Notzeit für das Wild: Warum Gämse, Reh und Hirsch jetzt Ruhe brauchen

Von Alfons Krieglsteiner   19.Jänner 2019

Seit sich der Schnee im Gebirge halbwegs gesetzt hat, wagen sich vereinzelt wieder die Gämsen im Revier von Herbert Sieghartsleitner in Hinterstoder aus ihren Einständen. Mit dem Spektiv kann sie der Bezirksjägermeister von Kirchdorf gut beobachten. Und ihre verzweifelte Suche nach Nahrung.

Auf 1500 Meter liegt der Schnee derzeit noch drei Meter hoch. "Da sieht man keine einzige Gamsfährte", sagt Sieghartsleitner. "Aber wo der Wind den Schnee schon teilweise ausgeweht hat, scharren sie jetzt nach vertrockneten Grasbüscheln, Moos und Flechten." Scharren, fressen, ruhen – und lauschen. Nach dem Knacken und Brechen der Lawinen. Ein Vabanquespiel auf den Hängen: Nur erfahrene Muttertiere wissen es zu deuten und bringen sich rechtzeitig in Sicherheit. Doch unter Jungtieren und geschwächten Alttieren hält der Tod jetzt reiche Ernte. "Wie viele umgekommen sind, zeigt sich erst, wenn im Frühjahr das Gelände ausapert", sagt Sieghartsleitner. Dann wartet auf Fuchs und Adler ein Festschmaus.

Bis zu drei Wochen können Gämsen fasten. Sie ziehen sich in geschützte Gräben und Schluchten und in den Hochwald zurück. Die Futterstellen für die Rothirsche nehmen sie selten an, lieber warten sie auf bessere Zeiten.

Was sie jetzt brauchen, ist Ruhe: Auf ein paar Quadratmeter beschränkt sich ihr Bewegungsradius. Da wird jeder Tourengeher, Variantenskifahrer und Paragleiter zum Todesboten. Unter Aufbietung der letzten Kräfte flüchten die Gämsen panisch durch den Tiefschnee. Bis zur Erschöpfung.

Auch Reh und Hirsch brauchen jetzt Rücksichtnahme, um durch den Winter zu kommen: "Ihre Körperfunktion läuft auf Sparflamme", sagt Christopher Böck, Geschäftsführer des Landesjagdverbandes. Wird das Wild dann in Gebieten, wo es Ruhe sucht, aufgescheucht, muss es die Kraftreserven aufzehren. Der Lärm von Liften und Pisten stört es aber nicht: Dort hält es ohnehin Abstand.

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Rücksicht beim Routenplanen

Abstand halten: So lautet auch der Appell des Wildbiologen an Wintersportler vor allem in den Tiefschneegebieten des Mühlviertels und südlichen Berglands.

Sie nutzen jetzt die mühsam von den Jägern freigeschaufelten Wege – und die führen genau zu den Wildfütterungen: "Deshalb ersuchen wir, sich bei der Routenplanung mit dem Bezirksjägermeister abzusprechen", sagt Böck. In Ruhe lassen gilt auch für die Wildschweine. Ihnen macht der Tiefschnee ansonsten nichts aus, zumal sie sich im Herbst durch das Überangebot an Eicheln und Bucheckern eine dicke Fettschicht zulegen konnten.

Jetzt sind sie in Paarungsstimmung. Genauso der Fuchs, der durch helles Bellen die Weibchen anlockt. Doch auch er macht jetzt schwere Zeiten durch.

Zwar kann er durch sein exzellentes Gehör Mäuse bis zwei Meter unter dem Schnee orten. Doch dort sind sie für ihn außer Reichweite und können sich ungestört auf dem Boden unter der Schneedecke an Samen laben. "Schaut ganz danach aus, dass wir heuer eine Mäuseplage bekommen", sagt der Gmundner Naturbeobachter Heinrich Metz.

Vor seinem Haus ist der Schnee schon fast weg. Dafür wachsen Maulwurfshügel. Er schließt daraus auf eine längere Kälteperiode: "Denn die Regenwürmer ziehen sich vor der Kälte tief in den Boden zurück, und die Maulwürfe müssen immer mehr Erde herausschaufeln, um sie zu erwischen."