Tastatur-Hooligans mit Cyber-Tourette

Wie die Initiative „Heimat ohne Hass“ dem ultrarechten Rand auf die Tippfinger schaut.
Manfred Walter aus Linz weiß, dass er sich exponiert, und dass das gefährlich werden kann. Dennoch gibt der 44-jährige Elektriker und Betriebsrat, der an der Uni Linz arbeitet, sein Gesicht her, um auf ein politisches Minenfeld hinzuweisen: die vor Hass triefenden Postings rechtsrechter Internetnutzer in diversen geheimen Facebook-Zirkeln. Walter ist Sprecher der Facebook-Initiative „Heimat ohne Hass“. Ein Interview im Vorfeld des internationalen Aktionstages gegen Faschismus und Antisemitismus am 9. November, der heuer unter dem Motto steht: „Stop Hate Speech Online!“
OÖN: Herr Walter, Ihre Gruppe beobachtet ultrarechte Personen, die sich auf Facebook austauschen. Was war denn da zu beobachten in letzter Zeit?
Walter: Eine zunehmende Radikalisierung in Sprache und Bild und immer häufigere Androhungen von Gewalt. Eines der schlimmsten Postings aus jüngster Zeit lautete: „Diesen ganzen Muslimenscheißhaufen mit Benzin übergießen und anzünden. Ich zahle die Benzinrechnung.“
Ein irrer Ausreißer?
Wenn ein stellvertretender Bundesparteiobmann der FPÖ (Johann Gudenus, Anm.) öffentlich auf einem großen Fest seiner Partei sagen kann: „Jetzt heißt es ,Knüppel aus dem Sack!’ für alle Asylbetrüger, Verbrecher, illegalen Ausländer, kriminellen Islamisten und linken Schreier!“, dann ist das klar die Botschaft an die Leute, Gewalt sei okay. Er kann es vielleicht als Metapher gemeint haben, weiß aber genau, wie das bei seinem Zielpublikum ankommt.
Wie kam es dazu, dass sich dieses Publikum auf Facebook eine Ecke eingerichtet hat, wo es offen Hass predigen kann?
Gleich nach der Pornoindustrie ist von den Rechten erkannt worden, dass das Internet eine geeignete Plattform ist, auf der man Inhalte schnell und kostengünstig verbreiten kann. Mit dem Auftreten von Facebook hat sich das potenziert, weil jeder persönlich darin seine Meinung kundtun kann, und weil viele meinen, das Internet sei ein rechtsfreier Raum. Von linker Seite hat es zwar öfter Versuche gegeben, antifaschistische Kräfte zu bündeln, aber das hat nie wirklich funktioniert.
Aber jetzt dann doch, wie Ihre Initiative zeigt, oder?
Vor knapp einem Jahr ist der Lukas Mayer (Tarnname, Anm.) mit einer Idee und einem Konzept aufgetreten. Er hat es geschafft, österreichweit knapp 70 Leute zu finden, die nun nachsehen, was auf Facebook Einschlägiges abgeht, auch in den geschlossenen und geheimen Gruppen.
Wie ging das konkret vor sich?
Wir haben Fake-Accounts geschaffen mit kompletter Biografie vermeintlich Rechtsgerichteter. Da steckt viel Arbeit dahinter, damit die glaubwürdig wirken. Daraufhin sind wir in geschlossene Gruppen eingeladen worden. Eine der bekanntesten Erfindungen war der Rudi Bechwaltzer, den wir dann auch ganz offiziell sterben haben lassen. Er war mit höheren FPÖ-Funktionären befreundet und ist dann in die geheimen und geheimsten Gruppen hineingeholt worden. Dort hat man sich wirklich kein Blatt vor den Mund genommen.
Je geheimer, desto radikaler?
Je verschworener der Bereich ist, desto radikaler sind die Sprache und die angebotenen Lösungsansätze. Es gibt Exponenten in diesen Gruppen, die sich klar zum Nationalsozialismus bekennen.
Das Feindbild, sind das allein die Muslime, oder andere auch?
