Wie sich ein Bursche vom Land mit dem Seelendoktor und der Hölle anfreundet

Von Hannes Fehringer   12.Oktober 2017

Derartige Betriebsamkeit herrschte auf dem Bahnsteig des Steyrer Lokalbahnhofes schon seit Ewigkeit nicht mehr. Von der halben Stunde Mittagspause, die dem Set von fünf Schauspielern und 17 Komparsen für ein hastiges Mittagessen gegönnt ist, zwackt Regisseur Nikolaus Leytner vor dem sich leerenden Buffet kostbare Minuten ab, um seine Vision von der Verfilmung des Romans "Der Trafikant" von Robert Seethaler zu erklären: "Der Wechsel in den Dreißigerjahren vom Ständestaat zur Nazi-Diktatur wird nicht historisch erzählt, sondern aus dem Blickwinkel eines 17-jährigen Burschen vom Land, der nach Wien ziehen muss."

Simon Morzé spielt den Franz Huchel, der als Lehrling zu einem Trafikanten nach Wien kommt und der sich mit dem prominentesten Zigarrenkäufer des Tabakladens, dem Seelendoktor Siegmund Freud anfreundet. "Das Ambiente hier", sagt Morzé mit Blick auf die alten Bahnwaggons und den Lokalbahnhof, "macht es leicht, sich in die Zeit zu versetzen. Dieser Huchel ist ein junger Mann, naiv, unverdorben, der sich das erste Mal verliebt, seinen Platz im Leben sucht. Und das in einem immer schrecklicher werdenden Umfeld."

Die Geschichte von dem Burschen aus der Trafik, dessen Lehrherr die Gestapo holt und der am Schluss Siegmund Freud dessen Lieblingszigarre für die Flucht zusteckt, hat die HAK-Professorin Barbara Siemetzberger so berührt, dass sie gestern um 6.15 Uhr bereits als Statistin in der Maske saß und sich nach der Mode der Dreißigerjahre die Haare stecken ließ. "Der Roman hat mich eigentlich veranlasst, irgendwie bei der Verfilmung dabei zu sein." Die Szene spielte in der zum Wiener Beisl ausgestatteten ehemaligen Bahnhofsrestauration. Siemetzberger sitzt mit Anna Krug aus Dorf/Enns Zigaretten rauchend an einem Wirtshaustisch, als Michael Pascher aus Steyr als Kellner einen Gespritzten kredenzt und ein Bub dazwischenruft, dass "jetzt der Hitler gekommen ist". Siemetzbergers Schauspielkunst wurde eine abtuende Geste und ein ungläubiger Blick abverlangt, während der Steyrer Thomas Bauer als Raufbold in den Schwitzkasten gerät. "Schon alles abgedreht", freute sich der BMW-Mitarbeiter, der sich für den Drehtag Urlaub genommen hatte. "Es ist schlimm, wozu sich verhetzte Menschen verändern können", sagt Komparse Bauer, der einen Nazi-Provokateur mit Hakenkreuz unter dem Rock spielt. "Der Trafikant" beschreibt, wie ein verbrecherisches Regime das Leben einzelner Menschen unterjocht, niederknüppelt, auslöscht. "Wenn wirtschaftliche Not dazukommt, kann das wieder gefährlich werden", sagt Regisseur Leytner.