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5. Mai, KZ Mauthausen

Von Manfred Wolf, 02. Mai 2020, 00:04 Uhr
Die SS hat das Konzentrationslager Mauthausen verlassen, die Häftlinge warten auf dem Appellplatz auf ihre Befreiung. Das Foto schoss der spanische Häftling Francisco Boix. Bild: Mauthausen Memorial, Sammlung Antonio Garcia

Mindestens 90.000 Menschen kamen zwischen 1938 und 1945 im Lagerkomplex des KZ Mauthausen ums Leben. 90.000, das ist nicht nur eine Zahl. Es ist 90.000 Mal ein Mensch. Die, die überlebt haben, wurden am 5. Mai vor 75 Jahren befreit.

Als am 5. Mai 1945 ein Spähtrupp des Kampfkommandos B der 11. US-Panzerdivision von Gallneukirchen über Katsdorf Richtung Donau unterwegs war, wussten die Soldaten nicht, was sie wenige Stunden später sehen würden. Es muss nahe Lungitz gewesen sein, wo sich das Lager Gusen III befand, als ihnen ein weißer Wagen mit rotem Kreuz auffiel. Darin saßen zwei SS-Männer und der Schweizer Louis Häfliger.

Aus den Erinnerungen von Kommandant Albert J. Kosiek der US-Armee

"... Der Zivilist war ein Mitglied des Internationalen Roten Kreuzes und der Sprecher dieses unheiligen Pöbels ..."

Häfliger schilderte die Lage und führte den Trupp nach Gusen und weiter nach Mauthausen. Was sie hier vorfanden, damit hatten sie nicht gerechnet. Selbst harte Soldaten, die im Laufe des Krieges Tausende Tote und Gewalt gesehen und erlebt haben, schilderten es als schockartiges Erlebnis. Im KZ wurden sie mit den Auswirkungen der unvorstellbaren Gräueltaten der Nationalsozialisten konfrontiert – Leichen überall, Gestank, halb verhungerte, zerlumpte Menschen ...

In den Monaten vor Kriegsende gab es im Lagerkomplex Mauthausen ein regelrechtes Massensterben. Todesmärsche aus den 40 Außenlagern gingen in das ohnehin schon heillos überfüllte KZ Mauthausen. Alleine von Dezember 1944 bis zur Befreiung 1945 starben im gesamten Komplex gleichviele Menschen wie zwischen 1938 und Dezember 1944 – insgesamt mindestens 90.000 Menschen.

Eine Zahl, die einer Deutung bedarf, die nicht als statistischer Wert stehenbleiben darf. Denn hinter der Zahl 90.000 steht 90.000 Mal ein Mensch. Ein Mensch, der Mann oder Frau, Kinder, Geschwister oder zumindest Eltern hatte. 90.000 Menschen, ermordet, drangsaliert und gequält durch die SS oder das dem Lager immanente "Vernichtungssystem".

Diese Vernichtung hatte viele Fratzen. Eine war, dass die Häftlinge hier keine "Erwartungssicherheit" hatten, sprich, nicht nur falsches Verhalten – aus Sicht der SS – zog Bestrafung nach sich. Bestraft oder ermordet wurde auch zum Amüsement der Wachmannschaften, die sich dafür eigens Spiele ausgedacht hatten. Diesen Sadismus spürten die Häftlinge schon bei der Ankunft. Sie mussten sich bei der Klagemauer aufstellen, wurden registriert und dehumanisiert – sie verloren ihren Namen und wurden zur Nummer.

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KZ Mauthausen und Nebenlager

KZ Mauthausen und Nebenlager

PDF-Datei vom 01.05.2020 (1.717,48 KB)

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Der Pole Tadeusz Smreczynski (19. April 1924 – 2. Februar 2018) erinnert sich ...

"Wir wurden aufgestellt, tausend Leute ... wir waren völlig nackt, dann kamen junge SS-Männer, sie gingen ... entlang und schlugen – in den Magen in den Unterleib ... sie zeigten uns, wo wir waren."

Danach ging es für die Häftlinge in den Keller, wo sie geschoren und geduscht wurden – zu heiß oder zu kalt. In gestreifte Uniformen gesteckt, mit Kappe und Holzschuhen waren sie nun gleichgemacht, ohne Habseligkeiten und ohne äußere Würde.

