Der Kult-Roller steht unter Strom
Die Hüter des Klassikers Vespa transformierten den bekanntesten Roller der Welt ins Elektro-Zeitalter – mit einem verblüffenden Erfolg.
Irgendwie schafften es die Italiener, dass ihr Kult-Roller nie den Anschluss verlor. Saubere Einzylinder, effiziente Automatikgetriebe, moderne Digitalanzeigen – Vespa stand zwar nie richtig auf der Pole-Position, doch düste die Zweiradschmiede bei den technischen Entwicklungen ganz vorne mit. Führungsarbeit leistete man hingegen in Sachen Design, denn derart gekonnt das Markenthema optisch weiterzuentwickeln, dieser Leistung gebührt höchste Anerkennung. Nach dem Abriss der Eisenbahnbrücke schnalzten in Linz die Vespa-Verkäufe spürbar hinauf – der tägliche Stau trieb den Roller-Absatz an.
Aber auch ohne dieses Phänomen ist Österreich – neben Deutschland – das Land mit der höchsten Vespa-Dichte der Welt. Nirgends kurven bezogen auf die Einwohnerzahl so viele dieser italienischen Kult-Roller herum wie zwischen Boden- und Neusiedlersee.
Die fast lautlose Vespa
Dem Trend folgend, werden künftig auch fast lautlose Vespas unterwegs sein. Das charmant-typische Knattern wird dann ein Fall fürs Museum sein. Zumindest in jenen paar Fällen, in denen die Vespas elektrisch angetrieben werden. Denn nicht nur Harley-Davidson entdeckte die E-Mobilität für sich, sondern auch die Italiener.
Der Name: Vespa Elettrica. Statt Chromleisten zieren blaue Umrandungen und Streifen die Räder der E-Vespa (bei der stärkeren Version sind die Streifen grün). Und auch die Digital-Anzeige scheint bläulich. Ein untrügliches Zeichen: Hier leistet ein E-Motor den Vortrieb. Und zwar mit vier Kilowatt (kW), die nach 30 Sekunden Vollgas auf zwei kW reduziert werden.
80 Prozent nach drei Stunden
Denn auch hier gilt als oberstes Gebot: Strom sparen! Die Energie liefert ein 28 Kilogramm schwerer 4,2-Kilowattstunden-Akku (kWh), der nach drei Stunden an der 1000-Watt-Haushalts-Steckdose zu 80 Prozent, nach vier Stunden zu 100 Prozent geladen ist.
Überaus pfiffig konstruierten die Italiener die Steckverbindung. Dort, wo üblicherweise die Zapfpistole hineingesteckt wird, lässt sich nun leicht ein dickes, etwa ein Meter langes Spiralkabel herausziehen. Genial und praktisch!
"Eco" macht die Vespa müde
Zwei Fahrmodi lassen sich einstellen: "Power" und "Eco". Wobei die Sparsam-Variante wohl nur auf dem Papier zum Einsatz kommt. Oder in völliger Verzweiflung, wenn die angezeigte Reichweite geringer ist als die tatsächlichen Kilometer bis zur nächsten Steckdose.
"Eco" macht die Vespa Elettrica müde und regelt bei Tempo 30 ab. Dafür lassen sich in diesem Modus bis zu 100 Kilometer mit einer Akkuladung zurücklegen. Theoretisch. Für den "Power"-Mode geben die Italiener 80 Kilometer an. Auch theoretisch.
Diese Werte beschreiben die E-Vespa mit rot-grünem Taferl, die bei 45 km/h abregelt. Sieben Stundenkilometer schneller vermag die Version mit dem weiß-grünen Taferl zu fahren. Allerdings: Höheres Tempo bedeutet weniger Reichweite. Der Akku, der E-Motor – alles ist identisch mit der 45-km/h-Elettrica. Nur die Software ist anders. Ob’s sinnvoll ist? Na ja…
Sieger beim Ampelstart
Auf den ersten Testkilometern wischten wir nicht nur den Regen vom Visier, sondern auch die Skepsis zur Seite. Die E-Italienerin verbläst ihre 50-Kubik-Schwester beim Ampelstart. Bei Steigungen fällt der elektrisierte Roller tempomäßig ab. Beim Anfahren schnalzt die Eco-Anzeige ins Dunkelorange, zeigt der Digital-Tacho die erlaubten 45 Stundenkilometer, "segelt" der Roller sparsam dahin.
Den Gasgriff eine Spur zurückzudrehen reduziert nicht die Geschwindigkeit, erhöht aber die Reichweite deutlich. Lautlos bewegt sich die Italienerin freilich nicht. Das elektrisierte Geräusch erinnert an eine Straßenbahn. Und dies auch rückwärts! Denn tatsächlich: Die Vespa legt per Knopfdruck den Rückwärtsgang ein. Nicht, dass dieses Gimmick nützlich wäre, aber beim Flanieren kann man da schon Meter machen. Welcher Spritverheizer hat schon einen Retourgang!
Mehr als 40 km
Auf der OÖN-Runde legte die Vespa Elettrica locker mehr als 40 Kilometer zurück. Wohlgemerkt: unter erschwerten Testbedingungen! Das bedeutet in der 75-Kilogramm-Realität: Die Italienerin hält das 50-Kilometer-Reichweitenversprechen für die Stadt.
Ob die E-Vespa dem Aufpolieren des Markenimages hilft oder ein Verkaufsschlager wird? Die benzingetriebene Primavera 50T3V ist ab 3199 Euro erhältlich, die Elettrica ab 6690 Euro. Auch abzüglich der Umweltförderung bleiben 5920 Euro übrig. Da muss das eigene Umweltgewissen schon sehr dominant sein, um zuzuschlagen.
Was bitteschön ist eine "1000-Watt-Haushalts-Steckdose"???
Na ja, eine Steckdose, die zumindest 1000 Watt zur Verfügung stellt? Und zwar über mehrere Stunden lang.
Ach so, also eine nahe Verwandte zur Doppelloch-Reindrück-Steckdose.