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„In Österreich hat sich viel verbessert“

Von Martin Dunst   12.Jänner 2013

Den Nazis ist es nicht gelungen, uns Juden auszurotten. Wir sind da – wir leben noch, unsere Gemeinde ist bunt.“ So lautete die zentrale Botschaft von Danielle Spera Dienstagabend bei einem Vortrag an der Katholisch-Theologischen Privatuniversität Linz. Die Direktorin des Jüdischen Museums Wien sprach auf Einladung des Forums Sankt Severin vor vollem Haus und zu Klezmer-Klängen über jüdisches Leben in Österreich.

Seit dem 10. Jahrhundert ist die Geschichte Wiens eng mit den Wiener Juden verbunden. Vor 1938 war die österreichische Hauptstadt die jüdische Metropole in Mitteleuropa. In blindem Hass ermordeten die Nazis 65.000 Wiener Juden. Insgesamt hat die Stadt durch die Shoa 200.000 jüdische Bewohner verloren. Wenige konnten den braunen Häschern entkommen. Darunter der Vater und die Großmutter von Danielle Spera, die als U-Boote versteckt die systematische Verfolgung überlebten. Heute sind 8000 Juden Mitglied der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien.

Fühlen sich die Juden heute in Österreich wohl und akzeptiert?

Danielle Spera: Das ist gar keine Frage. Die meisten fühlen sich bestimmt wohl. Leider erleben wir in Österreich noch immer Antisemitismus, aber wir können definitiv in größerer Ruhe leben und sind nicht ständigen Übergriffen ausgesetzt, wie etwa Juden in Frankreich, in Dänemark, Schweden. Oder denken Sie an die Neonazi-Morde im vergangenen Jahr in Deutschland. Diese Gewalttaten haben uns sehr zu denken gegeben.

20 Jahre Lichtermeer: Am 23. Jänner 1993 sind rund 250.000 Menschen für Solidarität und gegen Fremdenfeindlichkeit auf die Straße gegangen. Ist von diesem Statement noch etwas übrig, oder sind in Österreich Rechtsradikalismus und Antisemitismus wieder auf dem Vormarsch?

Danielle Spera: Das Lichtermeer war eine beeindruckende Veranstaltung. Meiner Meinung nach hat sich in Österreich viel zum Besseren verändert. Die Menschen sind aufmerksamer geworden, man nimmt ausländerfeindliche oder antisemitische Äußerungen nicht mehr sang- und klanglos hin. Leider gibt es noch immer Menschen mit antisemitischem Gedankengut, allerdings ist, wie schon gesagt, die Situation in Österreich weit besser als in vielen anderen europäischen Ländern.

Haben Sie das Gefühl, dass vor allem in der Politik schon einmal mehr Fingerspitzengefühl an der Tagesordnung war? Dass es womöglich salonfähig wird, leise oder halblaut antisemitische Parolen zu äußern, oder mit Vorurteilen zu zündeln?

Danielle Spera: Wenn man sich die Nachkriegsgeschichte in Österreich ansieht, dann werden Sie ungeheuerliche Aussprüche von höchstrangigen Politikern aus SPÖ und ÖVP finden. Fingerspitzengefühl war hier nie an der Tagesordnung. Ich denke, dass heute derartige Äußerungen großflächige Empörung auslösen. Leider oft noch immer ohne Konsequenzen, zum Beispiel den Rücktritt eines Politikers.

Die Juden müssen heute nach wie vor an manchen Stammtischen als Sündenböcke herhalten. Sie sollen schuld an der Finanzkrise sein, das Weltgeschehen zu ihren Gunsten steuern. Woher kommen solche Vorurteile?

Danielle Spera: Dazu kann ich nur mit einem Zitat aus einem berühmten politisch-satirischen Chanson des deutschen Textdichters Friedrich Hollaender antworten: „An allem sind die Juden schuld. Ob es regnet, hagelt, schön ist oder bewölkt, der Schnee weiß und kalt ist und das Feuer heiß, an allem sind die Juden schuld“...

Haben Sie das Gefühl, dass in Österreich genügend getan wird, um die Geschichte des Holocaust aufzuarbeiten, die Erinnerung daran wachzuhalten? Beim Auslands-Gedenkdienst kürzt die Regierung beispielsweise laufend die Mittel.