Ein Umstand, auf den die SS von Anbeginn Wert gelegt hatte. Schon als die ersten 304 Häftlinge, bewacht von 80 Angehörigen der SS, am 8. August 1938 aus Dachau angekommen sind und das KZ Mauthausen errichten mussten. "Sie wurden gezwungen, ihr eigenes Lager zu bauen, und es ist immer größer und größer geworden", sagt Gregor Holzinger. Der Gmundner ist Historiker in der Forschungsstelle des Mauthausen Memorials mit Sitz in Wien. Die Steine für den Bau des Lagers mussten die Häftlinge aus dem Steinbruch Wienergraben am Fuße des Lagers nach oben schleppen.

Der Tschechoslowake Ota Sik (11. September 1919 – 22. August 2004) erinnert sich ...

"Die, die gefallen sind und tot waren, die hat man unten gesammelt. Wir anderen mussten unter dauerndem Geschrei und Prügel – das waren die bösen Kapos ... das waren die ärgsten Verbrecher, totale Sadisten – Steine aufklauben ... mindestens 20 Kilo, aber das waren die kleinen, da konnte man auffallen und Prügel bekommen, also war es besser, einen 30 Kilo schweren aufzuheben, den hat man dann auf die Schulter gelegt ... und dann hinauf, auf diesen Steintreppen, da sind immer schon viele hingefallen, es gab also weiter zu Tode geprügelte ... Oben hieß es anhalten ... dann kamen die SS-Leute und das war für sie die größte Belustigung ... dann kam der Hauptmann ... und auf wen er zeigte, der muss an den Rand des Steinbruchs ... das waren dann so 80, 90 Meter Tiefe und dann hieß es: Und jetzt springst du. Jeder hat sich ans Leben geklammert, dort kam es zu den fürchterlichsten Szenen, es wurde ums Leben gebettelt, dann wurde er gestoßen ... und wer sich noch festgehalten, dem wurde auf die Finger getreten, solange bis er losließ ..."

 

Kapos spielten im Lageralltag eine große Rolle. "Sie waren Häftlinge, jedoch der verlängerte Arm der SS", sagt Holzinger. "Sie haben die Schmutzarbeit für die SS ausgeführt. Wenn die SS es so wollte, dann haben die Kapos andere Häftlinge in die Waschbaracke gebracht und ihnen gesagt, ‚Du bist jetzt zehn Minuten alleine und dann hast du dich aufgehängt.‘ In der Statistik zählte das als Selbstmord."

Die Struktur der Kapos war kompliziert. Es gab Kapos bei der Arbeit und im Block. Es gab den Lagerältesten, den Block- und Stubenältesten und Funktionshäftlige, wie Friseure und Essensträger, die verschiedene Vorteile genossen. Die älteren durften sich auch einen "Schwung" halten, also einen jungen Häftling, dem sie bessere Nahrung und Zigaretten – die harte Währung im KZ – zukommen ließen – im Austausch für sexuelle Dienste.

Mauthausen war – im Sinne der SS – perfekt organisiert und geführt. Jedoch nicht von Beginn an. Der erste Lagerkommandant, Albert Sauer, wurde 1939 wieder abberufen, er war Alkoholiker und permanent im Clinch mit den Behörden. Ihm folgte der Münchner Franz Ziereis nach, der das Lager unter seine Kandare nahm. Er pflegte ein sehr gutes Verhältnis zu Gauleiter August Eigruber, zu Reichsführer SS Heinrich Himmler, der einige Mal auch in Mauthausen war, sowie zum Chef der Sicherheitspolizei, dem Innviertler Ernst Kaltenbrunner.

Ziereis hatte sein Personal, das ganz normal im Ort lebte, im Griff. "Es gab auch Eheschließungen mit Frauen aus dem Ort, darum sind später viele immer wieder zurückgekommen. So wie Martin Roth, Leiter des Krematoriums und der Gaskammer", sagt Holzinger.

Ziereis wurde seine stringente Art gedankt – er war der einzige Lagerkommandant, der in der Mitte des Krieges nicht ausgewechselt wurde, als es neue Vorschriften für die Lager gab und die Ausbeutung der Häftlinge immer wichtiger wurde. Er wurde zum längstdienenden Kommandanten aller Lager und hatte nicht nur unglaublichen Einfluss, sondern war auch voll verantwortlich dafür, was im Lager geschah.