Das Feindbild ist nicht mehr der Jude, sondern der Moslem. Da wird von Anzünden geschrieben, von Kastrieren und Zurückamputieren – alles Drohungen verbunden mit körperlicher Gewalt. Da ist keine Menschlichkeit mehr. Als die Tragödie vor Lampedusa passierte, hieß es sofort: „selber schuld“, „zu feige zum Zuhausebleiben“, „jedes Flüchtlingsschiff auf dem Meer versenken!“.
Das sind Aussagen, die auffallend an jene des norwegischen Attentäters und Massenmörders Anders Breivik erinnern …
Ich sehe mehr den Kontext zu den 1930er-Jahren. Wie es damals hieß „Juden unerwünscht“, heißt es heute „Moslems unerwünscht“, und es geistern auch ähnliche Bilder durch das Internet. Breivik war sicherlich ein Ergebnis der Propaganda vom rechten Rand, die er schließlich umgesetzt hat. Und die Gefahr ist nicht zu unterschätzen, dass auch in Österreich ein Wahnsinniger das für bare Münze nimmt.
Ist Ihnen noch irgendwie erklärlich, was da vor sich geht?
Es ist fast unvorstellbar: Da sind Menschen unter den Hass-Postern, die selbst Familie haben, ein soziales Umfeld, wo es nett zugeht. Die gehen jeden Tag brav arbeiten, aber am Abend werden sie zu regelrechten Tastatur-Hooligans. Eigentlich unglaublich!
Wie groß ist die rechts-rechte Hass-Szene?
Die Gruppe, die wir kürzlich gesprengt und bei der Staatsanwaltschaft angezeigt haben, war 150 Leute groß, davon die Hälfte FPÖ-Funktionärinnen und -Funktionäre, von Gudenus abwärts. Diese Gruppe war hauptsächlich in und um Wien tätig. In Linz haben wir die „Austrian Defense League“ angezeigt, die von zwei Linzern angeführt wurde. Bei denen wurden schon Hausdurchsuchungen gemacht. Ansonsten gibt es auch immer wieder Exponenten aus Oberösterreich, zumeist aus der niederen FPÖ-Funktionärsschicht.
Was treibt diese Leute an?
Bei den Funktionären geht es vor allem darum, Inhalte weiterzugeben, Propaganda zu machen. Aber bei sehr vielen in diesen Gruppen dient das Hassposten zum Frustabbau. Es handelt sich dabei großteils um die C- und D-Wählerschicht, die durchaus auch reale Ängste hat, etwa um ihren Arbeitsplatz. Und diese Ängste werden speziell von der FPÖ kanalisiert.
Ist die Szene nach der Aufdeckung der Hass-Gruppen vorsichtiger geworden?
Ja, insbesondere in der Auswahl der Gruppenmitglieder. Aber in der Diktion hat sich nichts verändert.
Wie gehen Sie mit dem Vorwurf um, „Heimat ohne Hass“ agiere als Agent provocateur?
Jedes unserer Postings mit den Fake-Accounts wird juristisch darauf abgeklopft, ob es auf dem Boden der Rechtsordnung steht, damit wir uns nicht selbst strafbar machen und genau diesen Vorwurf entkräften können. Das ist zeitaufwändig, aber unumgänglich, wenn man das Material der Staatsanwaltschaft übergeben will. Der Staatsanwaltschaft Wien haben wir 30 Gigabyte an Daten übermittelt.
Was wird herauskommen bei Ihren Anzeigen nach Wiederbetätigung, Verhetzung etc.?
Schwer zu sagen. In Oberösterreich hat die Staatsanwaltschaft bei der „Austrian Defense League“ sehr schnell reagiert; aber da ist es auch schon um Bombendrohungen gegangen. Wie lange die Wiener brauchen, um das Material zu sichten, wissen wir nicht. Man ist dort personell unterbesetzt.
Warum glauben diese Leute, dass sie sich im Internet kein Blatt vor den Mund nehmen müssen?
