Die verhängnisvolle Fehlerkette am Großglockner

KALS AM GROSSGLOCKNER. Eine junge Frau erfriert nach 17 Stunden Aufstieg – ihr Partner, ein erfahrener Alpinist mit Wurzeln im Salzkammergut, kann sich retten. Wie lässt sich diese Tragödie erklären?
Die Frage nach der Schuld sollten nicht jene beantworten, die zu Hause vor den Bildschirmen sitzen. Zu komplex und noch zu undurchsichtig sind die Ereignisse auf Österreichs höchstem Berg, um ihnen mit einfachen, emotionsgeladenen Worten gerecht zu werden. Alpinpolizei und Staatsanwaltschaft werden klären, ob jemand für den Erfrierungstod einer 33-jährigen Salzburgerin verantwortlich ist – und wenn ja, wer.
Alpin-Tragödien wie jene, die sich von 18. auf 19. Jänner auf dem Südwestgrat des Großglockners ereignet hat, wühlen auf. Vor allem, weil sie immer auf Unverständnis treffen, egal ob Natur oder Mensch sie ausgelöst haben. Die Tatsache, dass sich jemand freiwillig an unwirtliche Orte begibt, die bei Betreten im besten Fall nur wenige Fehler verzeihen, ist für einen Großteil der Bevölkerung schwer nachvollziehbar.

Aber Fehler lassen sich nie gänzlich ausschließen, deren Anzahl nur vorausschauend minimieren oder mit viel Glück noch korrigieren. Beides ist an diesem sonnigen, wolkenlosen, aber stark windigen Samstag nicht passiert.
An diesem Tag, es ist der 18. Jänner, wollen ein 36-jähriger Alpinist, der vom Salzkammergut an den Fuß des Tennengebirges gezogen ist, und seine 33-jährige Freundin, die in der Umgebung von Salzburg wohnt, über den Stüdlgrat auf den Großglockner steigen.
Vor ihnen liegen 1900 Höhenmeter, knapp 500 davon in kombiniertem Klettergelände. Die Rucksäcke sind schwer, an ihnen sind zusätzlich Ski und Splitboard (Snowboard für das Tourengehen) befestigt, die das Paar für den Zustieg zum Grat nutzen will. Sie starten um 6.45 Uhr vom Parkplatz am Lucknerhaus (1920 Meter) im Gemeindegebiet von Kals. Mit diesem für die Jahreszeit vergleichsweise späten Aufbruch wird das Zeitfenster schon sehr früh eng. Zwar stellen den 36-Jährigen die Herausforderungen einer Winterbegehung des Stüdlgrats (Kletterschwierigkeiten bis zum oberen dritten Grad) grundsätzlich vor keine Probleme, seine Freundin allerdings hat damit kaum Erfahrung, erschwerend kommt die Höhenlage hinzu. Eine Nacht im Winterraum der Stüdlhütte (2800 Meter) hätte in puncto Zeitmanagement und Akklimatisation zumindest zu mehr Sicherheit beigetragen.