Und was hier geschah, zählte zum Schlimmsten. Denn Mauthausen war jenes Lager mit den härtesten Haftbedingungen, das einzige Lager im dritten Reich der Kategorie drei – "Tod durch Arbeit". "Wer hier hergekommen ist, der sollte nicht zurückkommen", sagt Holzinger –wenngleich es kein Vernichtungslager wie Auschwitz oder Treblinka war. Die Häftlinge in Mauthausen wurden als Arbeitsressource gesehen, die, wenn sie "abgearbeitet" war, vernichtet wurde. Verpflegt wurden sie mit minderwertigem "Essen". Zum Frühstück – vor einem harten Tag im Steinbruch – gab es lediglich Kaffee. Zu Mittag gab es Brot, das mit Sägemehl gestreckt wurde, und Steckrübensuppe, manchmal auch Fleisch – schimmliges Fleisch.

Letzte Vergasung am 28. April 1945

Beim Essen wurde auch experimentiert – teils mit desaströsen und tödlichen Folgen für die Probanden. Auch andere medizinische Experimente wurden in Mauthausen vorgenommen. Der Tod kam in hunderten Facetten nach Mauthausen. Ungefähr 3500 Menschen wurden vergast. Die letzten, als der Krieg bereits hoffnungslos verloren war, am 28. April 1945 – eine Gruppe von 42 politischen Häftlingen. Danach wurden – was jedoch schon länger im Gang war – kompromittierende Spuren vernichtet und die Gaskammer abgebaut. Die SS verließ das Lager bis zum 3. Mai, übergab es an die Wiener Feuerschutzpolizei sowie den Volkssturm und flüchtete.

Als das Kampfkommando B der 11. US-Panzerdivision in Mauthausen ankam, muss die Freude unter den Überlebenden unendlich groß gewesen sein. Doch diese mischte sich auch mit anderen Gefühlen ...

Die Tschechoslowakin Lisbeth Scheuer – geborene Adler – (19. August 1907 – 11. August 2003) erinnert sich ...

"Etwa sechs Wochen nachdem wir hier angekommen waren, war es soweit ... alle SS Leute zogen ab und auf einem der höchsten Türme des Festungsbaues des KZ Mauthausen wurde eine weiße Fahne gehisst. Dass ich das in diesem Augenblick erleben konnte, ich dachte immer – und habe es mir auch tausendmal vorgestellt –, dass dieser Augenblick irgendwie besonders, aufregend, ja erschütternd und vor allem beglückend sein würde. Nichts von alledem fühlte ich. Kein Glück, keine Aufregung, nur trostlose Leere und eine fürchterliche Angst – die Angst vor dem Nach-Hause-Kommen und die Angst vor der Frage, wen ich antreffen würde und auf wen ich vergeblich warten müsste, beschäftigte mich in dieser Stunde. Ich konnte nicht fröhlich sein."

 

Der US-Spähtrupp zog kurz nach der Ankunft wieder ab, die Befreier kamen erst am 7. Mai zurück, dennoch gilt der 5. Mai als Tag der Befreiung. In den Stunden dazwischen verließen viele Häftlinge das Lager und es kam zu Racheaktionen – vorwiegend an den Kapos, die ertränkt, erstochen ... wurden.

Im Hauptprozess für Mauthausen, der von 29. März bis 13. Mai 1946 in Dachau stattfand und von den Alliierten geführt wurde, wurden 61 Angeklagte verurteilt, 58 zum Tode. Es gab auch danach noch Prozesse – bis in die 1970er-Jahre. Manche der Angeklagten zeigten auch Reue – doch schuld, so Holzinger, "waren die anderen".

Ungefähr 500 Personen wurden verurteilt. Zur Einordnung: Insgesamt haben – mehr oder weniger lange – rund 20.000 SS-Leute, Ärzte, Offiziere ... hier Dienst getan. "Und die Urteile waren teils absurd. Es gab viele Freisprüche", sagt Holzinger. Martin Roth, der die Gaskammer und das Krematorium in Mauthausen über hatte, wurde 1970 in Deutschland zu sieben Jahren Haft verurteilt. "Wegen Beihilfe zum Mord in insgesamt 250 Fällen. Diese 250 Fälle betrafen jedoch insgesamt 2511 Menschen!", sagt Holzinger.

