Eiter im Hirn, sechs Wochen im Koma: Nach 97 Tagen beginnt das Leben neu

Von Gerald Winterleitner   11.Februar 2019

"Der Patient ist definitiv an der Kippe gestanden, als er zu uns gebracht wurde", sagt Wolfgang Bayer, Neurologe am Landeskrankenhaus Steyr, "einen Tag später und er hätte nicht mehr gelebt."

Es ist der Allerseelentag des Jahres 2018: Um zwei Uhr morgens wacht der Bad Haller Thomas Netopilik mit stechenden Kopfschmerzen und hohem Fieber auf. Ein Anruf bei seiner Mutter Luise (75), diese hört daheim in ihrem Schlafzimmer zum Glück das Telefon und verständigt sofort die Rettung. Diese bringt ihren Sohn ins Steyrer Spital. Die Ärzte untersuchen ihn wegen Verdachts auf Hirnhaut- und Hirnentzündung, finden bereits eitriges Nervenwasser vor, erkennen eine bakterielle Entzündung. Danach versetzen sie den Patienten in künstlichen Tiefschlaf. Erst sechs Wochen später, am 15. Dezember, wacht Netopilik aus dem Koma wieder auf.

Am Grab des Vaters

Von all dem weiß der 45-jährige Bad Haller, vielen in der Region Steyr-Kirchdorf als DJ Netto seit Jahrzehnten ein Begriff, ebenso als Platzsprecher bei Fußballspielen in Bad Hall und Micheldorf, heute nur aus Erzählungen.

"Ich kann mich nur noch an Allerheiligen erinnern, daran, dass ich am Friedhof das Grab meines Vaters besucht habe", sagt der in Wien lebende Society-Journalist, der mit seinem Würstelstand-TV-Format "Senf oder Ketchup?" in der lokalen Szene beinahe Kultstatus genießt. Es klingt makaber, aber der im Vorjahr verstorbene Vater hat seinem Sohn vermutlich das Leben gerettet: "Sonst wäre ich sicher nicht heim nach Bad Hall und auf den Friedhof gefahren, sondern in Wien geblieben und wäre dort dann ohne Hilfe in meiner Wohnung gelegen."

33 Kilo abgenommen

"Es hat eine Zeit lang gedauert, bis ich erkannt habe, dass ich dem Tod gerade noch von der Schaufel gesprungen bin", sagt DJ Netto, "zuerst habe ich mich ja gewundert, warum ich einen Beatmungsschlauch im Hals und eine Glatze habe." Erst dann erfuhr er, dass ihm bei der OP der Kopf geöffnet worden war, um Eiter abzusaugen und den zerfressenen Knochen – ein Loch ins Gehirn – zu ersetzen.

Sicherheit gaben dem Bad Haller, der rund zwanzig Jahre lang ehrenamtlich und hauptberuflich beim Roten Kreuz tätig war, vertraute Gesichter. "Internist Stephan Schoiswohl, ein ehemaliger Rotkreuz-Kollege, ist an meinem Bett gestanden, die Schwestern Astrid und Tanja habe ich auch von damals gekannt", sagt Netopilik. Doch der nächste Schock ereilte ihn gleich danach: "Unser Patient hat die Tragweite seiner Erkrankung gar nicht erfassen können", sagt Bayer, "er hat ja nicht nur ein eingeschränktes Denkvermögen gehabt, es waren auch die Nerven geschädigt." Als der ohnehin stark übergewichtige DJ Netto aufstehen wollte, ging es einfach nicht. Er musste erst mühsam das Gehen neu erlernen, ebenso Schlucken und Sprechen. Einzig Nettos Schmäh kam rasch wieder auf Touren: "Das Ganze hat ja auch ein bisserl was gebracht. Ich habe 33 Kilo abgenommen und mit dem Rauchen aufgehört."

Am 27. Dezember schaffte es der Bad Haller erstmals, mit zwei Helfern zu stehen. Anfang Jänner unternahm er erste Gehversuche. Bayer: "Jetzt, nach fünf Wochen, hätten wir erwartet, dass er mit Rollator einige Schritte schafft. Er geht aber alleine. Bei ihm sind Einsatz und Wille enorm."

Ein Lob, das prompt retour kommt: "Die Unterstützung des Teams im Spital war großartig", sagt Netopilik, "Ärzte, Schwestern, die Therapeuten – ohne ihren Einsatz hätte ich das alles nicht so schnell geschafft."

Am Freitag durfte Thomas Netopilik das Spital endlich verlassen, heute hat er bereits einen Gesprächstermin in der Klinik, wo demnächst seine Reha beginnen wird. Nach 97 Tagen voller Ungewissheit geht DJ Netto zurück in sein Leben.

 

Auslöser war „harmlose“ Nebenhöhlenentzündung

 

Ausgangsbasis für den Schicksalsschlag von Thomas Netopilik war eine an sich nicht übertrieben gefährliche Nebenhöhlenerkrankung gewesen. Doch die von Pneumokokken ausgelöste Entzündung hatte beim 45-Jährigen die Rückwand der Stirnhöhle angegriffen und die Verbindung zum Gehirn geöffnet.

„Es war bereits Eiter eingedrungen und das Hirngewebe entzunden“, sagt Neurologe Wolfgang Bayer. Die Folgen waren hohes Fieber, der Beginn einer Wesensveränderung und die Gefahr irreparabler Schäden: „Wir mussten ihn intubieren, weil seine Atmung nicht mehr ausgereicht hat.“
Zwei Wochen später wurde er im Neuro-Med-Campus in Linz 7.14 Stunden lang operiert, danach zurück ins LKH Steyr überstellt, wo er wieder aufwachte.