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Kinder bis fünf lernen Sprachen am leichtesten

Von Friedrich M. Müller   04.Juni 2018

Welser Zeitung: Warum sollen Kinder im Kindergarten eine Zweitsprache lernen?

Manuela Macedonia: Vor über 100 Jahren sprach Maria Montessori von den "sensiblen Zeitfenstern", also von jenen Phasen im Leben eines Kindes, in denen das Lernen besonders gut und schnell gelingt. Im Gehirn entsprechen diese Zeitfenster Phasen, in denen das Gehirn noch nicht "fertig gebaut" und äußerst aufnahmefähig ist. In puncto Sprache gehen diese sensiblen Zeitfenster bis zum fünften Lebensjahr. Ihnen folgen Phasen, in denen das Gehirn "reift", sich in seiner Entwicklung vervollständigt. Mit sechs oder sieben Jahren kann man natürlich auch noch etwas gut lernen, eine Sprache, ein Instrument, einen Sport – aber man erreicht nicht die Perfektion. Das ist bei Starmusikern und Spitzensportlern gut nachvollziehbar: Sie beginnen zwischen zwei und drei Jahren und haben dann die Chance, zur Weltspitze zu gehören.

Ab wann ist es sinnvoll, Kinder, die (in Familien) fremdsprachig aufwachsen, mit dem Erlernen von Deutsch zu konfrontieren?

Aus Sicht des Gehirns gelingt Zweitspracherwerb am besten, wenn er parallel zur Muttersprache stattfindet. Es gibt keine Einschränkung: Je früher, desto besser. Daher ist der Kindergarten für fremdsprachige Kinder so wichtig und in dieser Phase auch das gezielte Vermitteln der Zweitsprache. Selbstverständlich kann das Kind später die Sprache lernen, aber mit viel mehr Mühe und geringerem Erfolg. In Österreich geborene Kinder haben oft einen fremdsprachigen Akzent, der darauf hindeutet, dass sie zu spät mit der Zweitsprache begonnen haben. Nach dem fünften Lebensjahr sind ausgerechnet jene Regionen des Gehirns, die für Aussprache zuständig sind, ausgereift.

Viele Fachleute sagen, dass Kinder eine Zweitsprache nur gut erlernen können, wenn sie zuvor die Muttersprache ordentlich beherrschen. Sie sind anderer Ansicht – weshalb?

Es gehört gesagt, dass Muttersprache nicht so schnell beherrscht wird, wie man früher meinte. Ein weltberühmter Forscher in diesem Gebiet, Michael Tomasello, hat in unzähligen Experimenten gezeigt, dass komplexe Satzbildung erst mit sieben Jahren aktiv eintritt – unter anderem Passivsätze wie "Der Wolf wird vom Hund gebissen". Gemeint ist, dass das Kind solche Sätze selbst bildet und auch versteht, welches Tier beißt. Satzbildung ist aber nicht alles. Auch der Wortschatz wächst und ist nie wirklich "fertig". Der Wortschatz-Erwerb hängt auch mit Interaktion mit anderen Menschen und mit Erfahrungen zusammen, die ein Kind sammelt. Ist seine Umgebung arm an Reizen, wird der Wortschatz nicht wachsen, das Kind auch mit zehn seine Sprache noch nicht wirklich beherrschen.

Haben Sie mit Zweisprachigkeit Erfahrung?

Ich bin Italienerin aus dem Aostatal, der kleinsten Region im Nordwesten Italiens: Meine Eltern waren italienischsprachig, mit den Kindern im Dorf musste ich den franko-provenzalischen Dialekt sprechen. Der Kindergarten war zweisprachig: italienisch und französisch. Wir wurden nicht gefragt, ob wir Mehrsprachigkeit wollten, aber jeder hat früh oder spät erkannt, dass sie nur Vorteile bringt. Auch später konnte ich mehrere Sprachen, unter anderem Deutsch, problemlos lernen, weil mein Gehirn auf Mehrsprachigkeit trainiert war, sich in den ersten fünf Lebensjahren darauf eingestellt hatte – im sensiblen Zeitfenster sozusagen.

Wie können Eltern überzeugt werden, dass der Erwerb unserer Sprache für ihre Kinder wichtigste Basis für ihr Leben ist?

Sprache ist das Tor zur Kognition, also zum Denken und zum Lernen. Ist Sprache defizitär oder gar nicht da, versteht das Kind die Welt weniger und kann weniger interagieren. Auch Schulinhalte, die nicht verstanden werden, sind verpasste Entwicklungsschritte, die leider nur schwer nachzuholen sind. Natürlich gibt es Kinder, die alles auch noch schaffen, der Durchschnitt tut sich aber schwer, wenn er die Sprache vor Schulbeginn nicht gelernt hat. Es liegt in der Verantwortung der Eltern, Kindern die bestmöglichen Chancen für ihr Leben zu geben. Und es liegt in der Verantwortung der Kindergärten, diese wichtigen Entwicklungsschritte nicht zu übersehen. Ich denke, Wels spielt diesbezüglich eine Vorreiterrolle.

 

Gehirn und Sprache: Darüber referiert die renommierte Gehirnforscherin Manuela Macedonia aus Wels morgen, Dienstag, in der Stadthalle. 

Die gebürtige Italienerin Manuela Macedonia studierte an der Salzburger Universität Linguistik, Germanistik, Kognitiv-Psychologie und promovierte 2003 mit ihrer Arbeit über "Fremdsprachenlernen und Gedächtnis". Sie forschte dann am Max-Planck-Institut in Leipzig und ist dort seit 2010 assoziierte Wissenschafterin: Sie untersucht den Effekt von Bildern und Gesten auf das Gedächtnis für Fremdsprachen. An der Linzer Kepler-Uni forscht sie über intelligente Systeme, die Menschen beim Erlernen einer Sprache unterstützen können.

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