlich schwächer werden wird. Hier gab es bisher sehr enge Verflechtungen.

OÖN: ... und in der Zivilgesellschaft?

Getreuer-Kargl: Die kritische Zivilgesellschaft gab es bisher wenig vernetzt und sehr lokal. Sie sollte jetzt mehr Rückenwind bekommen.

 

Zur Person

Ingrid Getreuer-Kargl ist außerordentliche Professorin am Wiener Institut für Japanologie, wo sie sich den Fachrichtungen Geschichte, Geschlechterforschung sowie Raumverhalten und Körpersprache widmet.

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