Lust, Liebe & Leidenschaft neu entfacht
EICMA 2021 in Mailand: Die Motorrad-Leitmesse öffnete nach einem Jahr Corona-Pause wieder. Ein Bummel durch die Messehallen mit Maske.
Achi importa?" "Wen kümmert’s?" Wenn es regnet, wenn es kalt ist, wenn einem der Wind eisig um die Ohren pfeift. Was wie der Leitsatz echter Motorradfahrer klingt, zelebrierte Ende November dieses Jahres eine enthusiasmierte Menge. Wegen der Maskenpflicht in Innenräumen wohlweislich auf dem Freigelände, auf dem Areal der Fiera di Milano in Rho-Pero. Denn nach einem Jahr Pause war wieder die Zweirad-Leitmesse EICMA angesagt.
Der Enthusiasmus galt der schrittchenweisen Rückkehr in ein normales Leben. Und dem Dottore, der Startnummer 46: Valentino Rossi. Der italienische Motorradrenn-Superstar, neunfacher Weltmeister, feierte seinen Abschied. Unter dem beziehungsvollen Titel "ultimo giro", letzte Runde. Yamaha hatte "Vale" eine Outdoor-Bühne bereitet. Das Wetter war wohl traurig übers Arrivederci, es zog ungemütliche Saiten auf, denen die Fans aber trotzten.
Yamaha: Gleichzeitig präsentierte die Stimmgabel-Marke, was neu kommt: die R7, eine zweizylindrige Supersportlerin in der Hubraum- und Leistungsmittelklasse (73 PS). Die YZF-R6 ist jetzt rein auf die Rennstrecke verbannt. Dazu servierten die Japaner eine überarbeitete XSR 900 (115 PS). Flankiert war das Retro-Modell von einer noch wilderen MT-10 (plus 6 auf 166 PS) samt SP-Version.
Doch nicht allein Yamaha machte Gusto auf ein neues Motorradjahr, eines, das wie heuer trotz Corona-Pandemie die Chance eröffnet, maskenlos durchzuatmen und sich unter Einhaltung der gebotenen Distanz-Regelungen auch fern heimatlicher Gefilde auf Reise-Touren zu begeben.
Aprilia war schon im Vorfeld mit der Tuareg 660 herausgerückt, zeigte sie natürlich in Mailand erst recht her. Den Modellnamen für das Adventure-Eisen gab es schon in den 1980ern, das hat aber kaum nachhaltige Spuren hinterlassen. In der Neuen ist die Leistung gegenüber der RS660 und der Tuono 660 reduziert, von 100 auf 80 PS.
Benelli lässt mit einem Lebenszeichen aufhorchen. Unter dem Schirm der chinesischen Qianjiang-Gruppe kreierte die an sich italienische Traditionsmarke ebenfalls eine Art Abenteuer-Eisen. Getauft wurde der Scrambler Leoncino, das heißt so viel wie Löwchen, mit dem Zunamen Trail 500 (48 PS).
Honda feierte ebenfalls: dreißig Jahre Fireblade. Weshalb das aktuelle Modell, die CBR1000R mit 217 PS, rundum aufgepeppt wurde. Gleichzeitig feierte ein nagelneues Touren-Eisen Premiere, im Nachhall von Modellen wie Pan European und Deauville: die NT1100, mit Parallel-Twin, 102 PS, Direktschaltung und Seitenkoffern. Eine Abrundung in der Crossover-Rollerklasse ist der AD350, ein kleinerer Bruder des X-ADV (29 PS).
Kawasaki setzt nach wie vor auf die sozius- und reisetauglich hochbeinige Mittelklasse. Komplett überholt wurde die Versys 650 (67 PS). An der Spitze der Technologie-Flaggschiffe rangiert bei den Grünen unverändert die Ninja H2 SX. Die Kompressor-Sporttourerin (200 PS) hat als Technik-Highlight nun ein Radarsystem, mit dem sich eine Reihe elektronischer Sicherheitsassistenten umsetzen lässt, darunter ein Kollisionswarner.
Moto Guzzi kehrt Schritt für Schritt zur Rolle als Technologie-Pionier zurück. Resultat wird die V100 Mandello sein. Das Sporttourer-Konzept mit Einarmschwinge inkludiert neben einem V2 im Mehr-als-Einliter-Bereich und voraussichtlich 115 PS Leistung auch ein semiaktives Fahrwerk.
MV Agusta präsentierte realitätsnahe Concept Bikes und bedient sich eines Namens, der in der großen Ära der Castiglioni-Brüder auf dem Tank einer Großenduro prangte: Lucky Explorer. Das war seinerzeit das Markenzeichen der Cagiva Elefant. Künftig sollen es offroadtaugliche Reise-Eisen im 550- und 950-ccm-Hubraumbereich sein, Ersteres mit zwei, Letzteres mit drei Zylindern.
Suzuki hat der Katana ein Update gegönnt. Das Naked Bike (152 PS) ist jetzt Euro-5-konform.
Triumph hat der Speed Triple ein Halbschalenkleid angezogen. In dieser mit einem Doppel-RR markierten Version leistet der Dreizylinder mit 1160 ccm Hubraum 180 PS und wird damit von einer Naked-Bike-Ikone zu einer Supersportlerin. Neu ist bei den Engländern die Tiger Sport 660 (81 PS). Ausständig ist eine neue Tiger 1200.
343.000 Besucher strömten zur EICMA 2021
Nicht alle Stammgäste waren nach Mailand gekommen. Vier Hersteller, die für ihre großen Auftritte bekannt sind, schwänzten die Leitmesse. Allen voran der Quasi-Hausherr: Ducati. Die italienische Hausmarke setzt aufs Internet und lässt außer der Panigale Streetfighter V4 SP und der Scrambler 1100 Tribute Pro die zu erwartenden Novitäten kleinweise vom virtuellen Stapel.
Österreichs Zweirad-Aushängeschild KTM blieb samt Tochter
Husqvarna zu Hause in Mattighofen. Es ginge um den Gesundheitsschutz der Mitarbeiter, sagt man und macht mit Fotos der überarbeiteten Super Duke 1290 GT Appetit, ebenso mit der Husky Norden 901.
BMW hatte schon lange abgesagt. Wegen Planungsunsicherheit, hieß es. Doch möchte man eigene Wege der Neuheiten-Premieren gehen, und nicht zuletzt wurden die Motorrad Days von Garmisch-Partenkirchen nach Berlin verlegt. Und die renovierte K1600-Baureihe kann man sich im Internet anschauen.
Harley-Davidson hatte nicht nur mit wechselnden Reisebestimmungen zu kämpfen, auch mit Halbleiter-Krise und Nachwehen der Strafzoll-Turbulenzen.
Die EICMA-Bilanz 2021: 800 Aussteller. In Zeiten des Motorrad-Booms waren es doppelt so viele gewesen. Insgesamt kamen 343.000 Besucher. 2019 waren es 800.000 gewesen.