Viele glauben, das Internet sei ein rechtsfreier Raum. Sie glauben, Eingaben aus Österreich seien nicht strafbar, wenn der Server in den USA steht: ein weit verbreiteter Irrglaube. Auch der Glaube, dass man auf Facebook anonym unterwegs sein könne, ist falsch. Facebook arbeitet mit den Behörden in allen Ländern sehr eng zusammen.
Warum werden die Behörden nicht von sich aus tätig?
Es scheint schon so zu sein, dass manche Behörde auf dem rechten Auge wenig sieht. Andererseits ist Wiederbetätigung ein Offizialdelikt. Das heißt: Wenn mir so etwas unterkommt, muss ich es anzeigen. Und das tun wir.
Auch in Zeitungsforen liest man zuweilen Aussagen, die im wirklichen Leben nicht ausgesprochen würden. Wie kommt das?
Das macht die Distanz. Am Stammtisch überlege ich mir eine Aussage selbst noch bei 1,5 Promille, wenn der Kontrahent direkt gegenübersitzt. Aber daheim in der Distanziertheit, in der eigenen Höhle fühlt man sich sicherer. Und dort kriegen manche dann Cyber-Tourette.
Ist das ansteckend? Oder was stimmt nicht mehr in unserer Gesellschaft?
Wenn wer öffentlich derart hasst, dann kann etwas Grundlegendes nicht stimmen. Man muss schauen, dass man seinen Kindern schon von klein auf Respekt vor dem anderen beibringt. Aber unsere Gesellschaft ist stark in Richtung Entsolidarisierung abgedriftet. Jahrelang wurde uns eingeimpft: „Du bist der Größte, der Beste, nimm auf andere keine Rücksicht! Denn dir hilft auch keiner.“ Das war eine neoliberale Gehirnwäsche über die vergangenen 30, 40 Jahre.
Wie sehen Sie die Zukunft?
Mit Sorge. Wenn man sich den Werdegang der FPÖ seit 1986 anschaut, dann wurde immer wieder ein Schäuferl nachgelegt – und die Leute stumpfen immer mehr ab. Die Partei hat sich von den Buberln zu den Burschenschaftern entwickelt. Ich muss dann immer an Stefan Zweig denken, der gesagt hat: „Der Nationalsozialismus hat sich in kleinen Dosen durchgesetzt.“ Wenn unser Landeshauptmann sagt, Oberösterreich habe kein Problem mit dem Rechtsextremismus, und ein paar Wochen später wird das Objekt 21 ausgehoben, dann weiß ich, woher der Wind weht. Man will negieren, dass es durchaus Probleme gibt. Dazu kommt: Junge Männer wählen bereits mehrheitlich FPÖ. Ich weiß auch nicht, wie man damit umgehen soll, aber politische Bildung an den Schulen wäre ein Ansatz.
Ihr Rat an die Politik?
Konstruktiv zusammenarbeiten und öffentlich diskutieren. Nicht alles, was vom politischen Gegner kommt, in Bausch und Bogen verdammen!
Netzwerktreffen von 68 Organisationen
Manfred Walter ist einer der Referenten beim Treffen des Oö. Netzwerks gegen Rassismus und Rechtsextremismus (Antifa-Netzwerks), das am Samstag (19. Oktober) um 14 Uhr im Bildungshaus Schloss Puchberg in Wels stattfindet. Das Netzwerk wurde 2001 gegründet und wächst seither ständig. Heute gehören ihm 68 Organisationen an, darunter die Katholische Aktion, die Gewerkschaftsjugend, die Volkshilfe, die Pfadfinder, die Kulturplattform KUPF, der Gemeindevertreterverband und das Museum Arbeitswelt. Miteinander haben die Netzwerk-Organisationen mehr als 40.000 Mitglieder. „Wir engagieren uns gemeinsam für Demokratie und Menschenrechte, gegen Rassismus und Rechtsextremismus“, sagt Netzwerk-Sprecher Robert Eiter.
Ein weiterer Referent beim Treffen ist Morten Kjaerum, der Direktor der EU-Grundrechteagentur, die ihren Sitz in Wien hat.