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"Es fällt mir einfach so schwer, das alles hier zu begreifen"

Von Bernhard Leitner   03.Juli 2019

Es ist beileibe keine Holzhammer-Pädagogik, die Daniel Tscholl auf seinem Rundgang durch die Gedenkstätte Mauthausen anwendet. Er bevorzugt subtilere Zugänge, um das Unfassbare zu vermitteln. Manchmal kommt aber auch er nicht umhin, klare Worte zu verwenden. "Menschen waren nicht mehr als Nummern. Material, um möglichst viel Profit aus dem Steinbruch zu schlagen. Die ohne Bedenken getötet wurden, wenn sie keine Leistung mehr bringen konnten oder einfach nur, um den Schrecken im Lager aufrechtzuhalten. Vor allem die jüdischen Gefangenen. Die standen in der Hierarchie ganz unten."

"Es fällt mir einfach so schwer, das alles hier zu begreifen"
Daniel Tscholl führte die Besucher aus Kanada durch die KZ-Gedenkstätte.

Licht- und Schattenseiten

So fasst Tscholl bei einem Stopp oberhalb des Steinbruchs den Lager-Alltag zusammen. Seine Zuhörer sind Teil einer besonderen Besuchergruppe: Menschen im Alter von 22 bis 34 Jahren aus der Gegend um Toronto. Nachfahren von Shoah-Überlebenden, die auf Einladung des Jewish Welcome Service Wien eine Woche in Österreich verbringen. Die hier die Licht- und die Schattenseiten der hiesigen Geschichte entdecken: das imperiale Wien und die vielfältige jüdische Tradition der Bundeshauptstadt auf der einen Seite, Hartheim und Mauthausen auf der anderen.

Es ist ein heißer Junitag. Man ist froh über jeden schattigen Platz, der sich während des Rundgangs anbietet, um innezuhalten, nachzudenken, zu fragen. Wie kalt wird es in Mauthausen im Winter? Standen die Häuser auf der gegenüberliegenden Seite des Steinbruchs auch schon zur Zeit des Lagerbetriebs? Wie leben die Menschen hier mit der Erinnerung an das, was einst wenige hundert Meter hinter ihrer Einfamilienhaussiedlung geschehen ist?

Fragen, die Daniel Tscholl geduldig beantwortet. Indem er etwa auf die SS-Fußballmannschaft verweist, die es in der Saison 1944/45 in der Oberösterreichischen Fußballliga sogar zum Herbstmeister brachte und bei ihren Heimspielen unmittelbar vor dem Lagertor hunderte Zuseher anlockte. Er bringt aber auch Beispiele des zivilen Widerstands. Kleine Gesten der Hilfe, Gendarmen, die Dienst nach Vorschrift machten und Akten über Diebstähle anlegten, statt sich an der Mühlviertler Menschenhatz 1945 zu beteiligen.

"Es fühlt sich so unwirklich an. Es fällt mir einfach so schwer, das alles hier zu begreifen", sagt Tal Saron über seine ersten Eindrücke. "Auf der einen Seite diese schöne Landschaft, in der man gerne Urlaub machen würde. Auf der anderen Seite diese Festung, diese Stätte des Terrors." Die meisten der Besucher sind erstmals an einer KZ-Gedenkstätte. "Ich habe einiges über die Judenverfolgung in der NS-Zeit gehört. Hier in Mauthausen zu stehen, das sehr berührend", sagt Hana Lazar. Viele ihrer Begleiterinnen und Begleiter nicken schweigend. Sie sehen sich noch einmal um, ehe sie durch das Lagertor hinausgehen. Hinaus in Richtung Bus, der sie zurück nach Wien bringt. Nach drei Stunden, die noch lange nachwirken.

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19. April 2024