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Dubiose Rolle des Priklopil-Freundes nährt weiter Zweifel

Von Gerhard Lukesch   03.April 2012

Das Fazit der Abgeordneten steht – so Insider – bereits fest: Die nach wie vor nicht ausgeräumten Ungereimtheiten sollen von der Justiz neuerlich überprüft werden.

Der Grund, warum die bohrenden Zweifel an der offiziellen Darstellung des Falles – Wolfgang Priklopil als alleiniger Täter ohne Mitwisser – nicht verstummen, liegt in der dubiosen Rolle des „Geschäftsfreundes“ des Kampusch-Entführers, Ernst H.: jenes Mannes, der mit Priklopil jahrelang Immobiliengeschäfte tätigte und den der Kampusch-Peiniger direkt nach der Flucht des Opfers aufsuchte, bevor er sich von einem Zug überrollen ließ.

Drei verschiedene Versionen

Die Angaben dieses Mannes vor Polizei und Justiz änderten sich seit 2006, dem Zeitpunkt des Wiederauftauchens von Natascha Kampusch, so dramatisch, dass der Wiener kaum noch glaubwürdig erscheint. Zunächst hatte er 2006 behauptet, beim stundenlangen Gespräch mit dem geflüchteten Priklopil im Auto nichts von der Entführung und Gefangenschaft Kampuschs erfahren zu haben. 2009 brachte er die Version von der Lebensbeichte ins Spiel, wonach ihm Priklopil erstmals von dem schweren Verbrechen an Natascha Kampusch erzählt hätte. „Aus Angst, mit hineingezogen zu werden“, hätte er dies 2006 daher verschwiegen.

Im seinem Prozess wegen Begünstigung am 30. August 2010 gab Ernst H. plötzlich erstmals an, sich im Auto von Priklopil bedroht gefühlt zu haben. Er hätte sich so gefürchtet, dass er froh gewesen sei, als Priklopil aus dem Auto stieg. Daraufhin wurde Ernst H. freigesprochen.

Zudem warfen die bisherigen Ermittlungen den Verdacht auf, H. könnte sich am Erbe Priklopils massiv bereichert haben. Erbin des Priklopil-Nachlasses war dessen Mutter. So erwarb H. unter anderem zwei Wohnungen vom toten Priklopil zum (sehr günstigen) Preis von rund 10.000 und 16.000 Euro. Den Kaufpreis beglich er mit der Verrechnung von angeblichen Schulden, die Priklopil bei ihm gehabt haben soll.

Nur Vater Kampusch verurteilt

Durch den Kampusch-Abschlussbericht der Justiz nach Ermittlungen gegen fünf Staatsanwälte wurde jetzt bekannt, dass es zwar eine Ankündigung gab, den Verdacht gegen Ernst H. wegen möglicher Vermögensdelikte extra prüfen zu lassen. Doch dazu ist es bisher nie gekommen. Auch wurde H. im Zuge der Ermittlungen von Kampusch bezichtigt, er würde mit seiner Gattin, einer Ex-Jugoslawin, eine Scheinehe führen. Auch dieser Vorwurf wurde von der Strafjustiz offenbar nie näher untersucht. Der Einzige, der bisher in der Causa jemals eine gerichtliche Strafe erhalten hat, war Kampuschs Vater Ludwig Koch. Er bezahlte 10.000 Euro Geldstrafe, weil er Ernst H. einmal tätlich attackiert hatte.

Interview mit Alois Birklbauer

Professor für Strafrecht an der Linzer Kepler-Universität.

OÖN: Die Justiz veröffentlichte den Abschlussbericht über die Einstellung des Amtsmissbrauchsverfahrens gegen fünf Staatsanwälte. Ihr Fazit?
Birklbauer: Das Verfahren gegen die Beschuldigten (wegen Vertuschungsvorwürfen, Anm.) wurde zu Recht eingestellt. Sicher gab es viele Ermittlungsfehler. Aber der geforderte wissentliche Befugnismissbrauch war nicht gegeben.
OÖN: Was sagen Sie zur Qualität dieses Berichts?
Birklbauer: Er wurde im Sinne der Transparenz im Internet veröffentlicht und ist für jedermann lesbar. Dafür ist er aber unübersichtlich und schlecht gegliedert. Das ist nicht transparent.
OÖN: Die Diskussion über den Fall wirft die Frage auf, welcher Grundsatz gravierender ist: der Opferschutz oder die Pflicht, in einem Kriminalfall die objektive Wahrheit zu erforschen.
Birklbauer: Die Festlegung auf einen Einzeltäter nach dem Selbstmord dürfte die beste Gelegenheit gewesen sein, die 2006 neu eingeführten Opferrechte vorzuexerzieren. Rechtlich ist es klar: Die Pflicht, die Wahrheit zu erforschen, steht über dem Opferschutz.
OÖN: Was waren die Schwierigkeiten bei den anfänglichen Ermittlungen?
Birklbauer: Die Flucht des Opfers war im August 2006, strafrechtlich eine Übergangszeit. Die neue Strafprozessordnung war beschlossen, aber noch nicht in Kraft. Der U-Richter war ein Auslaufmodell, die Staatsanwälte hatten noch nicht die Handhabe wie heute. Möglich, dass diese Legisvakanz zu Missverständnissen führte.
 

 

Der Fall Kampusch

 

2. März 1998: Natascha Kampusch (10) verschwindet in Wien-Donaustadt auf dem Weg zur Schule.
14. April 1998: Ein Polizeihundeführer macht das Sicherheitsbüro auf Priklopil aufmerksam. Die Hinweis versandet.
23. August 2006: Natascha Kampusch (18) gelingt in Strasshof (NÖ) die Flucht aus den Händen ihres Entführers und Peiningers Wolfgang Priklopil(44).
17. November 2006: Die Staatsanwaltschaft Wien stellt das Ermittlungsverfahren auf mögliche Mittäter ein.
18. Dezember 2009: Nach weiteren Ermittlungen eines Polizei-Sonderteams ergibt sich für die Staatsanwaltschaft Wien der Verdacht der Begünstigung gegen Ernst H.
30. August 2010: Ernst H. wird vom Vorwurf der Begünstigung freigesprochen.
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