Danielle Spera: In Österreich ist mit Bundeskanzler Franz Vranitzky Anfang der 1990er Jahre – spät, aber doch – mit der grundlegenden Aufarbeitung der Vergangenheit begonnen worden. In den späten 1970er Jahren hat Österreich nach dem Vorbild von Deutschland begonnen, sich im Schulunterricht mit der jüngeren Vergangenheit auseinanderzusetzen. Davor hat der Geschichtestoff an den Schulen meist mit dem Beginn der Ersten Republik 1918 geendet. Das Unterrichtsministerium bemüht sich mit spannenden Initiativen, die Erinnerung aufrechtzuerhalten. Wenn Sie den Gedenkdienst ansprechen, so ist dies eine herausragende Initiative, die eine große Wirkung gezeigt hat. Hier Budgets zu kürzen, ist kein guter Weg. Ich engagiere mich in diesem Bereich, damit diese Einrichtung erhalten blieben kann.

Umfragen zeigen, dass viele junge Menschen im deutschsprachigem Raum mit dem Begriff „Holocaust“ nichts mehr anfangen können. Wie kann das Schicksal des jüdischen Volkes künftig vermittelt werden?

Danielle Spera: Es wird heute viel darüber diskutiert, wie man die Shoa vermittelt, wenn alle Zeitzeugen nicht mehr unter uns sein werden. Das wird leider bald der Fall sein. Man kann die Geschichte nur anhand einzelner Schicksale vermitteln. Die Zahl von sechs Millionen jüdischen Holocaust-Opfern ist für keinen Menschen fassbar. Im Jüdischen Museum haben wir einige sehr ergreifende Objekte, die die Geschichten junger Menschen in der Zeit der Shoa erzählen. Von diesen Objekten bleibt kein Besucher unberührt.

Die Musikwelt feiert heuer 200 Jahre Richard Wagner. Was halten Sie vom Wagner-Kult in Anbetracht seiner antisemitischen Entgleisungen?

Danielle Spera: Anlässlich des 200. Geburtstags des deutschen Komponisten gestalten wir eine Ausstellung über „Wagner und das jüdische Wien“. Das Thema Richard Wagner ist bis heute ein sehr komplexes. In Israel gilt nach wie vor ein Aufführungsverbot. Wir sind schon sehr gespannt, wie unsere Ausstellung rezipiert wird.

Hören Sie Wagner?

Danielle Spera: Ich boykottiere Wagner nicht.

Vermissen Sie ab und zu das ORF-Fernsehstudio, die Öffentlichkeit, das Rampenlicht?

Danielle Spera: Ich vermisse meine Kolleginnen und Kollegen. Wir waren in der „Zeit im Bild“ ein sehr eng zusammengewachsenes Team. Bei politischen Großereignissen wie den US-Wahlen bin ich in Gedanken bei meinen Kollegen im Studio. Viele Menschen in ganz Österreich sagen mir noch heute, dass sie mich auf dem Bildschirm vermissen. Ich freue mich über jeden, der mich im Jüdischen Museum besucht.


Buchtipp

Der Schriftsteller Ludwig Bato hat mit dem Buch „Die Juden im alten Wien“ (neu aufgelegt im Metroverlag) ein – heute fast vergessenes – 256 Seiten starkes Standardwerk zur Geschichte der Juden in der Donaumetropole geschrieben. Der Autor bringt die historischen Fakten auf den Punkt und verbindet sie mit Anekdoten.


Danielle Spera - eine bunte Wiener Mischung

Danielle Spera (55) ist selbst ein gutes Beispiel für facettenreiches jüdisches Leben in Wien: Ihr jüdischer Vater ließ sie taufen und schickte sie auf eine katholische Privatschule. Der Vater selbst war einst glühender Kommunist, Spera ist später zum Judentum übergetreten, sie ist mit dem Psychoanalytiker Martin Engelberg verheiratet und hat drei Kinder.Bereits während ihres Publizistikstudiums arbeitete sie beim ORF. Zuletzt war Spera Moderatorin der „Zeit im Bild 1“ und von 1985 bis 2009 Fernseh-Redakteurssprecherin und TV-Redakteursrätin. Im Juli 2010 übernahm die Journalistin die Leitung des Jüdischen Museums Wien. In dem Haus wird derzeit die Schau „Vienna’s Shooting Girls – Jüdische Fotografinnen aus Wien“ gezeigt. Viele Frauen werden porträtiert, die vor 1938 wichtige Fotografinnen waren, dann das Land verlassen mussten und später zum Teil große Karriere gemacht haben. Mehr auf www.jmw.at.

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