Entscheidung am Umkehrpunkt
Um 13.30 Uhr, also nach knapp sieben Stunden, erreicht das Paar das „Frühstücksplatzl“ in 3550 Metern Seehöhe. Die geringe Distanz zum Gipfel (noch knapp 230 Höhenmeter) täuscht: Erst hier beginnen die Hauptschwierigkeiten. Im Winter bedeutet das auch, die ausgesetzten und technisch anspruchsvolleren Kletterstellen im oberen Bereich des Grats mit Skischuhen und Steigeisen absolvieren zu müssen. Ein deutlich größerer Kraft- und Zeitaufwand. Hinzu kommt der starke Südostwind, der bereits zu diesem Zeitpunkt Böen mit mehr als 50 Stundenkilometern über den Grat schickt. Windabgewandte Stellen gibt es am Stüdlgrat zwar, viele sind es aber nicht.
Der starke Wind senkt die gefühlte Temperatur deutlich, erschwert die Kletterei massiv und zehrt minütlich an den Kräften. Bis zum Sonnenuntergang (beide sind mit leistungsstarken Stirnlampen ausgerüstet) sind es weniger als dreieinhalb Stunden. Und das Erreichen des Gipfels (3798 Meter) bedeutet in diesem Fall nichts: Objektive Sicherheit und Schutz gibt es erst im Notraum der Erzherzog-Johann-Hütte (3454 Meter), die nur über einen deutlich leichteren, aber immer noch anspruchsvollen Abstieg zu erreichen ist.
Den Gemüts- und körperlichen Zustand der beiden Bergsteiger zu diesem Zeitpunkt zu bewerten, wäre derzeit reine Spekulation – und unangemessen. Dennoch befindet sich die Unternehmung an einem Scheidepunkt: Ein Zurück über den Grat ist beim „Frühstücksplatzl“ vergleichsweise noch einfach möglich, danach verschlechtern sich die Chancen auf einen gelungenen Rückzug rapide. Die beiden Bergsteiger entscheiden sich, weiterzuklettern. Wenige Minuten nach 18 Uhr ist es auf dem Großglockner stockdunkel, die Seilschaft befindet sich nach wie vor im oberen Bereich des Stüdlgrats. Noch kommen sie voran – allerdings nur sehr langsam.
Vermutlich im Bereich der Platten (dritter Schwierigkeitsgrad) stockt das Unternehmen schließlich. Die Alpinpolizei, die von mehreren Bergsteigern auf die Lichter der Stirnlampen aufmerksam gemacht wurde, hat über das Autokennzeichen herausgefunden, wer spätabends noch am Stüdlgrat unterwegs ist, und versucht, die Bergsteiger telefonisch zu erreichen – niemand meldet sich. Ungewöhnlich, aber in dieser exponierten Lage, in der angespannten Situation und durch den starken Wind erklärbar.
Als der Hubschrauber um 22.30 Uhr aufsteigt, um eine eventuelle Notsituation zu klären, habe es laut Polizei keine Anzeichen dafür gegeben. Die Seilschaft habe das Fluggerät zwar wahrgenommen, versuchte aber davon unbeirrt voranzukommen. Fakt ist: Eine Rettung mit dem Hubschrauber wäre zu diesem Zeitpunkt nicht möglich gewesen. Der starke Wind hätte eine Taubergung schlicht nicht zugelassen. Die Bergretter hätten zu Fuß aufsteigen und sich zu dem Paar abseilen müssen, die Rettungsaktion wäre aber zumindest fünf Stunden früher angelaufen. Denn erst um 3.30 Uhr geht der Notruf ein. Er erreicht die Bergrettung von der im Winter geschlossenen Erzherzog-Johann-Hütte, zu der der 36-Jährige allein abgestiegen war. Warum, muss die Polizei klären. Empfang gibt es am Großglockner zwar, technische Probleme des Mobiltelefons sind aber bei diesen Wetterbedingungen nicht ausgeschlossen.
Biwaksack als „Überbrückung“
Seine Freundin, die gegen Mitternacht keine Kraft mehr hatte, um weiterzukommen, bleibt 50 Meter unterhalb des Gipfels zurück. Diese Entscheidung wird erst bewertbar sein können, wenn der 36-Jährige eine umfassende Aussage zu seinen Beweggründen macht. Tatsache ist, dass ein Biwaksack, der zwar mitgeführt aber offenbar nicht verwendet wurde, keine Garantie auf Überleben ist, aber das Leben in Notsituationen zumindest verlängern kann. Und dass die mentale Komponente der Einsamkeit im hochalpinen Gelände zusätzlich zu Erschöpfung den Körper stark belastet. Nur eine einzige Entscheidung hätte die fatale Richtung ändern und die Fehlerkette durchbrechen können.
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