In Mauthausen und den 40 Außenlagern waren in sechs Jahren und neun Monaten insgesamt 190.000 Menschen inhaftiert – davon wurden rund 35.000 Menschen in andere Lager überstellt oder anderweitig für den Kriegsdienst benötigt. Wenige Tausend wurden enthaftet, etwa 65.000 überlebten und wurden am 5. Mai befreit. 90.000 Menschen wurden ermordet.

Aus den Befreierprotokollen der US-Armee vom 7. Mai von Oberst John H. Claybrook

"Ein weiterer Name wurde der langen Liste von Nazi-Gräueltaten hinzugefügt. Mauthausen, wo ein Konzentrationslager mit 16.000 Toten und sterbenden Gefangenen gefunden wurde. Die Insassen waren russisch und polnisch, mit ein paar Amerikanern. Verhungern, Krankheit und Quälereien der Gefangenen machten die Bedingungen so jämmerlich, dass selbst altgediente Soldaten der 11. Panzerdivision beim Anblick krank wurden. Gefangene wurden durch Folter, Erhängen, Verbrennen getötet, und ein Hunderudel wurde benutzt, um viele der Gefangenen in Stücke zu reißen.”

 

Ziereis wurde Ende Mai von der US-Armee in seinem Jagdhaus in Spital am Pyhrn angeschossen, verhaftet und zum Verhör nach Gusen gebracht, wo er am 25. Mai 1945 seinen Verletzungen erlag. Sein Leichnam wurde von den Überlebenden als Vergeltung an den Lagerzaun gehängt.

Der Krieg war aus. Die, die überlebt hatten, waren befreit. Äußerlich.

Der Fotograf von Mauthausen

Das Bild von der Befreiung stammt von Francisco Boix, einem spanischen Häftling, der im Erkennungsdienst für die SS als Fotograf arbeitete. Er sicherte gemeinsam mit weiteren Häftlingen und der Hilfe der Mauthausenerin Anna Pointner Tausende Bilder vor der Vernichtung.

  • Die Stunde Null: Ihre Erinnerungen an den Krieg

Ihre Hilfe, liebe Leserinnen und Leser, ist gefragt: Haben Sie Erinnerungen, Geschichten und Fotos von den letzten Tagen des Kriegs, dem Leben der Menschen im Jahre 1945 sowie dem Wiederaufbau? Wenn ja, schicken Sie uns diese Fotos an damals@nachrichten.at oder per Post an: OÖNachrichten, Promenade 23, 4020 Linz – Kennwort: Die Stunde Null.

Wir freuen uns auf Ihre Zuschriften.

  • Memorial ab 4. Mai wieder zugänglich

Um am historischen Ort zum 75. Jahrestag der Befreiung ein individuelles und stilles Gedenken zu ermöglichen, sind ab 4. Mai alle Außenbereiche der KZ-Gedenkstätte wieder täglich zugänglich – dies gilt auch für die Außenbereiche Gusen, Ebensee und Melk. Allerorts gelten selbstverständlich die vom Gesundheitsministerium vorgegebenen Verhaltensregeln im öffentlichen Raum in Zeiten des Corona-Virus.

  • Vermittler sind digital aktiv

Auf großartige Weise hat das junge Vermittler-Team des Mauthausen Memorials auf die Corona-Krise reagiert. Auf Anregung der pädagogischen Leiterin Gudrun Blohberger geben die Vermittler im Homeoffice ihr Wissen an Schüler und Interessierte auf facebook und youtube (#bildungsarbeitdigital) weiter – jeden Tag ein neues Thema mit Arbeitsmaterial auf mauthausen-memorial.org. Großer Tipp, großes Kompliment!

 

  • Protokoll der Befreiung

Eine tolle Idee hatte das Mauthausen Komitee Österreich (MKÖ): Schauspielerinnen lesen Protokolle der 11. US-Panzerdivison von der Befreiung des KZ Mauthausen – beginnend mit dem Grenzübertritt des 22. Panzerbataillons bei Lackenhäuser. Die Aktion endet am 20. Mai mit einem Auszug der Protokolle über die Versorgung der ehemaligen KZ-Häftlinge. Die Videos finden Sie auf mkoe.at sowie auf facebook (#niemalswieder).

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Autor
Manfred Wolf
Ressortleiter Lokales
Manfred Wolf

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