Schlamperei der Fürsorge könnte spät teuer kommen
STEYR, LINZ. Das Gericht urteilt, ob Ansprüche des früheren Heimkindes Jenö Molnar verjährt sind. Magistrat Steyr war Vormund des Buben.
Als unehelichem Kind einer Volksdeutschen aus Ungarn und eines US-Besatzungssoldaten war Jenö Molnar ein trauriges Schicksal nach der Geburt im Jahr 1946 schon in die Wiege gelegt. Das Leben des Buben verpfuschten die Fürsorge und die Jugendämter von Anfang an. Im Zuge der harten Behandlung, die GIs von der US Army erfuhren, wenn sie sich mit Fräuleins auf eine Liebschaft eingelassen hatten, wurde Molnar als Säugling seinen Eltern weggenommen. Ein Leidensweg durch Kinderheime folgte, in denen der Zögling geschlagen und geohrfeigt wurde. Dem Buben wurde immer gesagt, dass er Vollwaise sei, obwohl die Behörden die Namen seines Vaters und seiner Mutter kannten.
Anfang der Sechzigerjahre trat der Magistrat Steyr auf den Plan. Das Jugendamt wurde Vormund des Halbwüchsigen, der eine Bäckerlehre begann. Als Molnar volljährig war, wurde er ohne Papiere auf die Straße gesetzt, nachdem sich Bemühungen des Steyrer Magistrates, für ihn die Staatsbürgerschaft zu bekommen, verloren.
Molnar, der als Heimkind immer wieder misshandelt und missbraucht wurde, hat das Land OÖ als Fürsorgeträger auf 1,62 Millionen Euro Schadenersatz verklagt. Die Höhe der Summe erklärt sich daraus, dass er ohne Dokumente über Jahrzehnte als U-Boot von Schwarzarbeit leben musste und daher auch keine Pensionsansprüche ansparen konnte.
Gericht urteilt über Verjährung
Der nächste Dienstag ist ein Schlüsseltag in der endlosen Causa. Das Landesgericht Linz befindet über eine etwaige Verjährung. Molnars Schicksal könnte der Präzedenzfall sein, dass Schreckensereignisse, die ein ganzes Menschenleben zurückliegen, doch noch gerichtlich aufgerollt werden. Der vom Landesgericht beauftragte Gutachter, der Wiener Psychiater und Neurologe Thomas Stompe, hat festgestellt, dass Molnar in seiner Kindheit so traumatisiert wurde, dass eine Gedächtnislücke klaffte. Erst nach einer lebensbedrohlichen Gehirnerkrankung und einer Notoperation habe sich Molnar im Jahr 2008 erstmals wieder mit den Erlebnissen beschäftigt, die er tief in seiner Seele vergraben hatte. Damit aber reichten die Verletzungen in die Gegenwart, und die Verfehlungen von damals seien verhandlungsfähig.
Folgt das Gericht dieser Sichtweise, dann gerät wahrscheinlich auch der Magistrat Steyr in den Sog der Affäre. Vor dem Reißwolf gerettete Akten belegen, dass die Stadt zum fraglichen Zeitpunkt Vormund des Jugendlichen war, als er ohne Papiere aus der Fürsorge entlassen wurde.
Geschlampt wurde beim Jugendamt mehrfach. Dort führte man in einem Schriftstück Molnars Mutter Elisabeth namentlich mit dem Vermerk "nähere Angaben unbekannt" an. Zu diesem Zeitpunkt war die Frau, die zeitlebens vergeblich nach ihrem Sohn gesucht hatte, ordnungsgemäß in der Ferdinand-Raimund-Straße 21/3 in Salzburg gemeldet. In der Klagsbeantwortung hatte das Land schon auf die Verantwortung des Magistrates Steyr hingewiesen. "Vorerst können wir ohnehin nur abwarten, was vor Gericht kommt", sagt Bürgermeister Gerald Hackl (SP).