Dialektforscher: „Wer nicht nach der Schrift reden kann, zahlt drauf“

Von Edmund Brandner   12.November 2010

OÖN: Wie geht es Ihnen, wenn Sie mit „hallo“ und „tschüss“ gegrüßt werden?

Walter Rieder: (lacht) Das gefällt mir überhaupt nicht. Ich finde, es spricht nichts gegen „Griaß di“ und „Pfiat di“.

OÖN: Und was halten Sie als pensionierter Lehrer davon, dass Eltern mit ihren Kindern nach der Schrift reden?

Rieder: Da habe ich wenig dagegen. Die Kinder reden ja untereinander ohnehin im Dialekt. In der Schule sollten sie aber in der Lage sein, nach der Schrift zu reden. Da ist es gut, wenn sie das im Elternhaus lernen. Ich finde, man soll sich in beiden Sprachen voll ausdrücken können. Wer sich nicht in Schriftdeutsch ausdrücken kann, zahlt in manchen Situationen drauf.

OÖN: Weil man mit Dialekt Ungebildetheit verbindet?

Rieder: Ja, manchmal, leider. In der Schweiz ist das anders. Dort wird die Mundart in allen Lebenslagen verwendet, auch im Rundfunk. Was mich aber viel mehr stört, ist die Verbreitung von Anglizismen. Warum muss es Cityshuttle, Car-Port oder Newsflash heißen? Das wäre nicht notwendig.

OÖN: Zugleich gehen viele Dialektausdrücke verloren.

Rieder: Aber das kann und soll man auch nicht aufhalten. Wörter leben nur so lange, wie sie gebraucht werden. Die Welt hat sich verändert. Ich habe als Kind mit meinem Bruder noch das ganze Holz gemacht, das wir zum Heizen brauchten. Das gibt es heute nicht mehr. Die damit verbundenen Ausdrücke verschwinden deshalb.

OÖN: Wollen Sie mit Ihrer Salzkammergut-Dialektwörtersammlung diesem Trend entgegenwirken?

Rieder: Nein, ich will die Sprache nicht pflegen. Sprache lebt am besten ungepflegt. Wenn wir anfangen, die Sprache zu pflegen, verweigern wir uns den Veränderungen. Auch den notwendigen. Ich wollte nur dokumentieren. Ich hänge an diesen alten Ausdrücken, weil sie mir einfach gefallen. Ich sehe aber ein, dass die Massenmedien einen Zwang zum Einheitswortmaterial brachten. Und auch unser Leben hat sich verändert. Meine Urgroßmutter wurde 86 Jahre alt und kam über Bad Ischl und Gmunden ihr Leben lang nie hinaus. Mein Sohn studiert in London. Wenn er dort einen Deutschen trifft, kommt er mit seinem Ebenseer Dialekt nicht weit. Die Hochsprache ist heute viel wichtiger als in früheren Generationen.

OÖN: Sie selbst reden aber gerne im Dialekt.

Rieder: Ich bin ein alter Knacker und habe eine alte Sprache. Aber so lange ich verstanden werde, rede ich, wie mir der Schnabel gewachsen ist. Aber es macht mir auch Spaß, mit Touristen Englisch zu reden. Die Sprache ist ein Werkzeug. Man nimmt das, was am besten funktioniert.

OÖN: Gibt es eigentlich einen klassischen Salzkammergut-Dialekt?

Rieder: Nein, den hat es auch nie gegeben. Ebenseer haben immer ganz anders geredet als Gosinger. Aber die Unterschiede sind weniger geworden. Heute ist ein gemeinsamer Klang geblieben. Bei jungen Leuten kann man kaum mehr unterscheiden, ob sie aus Ebensee oder Bad Ischl kommen. Aber trotzdem hört man den Menschen im Salzkammergut an, woher sie kommen.

OÖN: Auch am Vokabular?

Rieder: Ja, und hier gibt es noch lokale Unterschiede innerhalb des Salzkammerguts. Wir Ebenseer sagen zum Enzian „Enziå“, die Ischler nennen ihn „Guggn“. Die Ischler sagen „Maiglöckerl“, wir sagen „Fåligrå“.

OÖN: Meine Generation kennt solche Ausdrücke überhaupt nicht mehr.

Rieder: Das glaube ich auch. Ihr seid schon mit dem Fernseher aufgewachsen. Was sich erhält, ist die Klangfarbe unseres Dialekts. Aber das Wortmaterial verändert sich. Keiner sollte versuchen, das aufzuhalten. Alles Lebendige verändert sich. Wenn es sich nicht mehr verändert, stirbt es.